ich möchte hier mal eine geschichte posten,die heute ihren vorläufigen abschluss gefunden hat.ich denke sie passt ganz gut zur derzeitigen auseinandersetzung hier über draufhauen oder lieb sein bei alkoholproblemen.
ich wurde 2003 von meinem damaligen abteilungsleiter mit einer fahne erwischt und von ihm nach hause geschickt. da er mich als betriebsrat besonders unter beobachtung hatte weil mein alkoholproblem natürlich längst bekannt war,wusste ich,dass er nur genug geduld haben muss um mich ein zweites mal zu überraschen,was meine fristlose kündi- gung zur folge gehabt hätte.
für mich war das damals der ultimative grund eine stationäre therapie zu machen.die letzte chance die ich sah endlich trocken zu werden,schliesslich hatte ich vorher schon "tausend" mal alleine versucht meine sucht los zu werden.
ich ging zuerst in eine stationäre motivationsgruppe die zur vorbereitung auf die eigentliche therapie gedacht ist. von dort stellte ich den antrag,und hatte dann noch ca.4 wochen zeit bis ich diese antreten konnte.
den einzigen kontakt zur arbeitsstelle hatte ich mit einem kollegen der mich zu hause anrief,und mich besorgt fragte was denn mit mir los wäre.ich hatte jahrelang mit ihm zusammen gearbeitet und mochte ihn sehr gerne.weil ich mit seinem bruder lange befreundet war und mit dem viele flaschen geleert und noch mehr joints geraucht hatte,wusste ich auch was in ihrer kindheit abgegangen ist.
beide hatten wie ich früher unter einen gewalttätigen und alkoholabhängigen vater gelitten.der bruder ist dann auch vor einigen jahren elendig an leberzirrhose eingegangen.
nachdem ich nun über 2 jahre trocken bin und inzwischen zum freigestellten betriebsrat gewählt wurde,war es mein persön- liches anliegen mich in der betrieblichen suchthilfe zu angagieren.in dieser funktion wurde ich vor einigen monaten von einem vorgesetzten um hilfe gebeten.
er erzählte mir,dass mein kollege schon drei tage nicht erschienen ist und bat darum,mich mit ihm in verbindung zu setzen und mit ihm zu reden.sonst müsste er als vorgesetz- ter die personalabteilung informieren,und es gibt nicht nur eine abmahnung wegen unentschuldigten fehlens, sondern die fristlose kündigung.
ich fuhr also zu dem kollegen und traf ihn nüchtern zu hause an.er sagte mir,dass er tagelang gesoffen hatte und nicht mehr zur arbeit gehen wollte.ich habe es dann mit engelszungen geschafft,ihn davon zu überzeugen,dass er sei- ne arbeit wieder aufnimmt.
im januar diesen jahres fehlte er dann wieder 3 tage ohne sich abzumelden.ich erfuhr davon erst später,weil ich zu der zeit ein seminar besuchte.die zweite abmahnung war also auch ausgesprochen worden.jetzt durfte nichts mehr passie- ren,zumal wir gerade sowieso 700 arbeitsplätze abbauen.
vor 2 wochen ist er dann freiwillig in eine entgiftung gegangen,wo er schon nach 5 tagen wieder entlassen wurde. ich besuchte ihn zu hause,um ihn von einer therapie zu überzeugen.er wäre dann über eine betriebsvereinbarung vor kündigung geschützt und könnte ganz in ruhe etwas für sich machen ohne sorge um seinen arbeitsplatz.
die antwort die ich bekam hatte ich innerlich nicht nur befüchtet sondern eigentlich auch erwartet.er sagte er hat alles im griff,und in der entgiftung hat er leute gesehen die viel schlimmer dran waren wie er.ausserdem hatte er am vortag schon wieder ein bier getrunken ohne noch ein zweites gewollt zu haben.
nun fing ich damit an,was einige hier als draufhauen bezeichnen würden.ich erzählte meine geschichte,die er ja über jahre als nächster kollege mitbekommen hatte.ich erinnerte ihn an seinen alkoholkranken vater,und rief ihm noch einmal den grausamen tod seines bruders ins gedächnis.doch es half alles nichts,er hat kein problem und basta.
