ich selbst hatte immer ein schales Gefühl mich den Alkoholikern zuzuordnen - das heisst zu sagen : ich bin Alkoholiker und Krank
Einmal hatten wir in der Gruppe das Thema und mir wurde das durch ein Beispiel ganz deutlich gemacht, indem ich zwei Stühle etwas getrennt voneinander vor mir hatte.
Ich lief hinter einem Stuhl zum anderem vor mir die Gruppe und sagte beim einem: "Ich bin die Lisl"..... ging weiter zum anderem Stuhl .......und sagte: "und ich bin Alkoholiker"
Es fiel mir dann gar nicht mehr schwer das zu erkennen und mir selbst zu sagen
Stellt man sich einfach auch so affig an,wenn es darum geht,zu sagen:
Ich habe eine Pollenallergie ...ich vertrage XXX nicht ...oder ich bin Zuckerkrank?????"
Sehr gut, aber bevor man richtig sagen kann, ich bin Alkoholiker, muß man kapituliert haben. Das dauert wohl ein Weilchen. Vorher findet man diese Krankheit als Manko.
Bei den AA's ist es übrigens üblich, bevor man etwas sagt zu sagen:
Hallo alle beisammen Alkoholiker zu sein, muss bei mir wohl erst mal tiefer ins Bewußtsein sinken. Was diese Selbsttitulierung schwieriger macht als bei Allergien z.B. ist doch, dass anfänglich zumindest die Krankheit oder Inkubationszeit selbst gewählt wurde. Ist aber vielleicht nicht bei allen so. An dem Satz: Ich heiße Martin und bin Alkoholiker, stört mich, dass ich ja noch vieles andere bin, klingt dann wie eine Reduzierung der eigenen Person auf den Alk. Ist aber gerade anfänglich bestimmt sehr hilfreich, um sich die eigene Abhängigkeit klar vor Augen zu führen und nicht wieder auf dumme Ideen zu kommen.
Unfreiwillig habe ich mich in Spanien, war mal ein Jahr in Madrid, immer als Alkoholiker bezeichnet. Als ich mitteilen wollte, ganz schön betrunken zu sein, sagte ich immer 'borrachero' (Säufer), statt 'borracho' (betrunken). Da bekamen aller immer einen hochroten Kopf und verbesserten mit augenblicklich. Sowas wie ein Säufer, sei was ganz anderes.
Ich kann mir nicht vorstellen, das du irgendwo hinkommst und sagst (zb beim Einkaufen an der Kasse): Hallo ich bin der Martin und Alkoholiker !
Das sagt man doch höchstens in der Gruppe.
Für mich spielt das heute keine Rolle ob ich nun Alkoholikerin, alkoholabhängig oder stark alkoholgefährdet bin. Ich kann mit Alkohol nicht umgehen, und mir "reicht", das zu wissen, und endlich, endlich vor fast 2 Jahren das langsam eingesehen zu haben.
Ich denke auch, dass man nicht als Alkoholiker geboren wird,ob es etwas mit den Genen zu tun hatBei uns hat keiner getrunken, jedenfalls nicht in meiner unmittelbaren Familie. Im übrigen denke ich, dass unser Umfeld es schneller merkt als wir, das etwas nicht in Ordnung ist.Also brauche ich es auch keinem auf die Nase zu binden, den ich nicht so gut kenne.Heute habe ich kein Problem mehr zu sagen ich trinke nichts,ohne eine grosse Erklärung abzugeben. Für mich ist es einfach wichtig, ich fühle mich gut,ich brauche nicht zu trinken und erlebe meine Welt nüchtern,das zählt und nichts anderes. Ich wünsche Euch gute 24 Stunden
Hallo Marieluu und alle anderen was das Umfeld betrifft, da habe ich sehr zweischneidige Erfahrungen gemacht. Trinken gehörte immer und überall dazu und wenn man der letzte war der ging umso besser, man war ja der 'harte Kern'. Auch Ermunterungen anderer mehr zu trinken, gehört zur Taktik bestimmter Umfelder. Erleichtert ja auch das Gewissen, wenn der andere noch mehr säuft. Einladungen oder Aufforderungen solcher Art waren aber bei mir irgendwann gar nicht mehr nötig. Einen Wink von außen erhielt ich einzig, als ich jemanden kennenlernte, der mir schon nach kurzer Zeit auf den Kopf zusagte, in seinen Augen wäre ich Alkoholiker. Das hat gesessen und Recht hatte er. Abgesehen davon war ich in den letzten Jahren an den Tagen danach immer abgrundtief wütend auf mich selbst. Zum Glück ist diese Wut nicht völlig der Resignation gewichen, so dass ich diese Energie jetzt erst mal auf das Nicht-Trinken verwenden kann.
