zunächst einmal ein dickes Kompliment an Tommie und die Gesamtheit der hier postenden Mitglieder. Dieses Forum ist sicherlich eines der besten seiner Zunft. Und das liegt natürlich auch an der Art, wie dieses Forum geführt wird. Sehr professionell.
Ich habe ja schon bei meinem ersten Posting im April angedroht, euch an meiner beispiellosen Alkoholikerlaufbahn teilnehmen zu lassen. Nun denn.
Geboren wurde ich 1957, wie zweifellos jeder weiß ein Jahrgang wie Samt und Seide.Aufgewachsen bin ich in einer wunderschönen norddeutschen Großstadt als erstes von 3 Kindern. Alkohol war bei uns nie ein Thema, es war immer genug da. Meine Eltern verfügten über einen gut gefüllten Weinkeller, in dem immer nur dann eklatante Lücken auftraten, wenn meine Großmutter mütterlicherseits zum Einhüten da war. Sie hieß bei uns Kindern deshalb auch immer "die blaue Oma". Das ist übrigens kein Scherz. Ich wuchs also im sogenannten "gutbürgerlichen Milieu" heran und hatte wirklich eine phantastische Kindheit. Die älteren Semester unter euch können sich bestimmt noch an diese Zeit Ende der 60-bis Mitte der 70-er Jahre erinnern, mit diesen ständigen Selbstfindungstrips, Haaren bis zum Arsch, Nullbock egal auf was und geiler Musik. Ich war ein typischer Vertreter dieser Zeit, besonders was diese Nullbockeinstellung anbelangt.Gab es wirklich mal Probleme, na gut dann mußte mein Vater sie aus dem Weg räumen.Hat der Ärmste auch oft genug getan. Mein Leben bestand also in erster Linie aus Spass haben und machen.Und dazu gehörte natürlich auch der Alkohol. Ich denke mal meinen ersten Vollrausch hatte ich mit ca. 16 Jahren. Und von da ab hat mich der Alkohol nie wieder verlassen. 10 Jahre lang habe ich relativ unregelmäßig getrunken, vorwiegend am Wochenende. Mit Anfang Zwanzig änderten sich in unserer Familie die Lebensumstände gewaltig. Mein Vater starb völlig überraschend und mit ihm starb auch das sorgenfreie Leben. Wie damals unter den selbständigen Kaufleuten durchaus üblich, wurde wenig in die private Altersversicherung investiert. Kurzum wir mußten das Haus verkaufen und meine Mutter mußte wieder arbeiten gehen und ich mußte zusehen, dass ich zum ersten Mal auch alleine etwas durchziehen konnte.Also die Party war vorbei. Ich verließ meine Heimatstadt Anfang der 80-er jahre und fing bei einem Warenhauskonzern an. Im Gepäck hatte ich zwar keine Kohle mehr, aber zum Erstaunen aller glänzende Abschlußzeugnisse. Das war auch die Zeit in der ich mich vom Gelegenheitstrinker Richtung Abhängiger weiterentwickelte. Ich trank regelmäßig jeden Tag, zwar nicht immer viel, aber wir wissen ja alle, was schon regelmäßig 2 Bier anrichten können.Da ich aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht auffällig war,legte ich sogar noch eine respektable berufliche Karriere hin. 1987 wurde ich geheiratet und kurze Zeit später Vater. Wenn ich für väterliche Leistungen eine Schulnote bekommen hätte, würde ich wahrscheinlich eine 6- verdient haben .Mich nervte meine Tochter nur(das tut sie zwar heute auch noch, aber jetzt nerve ich zurück und ich liebe sie sehr).1990 wurde ich zum zweiten Mal Vater und ich muß sagen kein Kind sollte so einen Vater haben.Das schlimmste, was man einem Kind antun kann, ist es gleichgültig zu behandeln.Gott sei Dank ist meine Frau Mutter aus Leidenschaft und versuchte meine diesbezüglichen Defizite auszugleichen. Aber für mein damaliges Verhalten schäme ich mich noch heute. Zu diesem Zeitpunkt war ich längst abhängig. Nur ich war immer noch nicht auffällig. Ich hatte zwar inzwischen das Unternehmen gewechselt, hatte mich aber wiederum verbessert. Den endgültigen Absturz mit meiner vorübergehenden Kapitulation erlebte ich erst 1992.Ich war zu diesem Zeitpunkt für ein großes süddeutsches Unternehmen im Bereich Expansion tätig. Man muß sich das mal genüsslich auf der Zunge zergehen lassen. Meine Frau lebte zu diesem Zeitpunkt in einem kleinen oberschwäbischen Dorf in der Nähe von Augsburg und ich trieb mich die ganze Woche in den damals noch "neuen Bundesländern" herum. Kam ich dann am Wochenende nach Hause wollte ich nur noch schlafen und saufen, als ob ich das während der Woche nicht auch schon genug getan hätte. Ich war im Grunde wie ein Junggeselle, der abends noch Hause kommt und völlig überrascht feststellt, das da ja plötzlich Frau und Kinder sind.Dann kam der längst fällige Zusammenbruch. Ich konnte nicht mehr arbeiten, hatte