mir blieb nichts anderes übrig,als ihn in seinem interesse daran zu erinnern,pünktlich wieder zur arbeit zu erscheinen. ausserdem erzählte ich von der möglichkeit über eine abfindung die firma freiwillig zu verlassen.die abfindungs- summe beträgt bei ihm ca.30000€ netto und wenn er die in anspruch nehmen will,muss er sich nur beim betriebsrat mel- den.
was soll ich euch sagen,gestern mittag bekam ich von der personalabteilung seine anhörung zur fristlosen kündigung auf den tisch,weil er morgens nicht zu arbeit erschienen war und sich auch nicht zum arzt abgemeldet hatte.ich fuhr entgegen meiner überzeugung als alkoholiker noch einmal zu ihm und wollte ein letztes mal versuchen ihn in therapie zu bringen.er machte mir aber die tür nicht auf,obwohl ich sah wie er mich durch die gardine gesehen hatte.so blieb mir nichts übrig,als den brief mit der einladung zur anhörung für heute um 11Uhr in sein briefkasten zu stecken.
heute morgen auf dem weg zur arbeit hatte ich ein flaues gefühl im bauch wie lange nicht mehr.ich ahnte schon,dass er nicht zur anhörung kommen würde.so war's dann auch,und ich hatte keinen grund einen widerspruch zu schreiben.
morgen geht die fristlose raus,und er hat auf einen schlag nichts mehr.er bekommt 12wochen alu-sperre hat keine abfin- dung erhalten und sicherlich auch nicht mehr viel geld auf der bank.
als betriebsrat sage ich mir:"scheiße,wenn er schlau gewesen wäre hätte ich ihm zumindest noch 30000€ verschaffen können"
als alkoholiker sage ich mir:"ist gut so.dann wird sein leidensdruck hoffentlich innerhalb kürzester zeit so groß,dass er endlich was für SICH machen will.nur dann hat er die chance noch einmal auf die füsse zu kommen"
Malo, deine Schilderung hat mich sehr bewegt! Ich möchte dir nur sagen, dass du mehr nicht hättest tun können. Du hast dich toll verhalten. Oder hast du das Gefühl, du hättest durch anderes Verhalten was verhindern können? Als Arbeitskollege ist es total schwer zu wissen, wie man sich verhalten soll. Es gibt ja Betriebe, wo man die Kollegen durch Vertuschen "schützt" (jedenfalls verhindert, dass sie auffliegen und fristlos entlassen werden), andererseits weiß man, dass ihm das gesundheitlich nichts bringt, aber man ist auch nicht gut genug befreundet oder wird nicht nahe genug herangelassen, um sich intensiv in sein Problem einzumischen etc.
...ja malo, es ist zum schreien.... irgendwie so als versuche man einen selbstmörder daran zu hindern zu springen, und er springt dann trotzdem...
hier auf dem board hat man aber wenigstens noch den eindruck, dass die kandidaten gegenüber der schreierei aufgeschlossen sind. ( ausgenommen natürlich die, die gerade die flucht ergreifen :sprachlos
zieh dir da bloss keinen schuh an, aber ich denke , dass weisst du selbst.
Dein Kollege zeigt keine Einsicht und ich bin sicher,mit den 30 000 € hätte er sich GARANTIERT ins Unglück gestürzt.
Du hast viel mehr getan,als man von einem guten Kollegen erwarten kann,deshalb quäle Dich jetzt nicht mit Selbstzweifeln!
Vielleicht ist Dein Ex-Kollege schon zu tief oder noch nicht weit genug gesunken,um Hilfe anzunehmen. Egal wie die Sache ausgeht,Du hast Dein bestes gegeben.
auf der einen Seite ist es schon übel, wenn man zusehen muss, wie er sich ins Unglück stürzt, auf der anderen Seite, ist es wohl genau das, was er momentan braucht, um auf die Beine zu kommen, na hoffentlich.
Mich erinnert das, an eine Geschichte in unserer Selbsthilfegruppe.
Eine Frau, Anfang 50, im betreuten Wohnen tätig, schwor immer auf Trinkpausen, klappte für sie auch ganz gut, mal 4 Wochen, kürzer und länger andauernd.