Zitat so dass ich diese Energie jetzt erst mal auf das Nicht-Trinken verwenden kann.
Hi Martin !
Also mir ging es nach einigen Wochen so, das es mir vorkam, als ob ich viel mehr Energie brauchte als ich noch trank. Die ewigen Kater - und "zunichtsfähig" Tage waren weg, das rechnen wann ich denn wieder trinken darf ( je nach Arbeitszeit) und natürlich das Schämen, was ich denn wieder mal betrunken gesagt oder angestellt habe.
Heute habe ich das Gefühl, ich lebe viel "einfacher" und ich fühle mich längst nicht mehr so zerissen.
ZitatGepostet von Beachen [quote] Heute habe ich das Gefühl, ich lebe viel "einfacher" und ich fühle mich längst nicht mehr so zerissen.
Ausgezeichnet. Das sind ja wirklich gute Aussichten, genau nach etwas mehr Kontinuität im Denken und Handeln sehne ich mich. Ich hab sogar hin und wieder 'Stundenpläne' entworfen, um nicht immer zwischen verschiedenen Dingen hin und her gerissen zu sein. Der Ursache dieser Zerissenheit, der Alk, war da natürlich nicht mit eingeplant und so war der Versuch etwas Ordnung zu schaffen, gleich am Anfang zum Scheitern verurteilt.
Der Energieentfaltung stehen eigentlich nur noch die Schlafprobleme im Weg und die werden demnächst auch behoben sein (bin zumindest davon überzeugt).
ZitatGepostet von Ernst Toll Was diese Selbsttitulierung schwieriger macht als bei Allergien z.B. ist doch, dass anfänglich zumindest die Krankheit oder Inkubationszeit selbst gewählt wurde. Ist aber vielleicht nicht bei allen so.
Wenn du, wie Roswitha ja auch als Beispiel gebracht hat, zuckerkrank wärst, dann könntst Du da durchaus selbst mit schuld sein, durch falsche Ernährung. Und Du müßtest Dein Verhalten genauso anpassen, wie als Alkoholiker....falsch, Du mußt gar nix, auch nicht als Alkoholiker - höchstens die Konsequenzen tragen..
ZitatGepostet von Ernst Toll An dem Satz: Ich heiße Martin und bin Alkoholiker, stört mich, dass ich ja noch vieles andere bin, klingt dann wie eine Reduzierung der eigenen Person auf den Alk.
Das gefällt mir jetzt sehr gut. Denn wenn ich sage, ich heiße Rolf und bin Pollenallergiker....dann kommt kein Mensch, und ich selbst natürlich auch nicht, auf die Idee, daß ich nur Pollenallergiker bin und ansonsten keine persönlichen Eigenschaften habe.
Das läuft schon beinahe wieder als Versuch, sich selbst auszutricksen. Ich kann mich doch nicht einfach darauf reduzieren...Genau darin zeigt sich für mich die Scheu , uns selbst klar zu nehmen wie wir sind. Ich halt mir den Alkoholiker auf Abstand - damit beraube ich mich aber selbst einer sehr wichtigen Möglichkeit, meine Krankheit in den Griff zu bekommen. Ich mußte mir das schon sehr genau betrachten, aus nächster Nähe, was denn da mit mir angestellt hatte. Das nimmt uns ja nix von dem weg, was wir sonst noch alles sind, für mich ist das Bestandteil des Themas, ob ich mich so darstelle, wie ich nun mal bin, oder ob ich um mich rumrede. Ich trag kein Schild vor mir her, wo es draufsteht, aber ich hab auch kein Problem, wenn das Thema draufkommt.