Panikattaken und war bereit alles zu tun, um nicht mehr zur Arbeit zu müssen. Ich gab endlich dem Drängen meiner Frau nach und ging für 16 Wochen zur Langzeittherapie nach Fredeburg.Das war 1992. Im nachhinein betrachtet war diese Therapie für mich wichtig, auch wenn ich danach zunächst nur 6 Wochen trocken war. Das war aber meine eigene Blödheit. Ich konnte zwar fließend diesen berüchtigten Satz aussprechen: Ich bin ein Alkoholiker. Allerdings war das nur eine Worthülse. Ich habe damals überhaupt nicht kapiert, das ich diese Worte auch mit Leben füllen müßte. Als ich 6 Wochen nach Therapieende wieder anfing zu saufen, diesmal, wie ich mir einredete, weil mich keiner mehr lieb hatte und ich mittlerweile auch arbeitslos war, fuhr meine Frau mit den Kindern zu ihren Eltern, weil ich sie nur noch ankotzte. Ich legte mich 14 Tage ins Bett und hörte für fast ein Jahr auf zu trinken. Danach war ich meinem Verständnis nach ein "geheilter Alkoholiker" und fing langsam wieder an. Die nächsten Jahre verbrachte ich noch im Süden Deutschlands(hatte wieder einen Job), während meine Frau in ihre Heimatstadt zurückzog. Wir waren zwar nicht getrennt,hatten uns aber immer weniger zu sagen, wenn ich dann am Wochenende mal wieder auf Besuch war.Irgendwann, so um 1995 herum zog auch ich wieder nach NRW. Die nächsten Jahre waren ein ständiges auf-und ab.Ich soff, ich soff nicht usw. Meine kleine Tochter, damals 5 Jahre alt weinte öfter und fragte mich, warum sie nicht auch einen Papa haben könnte wie die anderen Kinder auch. Einen Papa zum Spielen und zum Schmusen.Die Antwort bin ich ihr bis zum 14. April 2001 schuldig geblieben. Damals ging ich zu meinem letzten Entzug ins Krankenhaus. Und diesmal passierte etwas, das ich nicht mit Worten beschreiben kann. Ich, der soviel über Alkohol wußte, der andere Menschen so hervorragend manipulieren konnte, der alle Tricks beherrschte, ich wurde zum großen Weichei. Ich hatte zwar auch früher, wenn ich voll war, geheult, aber noch niemals, wenn ich trocken war. Mich überkam in diesem Krankenhaus eine unglaubliche Verzweiflung und ja, schwer zu sagen Demut? Ich wollte einfach nicht mehr. Das war meine endgültige Kapitulation. Geholfen hat mir dabei auch ein Spruch, der all mein Denken und Fühlen widerspiegelte, der all das ausdrückte, wofür mir immer die Worte fehlten(wenn ihr möchtet poste ich ihn mal in den nächsten Tagen)und der ausgerechnet neben dem Mittagsplan in einer Alkiklapse hing.Mittlerweile habe ich mir den Spruch auf Büttenpapier drucken lassen und er hängt zur immerwährenden Mahnung in meinem Schlafzimmer. Zum Abschluß möchte ich noch hinzufügen,dass meine jüngere Tochter den Satz von damals(sie will auch einen Papa zum schmusen) schon öfter bereut hat. Denn wenn ich gut drauf bin und das bin ich meistens trotz eines großen Koffers voller Sorgen, stürme ich nämlich in ihr Zimmer und fange hemmungslos an mit ihr rumzuknuddeln, am liebsten, wenn ihre Freundinnen da sind.Ihre entzückten Schreie " Nein Papa,igitt Papa, iii das ist ja ekelhaft und völlig uncool" sind mir immer wieder Ansporn.Sie hat es ja schließlich so gewollt.
Manchmal ist das Leben wie eine Zugfahrt: Du schaust aus dem Fenster, möchtest den Duft der Wälder aufnehmen, die Blumen pflücken, die an Dir vorbeifliegen.
Wenn Du so fühlst, solltest Du an der nächsten Haltestelle aussteigen, auch wenn Deine Fahrkarte auf ein anderes Ziel lautet.
zunächst einmal danke für eure liebenswerten Reaktionen auf mein Posting. Wie versprochen stelle ich jetzt den Spruch hier ins Forum,der einen gewichtigen Anteil an meinem zufriedenen "Trockensein" hat.Wie bereits erwähnt habe ich ihn am schwarzen Brett neben dem Mittagsplan auf der Entzugsstation entdeckt. Es war fast so, als ob er auf mich gewartet hätte.
Richard Bearais:
Ich bin hier, weil es letztlich kein Entkommen vor mir selber gibt. Ich bleibe so lange auf der Flucht, bis ich mich euren Augen und Herzen zu stellen wage.
Ehe ich es nicht ertrage, mein Innerstes Geheimnis mit euch zu teilen, kann ich nicht davon befreit werden. Ich werde einsam bleiben.
Hier in der Gemeinschaft kann ich mir selbst begegnen. Nicht als der Riese meiner Träume und auch nicht als der Zwerg meiner Ängste, sondern als Mensch, der als Teil des Ganzen mitarbeitet.
Auf diesem gemeinsamen Grund kann ich Wurzeln schlagen und wachsen. Nicht mehr allein wie im Tod, sondern lebendig als Mensch unter Menschen.