Ihr Job machte ihr Spass, obschon superstressig.
Als sie mal wieder eine Trinkphase hatte, trank sie während der Arbeit mal ein Bier, dann noch eins, u.s.w., sodass ihr "die Arbeit leichter von der Hand ging".
Natürlich blieb das nicht unerkannt, Kollege musste den Chef unterrichten, Gespräch beim selbigen, Versprechen "kommt nie wieder vor", etc.
Genau das kam aber alsbald wieder vor und die fristlose Kündigung war da.
Sie wusste vorab was passieren würde, wenn sie wieder bei der Arbeit trinkt, sie ist also offenen Auges auf ihre Kündigung losgesteuert.
Nun das Gute:
Jetzt hat sie Zeit und den Willen, sich in eine stationäre Therapie zu begeben - irgendwie ist das doch viel mehr wert, als ihr Job, den sie wieder antreten darf, wenn sie möchte, nachdem sie die Therapie und Nachsorge abgeschlossen hat.
Manchmal gehen Menschen wirklich unbewusst/bewusst ihren Weg der Heilung, wenn auch für viele so überhaupt nicht nachvollziehbar.
Auch meine Sätze blieben unerhört, als ich von der Unmöglichkeit sprach, was das KT mit Trinkpausen für Alkohoiliker bedeutete, sie musste es am eigenen Leib erfahren.
Ich hoffe, dein Kollege geht nun seinen Weg auch.
Du konntest wirklich nix dazu tun und hast dich zum Glück nicht co- verhalten.
da hast Du mit Deinem Freund eine Situation und sicher auch die Gefühle erlebt, die ein Co recht gut kennt. Du kannst jede Menge richtige Argumente auffahren, Du kannst Deine ganze seelische Kraft in den alkoholkranken Menschen stecken – wenn dieser nicht selbst die Notbremse zieht, ist alles für die Katz und das blöde ist, Du fühlst Dich hilflos, machtlos, traurig.
Ich finde Du hast wirklich gut gehandelt. Besonders, dass Du ihm noch einmal Deine Geschichte erzählt hast, finde ich gut.
Was mich interessieren würde, gibt es für solche in der betrieblichen Suchthilfe oder überhaupt für in der Suchthilfe tätige Menschen so etwas wie eine Schulung, in der nicht nur das fachliche Rüstzeug vermittelt wird, sondern vor allem auch aufgezeigt wird, wie man mit „Misserfolgen“ umgehen kann? Ich finde das wäre sehr wichtig, damit man unter belastenden Situationen so eine Art Handwerkszeug zum Eigenschutz zur Verfügung hat.
ich hab auch aus dieser sache für mich wieder einiges ler- nen können.ich habe gemekt wie wichtig es ist sich abzu- grenzen und die verantwortung da zu lassen wo sie hinge- hört,nämlich bei ihm.
ich hab auch erfahren dürfen,das bei einem mir nahe stehen- den menschen immer die gefahr besteht in die co-rolle rein zu rutschen ohne es zu merken.viel hilfe erwächst mir in solchen momenten aus den gesprächen mit meiner frau.
durch die nähe zu ihr während meiner therapie und durch un- sere gemeinsamen gruppenbesuche,entsteht ein immer fester werdendes fundament,das heute schon ziemliche erschütterun- gen ertragen kann.und das tolle ist,meine frau empfindet das ähnlich wie ich.
was den kollegen angeht hoffe ich,dass er möglichst bald die richtige entscheidung für sein leben trifft.er weis,dass er mich immer anrufen kann,auch privat.ich werde mich bei ihm allerdings nicht mehr melden,und wenn er weiter säuft werde ich ihn wohl das nächste mal auf seiner beerdigung besuchen.bei seinem bruder ging das damals ratz-fatz.
@ schneeflocke
ich habe eine ausbildung beim blauen kreuz gemacht über 120 stunden.wir sind nicht nur über die alle aspekte der sucht geschult worden,sondern auch in gesprächsführung, arbeitsrecht und über das suchthilfesystem im allgemeinen. die referenten waren durchweg fachleute auf ihrem gebiet. dazu gehörten richter,suchtberater,ärzte usw.