Glückseligkeit ist die Hoffnung vieler Alkoholiker, doch nach den kurzen Episoden hochtrabender Gefühle droht meist der Absturz in Traurigkeit und Depression. Gefangen im Teufelskreis der Sucht greifen sie wieder zur Flasche, um die dunklen Gedanken zu bekämpfen. Doch damit lösen sie im Gehirn genau die Prozesse aus, die sie immer wieder zurück in die Abhängigkeit stoßen.
Alkohol hebt die Stimmung, heißt es. Und ein Gläschen in Ehren könne niemand verwehren. Zu viele Gläschen jedoch lassen auf die Heiterkeit gar Tränen und die feste Überzeugung folgen, er ärmste Hund der Welt zu sein.
Reine Chemie, meinte George F. Koob vom The Scripps Research Institute am 23. August 1999 auf einer Tagung der American Chemical Society. So wie Glücksgefühle, hinter denen ausgeklügelte Systeme von Dopamin, Gamma-Amino-Buttersäure, opiumähnlichen Peptiden und Serotonin stecken. Tierversuche haben gezeigt, dass übermäßiger Alkoholgenuss diese Prozesse im Gehirn deutlich dämpft. Auch die dunklen Gedanken haben eine klare Ursache, denn gleichzeitig schüttet das Gehirn Stresssubstanzen aus wie das Neuropeptid Corticotropin celeasing Factor (CRF), bekannt als Auslöser für Depressionen und Spannungszuständen. Ein anhaltendes Durcheinander im Stoffwechsel entsteht, das Süchtige immer wieder rückfällig werden lässt.
Doch der Griff zur Flasche, der die elenden Gefühle vertreiben soll, reißt die Betroffenen noch tiefer in den Sumpf. Denn der erneute Alkoholgenuss sorgt nur wieder für Nachschub an CRF - und der Teufelskreis ist geschlossen. Immer mehr steigt die tägliche Alkoholmenge, mit der sich der Süchtige "normal" fühlt. Und wie Koob in Tierversuchen feststellte, kann die Wirkung des CRF bis zu vier Wochen nach dem letzten Schluck anhalten.
Die familiäre Situation ist bisher der einzige Hinweis auf eine Veranlagung, dem Alkohol zu verfallen. Ein alkoholabhängiger Elternteil erhöht bei den Kindern die Suchtgefahr dramatisch. Koobs Studien zeigen einen weiteren Weg auf, über die Gehirnchemie vor der Suchtgefahr warnen zu können.
Siehe auch
Spektrum Ticker vom 21.10.1998 "Der Hang zur Flasche" Spektrum der Wissenschaft 8/98, Seite 62 "Kleine Kulturgeschichte des Alkohols"
[Quellen: American Chemical Society] [Copyright: Spektrum der Wissenschaft]
P.S. Ist es ein Zufall, dass das englische "being blue" gleichermaßen bedeutet betrunken zu sein und deprimiert/sentimental zu sein? Wenn man die obige Meldung gelesen hat, dann scheint hier der Volksmund eine tiefe Wahrheit widergegeben zu haben.
hallo Igel, alle physiologischen oder neurophysiologischen Prozesse kann man als reine Chemie sehen. Einer meiner Chefs (Prof. B.) sagte einst: 'Max auch Gefühle sind letztlich nur ein Zusammenhang von Chemie und Physik'. Gruß Max
wird wohl so sein, aber so in diesem Zusammenhang, hab ichs noch nicht gelesen, finds schon interessant. Wenn dieser Bericht stimmt, würds ja bedeuten das so ne Entgiftung mindestens 4 Wochen dauert .
ist tatsächlich wenig romantisch, diese ganze "Gefühlsduselei". Selbst Liebe ist nur Chemie im Kopf.
Nur ist dieser Fakt eben auch kein Freischein (Ausgeliefertsein, kann nichts machen... :frage3, so wenig wie es einen dafür gibt, dass Alk-Sucht eine Krankheit ist. Man kann nämlich bewusst auf die chem. Struktur im Kopf Einfluss nehmen, ist dem eben nicht ausgeliefert. Dazu braucht es allerdings Konsequenz. Wenn man diese ständig mühselig neu motivieren muss, sind Rückfälle vorprorammiert.
