ich durfte deinen kleinen Tobsuchtsanfall von gestern abend fast in Echtzeit miterleben. Kenne ich gut, ist mir auch schon paar mal passiert, allerdings mit weniger Aggressionen. Meistens habe ich am nächsten Tag gar nicht mehr dorthin gefunden, wo das ganze stattgefunden hat, weil ich die besoffenen Notizen, die ich mir kurz vorm Ausloggen noch gemacht habe, am nächsten Tag nicht mehr entziffern konnte
Einmal bin ich in einen offenen Alkoholikerchat, und antwortete sturzbesoffen auf die sicher wohlgemeinte Frage "Was meinst du denn, warum du so viel trinkst?" "Weil ich mich nüchtern so schlecht ertrage..." - und dann habe ich stinksauer den Chat verlassen, weil mir jemand antwortete, dass er keinen Bock hätte, mit jemandem zu chatten, der sich am nächsten Tag eh' an nix mehr erinnern kann...
Tja, und gestern saß ich hier, las deine Beiträge und da fiel mir das wieder ein. Und ich muss zugeben, dass ich mehr als einmal versucht war, mir auch ein Auge zuzuhalten, um deinen Beiträgen zu folgen (dabei gab's doch nur Fencheltee :gruebel. Und gerade eben stand ich am Fenster, hab' ne Zigarette geraucht und am Abendhimmel ganz klar den Kleinen Wagen gesehen - und dafür musste ich mir kein Auge zuhalten. Das war ein gutes Gefühl
ich hoffe, heute bist Du aufnahmefähiger als gestern.
Lass' mich mal einige Vorbemerkungen machen. Auch wenn es an einigen Stellen im folgenden nicht so aussehen mag, es ist meine Überzeugung, dass weder Vorwürfe noch Selbsvorwürfe irgendetwas konstruktives hervorbringen können. Wenn ich also einige Fakten ansprechen werde, die Widerspruch in Dir auslösen werden, so ist das meinerseits nicht vorwurfsvoll gemeint. Ich erwähne diese Fakten, weil sie angesprochen werden müssen.
Und die erste Tatsache, der Du Dir bewusst werden musst, ist die dass Du krank bist. Diese Äußerung, dass Alkoholismus eine Krankheit ist, hast Du sicherlich schon des öfteren gehört und gelesen. Nur verinnerlicht hast Du es nicht, kannst Du ja auch nicht. In Deinem Stadium der Krankheit hast Du nämlich schon alle 'inneren Werte' verloren, das heißt Dein Selbstvertrauen / Selbstwertgefühl sowie die Fähigkeit, Sachverhalte realistisch beurteilen- und Entscheidungen treffen zu können.
Als Du Dich vor etwa einer Woche auf diesem Forum zu Wort meldetest und nach Rat fragtest, was Du tun solltest, gab ich Dir folgenden Rat: Geh' zum Suchtberater ..., DANN scheiß' auf Dein Abitur ... Ich gab Dir den 2. Teil des Rates, weil ich Deinen Worten entnahm, dass Du praktisch gleichzeitig Deine Freundin/Partnerin verloren hast (die Dir wichtig war), Deine Arbeit aufgabst (die Dir Spass machte) und wieder auf die Schule gingst (was Du eigentlich gar nicht wolltest) um in den Augen Deines Vaters (eines Arzts mit Dr.-Titel) etwas 'Wert zu sein'. Du hast Dir damit in meinen Augen den 'Ast Deiner Lebensfreude' so perfekt abgesägt, wie man es nur machen kann. Wenn jemand nach so einer Tat so unglücklich wird wie Du, dann wundert mich das überhaupt nicht. Da Du scheinbar auch noch depressiv veranlagt bist, begann damit der Teufelskreis:
Verlust an Freude und ungeliebte Aufgabe (ohne Erfolserlebnis) => Verlust des Selbswertgefühls (Depression) => trinken => noch mehr Verlust des Selbswertgefühls (tiefere Depression) => noch mehr trinken ...
Du hast danach einen großen Fehler begangen. Auch 'Fehler' meine ich nicht vorwurfsvoll (einem Kranken kann man keinen Vorwurf machen, wenn seine Handlungen von seiner Krankheit diktiert sind), sondern in dem Sinne dass Du etwas falsch gemacht hast, das Du beim nächsten Mal besser machen sollst/kannst/musst.
Anstatt Dich an die Reihenfolge zu halten (zuerst Suchtberatung, d.h. Alkoholsucht in den Griff zu bekommen) hast Du Dich in Deinem alten Beruf beworben und hast versucht Dir eine 'Freundin' in einer Disco zu angeln.
Nun überlege einmal, wie willst Du Dich ernsthaft um einen Job bewerben, wenn Dir sämtliches Selbstbewußtsein fehlt und Du 'Lücken' in Deinem Lebenslauf hast? Wie willst Du eine Partnerin/Freundin finden, indem Du 'Ansprüche heunterschraubst'? Wärest Du nicht krank, würde Dir JEDE Frau aber eine ganz bestimmte Antwort (zu Recht) darauf geben!
Das konnte natürlich nicht funktionieren, da der gesunde (innere) Unterbau, d.h. Dein Selbstbewußtsein, total fehlt. Stattdessen hast Du versucht, Dich über Äußerlichkeiten (Stichwort Gogo-Tänzer) zu definieren, d.h. zum Erfolg zu kommen, was genauso hoffnungslos ist.
Im Moment bist Du in einem Stadium, wo Dich Deine Erfolgs- und Hoffnungslosigkeit in eine Ohnmacht treibt, die sich dahingehend äußert, das Du Gott (Deinem Vater) und der Welt (Deinen Lehrern) eine aufs Maul hauen willst. Glaubst Du das ist eine Lösung?
Die einzige Lösung die Du hast, ist Dir endlich Hilfe zu holen und das Pferd 'richtig herum' auf zu zäumen. Du musst zuerst Dein Alkoholproblem in den Griff bekommen, und damit Deine inneren Werte wieder herstellen. Ohne diesen 'inneren Unterbau' werden alle Deine Versuche wieder gesund zu werden zum Scheitern verurteilt sein.