Was den Alkoholiker angeht, haben wir natürlich einen Haufen der "öffentlichen Meinung" übernommen, zu Zeiten als wir das natürlich auch noch weit von uns gewiesen haben. Vielleicht haben grade wir, als Gefährdete, das härteste Urteil über die vermeintlichen Schwächlinge gefällt, um uns abzugrenzen. Ich hab auf jedenfalls schon was gebraucht, was mich von einem Alkoholiker unterschieden hat *kicher* (sonst hätt ich ja aufhören müssen...) und daß ich dieses "Urteil" irgendwann über mich selbst fällen mußte, damit mußt ich doch erst leben lernen.
Aber auch ich hab diese Meinung ja irgendwo übernommen. Und eine Möglickeit, an der allgemeinen Meinung was zu ändern, ist natürlich, sich als Bekennender hinzustellen und ganz anders zu sein, als allgemein erwartet. Schon von daher find ichs richtig, das zu tun.
wünsch Dir was
der minitiger
[f1][ Editiert von minitiger2 am: 21.05.2004 19:36 ][/f]
Und eine Möglickeit, an der allgemeinen Meinung was zu ändern, ist natürlich, sich als Bekennender hinzustellen und ganz anders zu sein, als allgemein erwartet.
Ausgeichneter Gedanke. Wie ist denn eigentlich das klassische Bild eines Alkis? Wohl ein verlebter Typ älteren Jahrgangs mit zerschlissenen Klamotten, der aus jeder Pore den Stoff ausdünstet, der sein Körper geformt hat. Und die meisten davon, würden sich selbst wahrscheinlich nicht mal als solche bezeichnen. In meinem Bezirk zumindest laufen bzw. torkeln davon überdurchnittlich viele Exemplare umher. Manchmal scheint mir das ganze Straßenbild durch den Alk bestimmt zu sein. Liegt vielleicht auch an meinem fixierten Blick, aber auf dem Gehweg mal keinen Flachmann, Bierflasche oder ähnliches zu sehen ist unvorstellbar, genauso wie einen Dönerladen, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit aufzusuchen, in dem nicht jene Kreise ganz heftig am bechern wären, denen man sich erst mal nicht zuzählen würde, obwohl ich aus irgendwelchen Gründen immer eine Affinität zu diesen Leuten empfunden habe, mich gleichzeitig aufgehoben und abgestoßen fühlte. Als 'ihresgleichen' wurde ich dann auch nie gesehen, sondern immer als komischer Fremdling.
Aber der Gedanke dieses einseitige Bild eines Alkis aufzubrechen, hat mir gleich ein Lachen ins Gesicht gezaubert. Nachdem ich Deinen Beitag las, stellte ich mir eine Horde hipper, durchgestylter und knackiger Mitzwanziger vor, die eine wilde Party veranstalten, alle mit ihrem O-Saftglas in der Hand. Untertitel: Alkis beim Abfeiern. Zwar auch ein Klischee, aber mal ein anderes und lustig obendrein
Viele Grüsse Martin
[f1][ Editiert von Ernst Toll am: 21.05.2004 20:38 ][/f]
ich bin jetzt 4 Jahre und 2 Monate trocken und fühle mich super. Ich hatte schon oft längere trockene Phasen ,doch diesmal ist es ganz anders.Ich habe 3 wunderbare Enkelkinder, denen möchte ich um nichts in der Welt besoffen gegenüberstehen. Dafür lohnt es sich, das erste Glas stehen zu lassen.
genauso wie Du es schilderst, habe ich mir früher Alkoholiker vorgestellt. Aber Alkoholiker kommen in jeder Gesellschaftsschicht und in (fast) jedem Alter vor. Ich meine natürlich Erwachsene.
Als bei mir die Diagnose chronischer Alkoholismus gestellt wurde, war ich gerade wegen diesem klischeehaften Denken sehr geschockt. In der Klinik habe ich dann auch umdenken müssen. Da war ein Arzt darunter, ein Schriftsteller (von dem ich mir übrigens dann ein Buch gekauft habe) usw. Jedenfalls keine Penner.
Saftpartys kenne ich übrigens. War mal bei einem trockenen Alkoholiker zu seinem 40. Geburtstag eingeladen und es waren lauter Alkoholiker da. Es war eine wunderschöne Party.