Entsteht die Motivation hingegen durch pos. Erfahrungen immer wieder neu (was eine Veränderung der Gehirnchemie mit sich bringt), hat man 'ne gute Chance, sein Leben (Fühlen) nachhaltig zu verändern.
dazu gibt es einen interessanten Spiegel-Titel von letzter Woche.
Da geht es darum, welchen Einfluss Bewegung auf fast alle Krankheiten hat.
Bewegung wirkt auch positiv auf diverse Krankheiten, bei denen bislang absolute Ruhe empfohlen wurde.
BEsonders interessant war, daß regelmäßige Bewegung tatsächlich die Hirnstruktur verändert. Durch Bewegung entstehen mehr neuronale Verknüpfungen (oder so ähnlich, bitte selbst nachlesen)
Das steigert die Hirnleistung und wirkt auch Stimmungsaufhellend.
Sie haben von einem Psychologen berichtet, der mit seinen depressiven Patienten auf's Laufband geht.
Auch von Meditation weiß man, daß die Hirn-Chemie verändert wird.
Als Ausrede im Sinne von "alles nur Hirn-Chemie, da kann m a n nix machen", ist nicht.
M a n kann nix machen gegen den Blues, ich selbst hab schon einige Möglichkeiten, wenn ich es richtig gelernt habe.
Bin/war ja eigentlich mehr "ein wenig träge" was den Sport angeht. Wurde mir jetzt letzte Woche von meinem Doc. empfohlen endlich meinen A.. zu bewegen und (vernünftig) Sport zu machen, so mit Laufband und Fahrradfahren. Obwohl ich schon bei dem Gedanken schwitze, hab ich mich angemeldet und am Samstag gehts los
Was ist der Wille. Z.B. der Wille, eine Alkohol bzw. andere Sucht zu überwinden. Ich meine nicht die Motive, Gründe und sozialen Notwendigkeiten, die einen dazu drängen. Der Wille selbst. Ist der auch reine Chemie oder bewirkt er die chemische Reaktion im Gehirn? Oder gibt es den Willen gar nicht und alles ist nur Trieb? Überlebenstrieb vielleicht. Ist Wille ein leeres, sinnloses Wort?
Ich glaube, der Wille ist kein Prozess. Er ist der Grund.
Dopamin ist nicht nur der Transmitter, der für Motivation zuständig ist, es ist auch der Transmitter,der die motorischen Bewegugnen ermöglicht, nach dem Gewünschten zu greifen.
Natürlich würd ich nie bestreiten, daß mir meine Sertralin und Trazodonhydrochloridtabletten wieder ein bisserl auf die Beine helfen, da ja die Ereignisse der letzten Zeit und ein gewisser Eindruck der Aussichtslosigkeit im sozialen Umfeld meinen Willen ein wenig gebrochen haben, was sich natürlich in einer schlechten Impulsübertragungsqualität in meinem Oberstübchen bemerkbar macht. Aber der Wille wieder aufzustehen, nüchtern zu bleiben und die trübe Stimmung in mir zu vertreiben ist der Grund, daß ich diese Tabletten jetzt nehme.
demian, unter deinem nick steht der Spruch "wieder mal trocken" - das liest sich für mich, als hättest du ein Problem mit dem Gedanken, in Zukunft trocken zu bleiben
...nein. Überhaupt nicht. Ich muß den Text ändern. Als ich mich hier eingetragen habe, is es mir nicht so gut gegangen wie jetzt.
Dafür träum ich auch in meiner signatur momentan von Null Promille bis ans Ende. Ein Traum, den ich gern leben würde. Und so die Chemie oder Gott oder ich weiterhin will - auch werde.
Oder ich sag mal so; solange ich eben über der Resignation stehe. Das ich wieder fallen kann ist mir natürlich klar.
p.s. aber die Frage ist gut und regt mich an zu einer anderen Frage, die ich vielleicht hier stellen werde: Bin ich überhaupt ein Alkoholiker. Ich glaube schon, aber ich weiß es nicht.