VON JÖRG VOGELSÄNGER UND HUBERT KAHL, 19.03.06, 19:55h
MADRID. Hunderte von „Schnapsleichen“, Tonnen von Müll und leeren Flaschen, Krawalle mit 86 Verletzten und 70 Festnahmen: Das ist die Bilanz der Massenbesäufnisse, zu denen Jugendgruppen in etwa 20 spanischen Städten aufgerufen hatten. In einem „Wettbewerb“ sollte herausgefunden werden, welche Stadt die meisten Leute zu einem Trinkgelage unter freiem Himmel zusammenbekommt. Als eindeutiger „Sieger“ ging Granada aus dem unrühmlichen Wettstreit hervor. In der südspanischen Metropole versammelten sich nach Presseberichten 35 000 Menschen zum größten Massenbesäufnis des Landes.
In den meisten Städten ließen heftige Regenfälle die Open-Air-Partys in der Nacht buchstäblich ins Wasser fallen. In Madrid, Barcelona und anderen Städten marschierten zudem Hunderte von Polizisten auf und unterbanden die nicht genehmigten Trinkgelage. Zu dem Wettstreit hatten namentlich nicht bekannte Gruppen über das Internet aufgerufen. Sie griffen auf ein Phänomen zurück, das in Spanien zu einer Massenbewegung geworden ist: Seit Jahren treffen sich an jedem Wochenende Tausende von jungen Leuten spontan auf öffentlichen Plätzen zu Partys.
In den meisten Städten reagierten die Behörden geschockt darauf, dass daraus nun ein Trinkwettstreit wurde, und untersagten die Massenbesäufnisse. In Barcelona und Salamanca lieferten sich trinkfreudige junge Leute und die Polizei regelrechte Straßenschlachten. Allein in Barcelona wurden 70 Menschen verletzt, darunter 36 Polizisten. 54 Randalierer wurden festgenommen. Rund 200 Jugendliche hatten die Beamten mit Steinen und Flaschen bombardiert. Sie setzten Müllcontainer in Brand und warfen Schaufensterscheiben ein. In der Universitätsstadt Salamanca wurden 16 Jugendliche festgenommen, darunter auch ein Deutscher.
Landesweit mussten Hunderte von Teilnehmern an den Gelagen wegen Volltrunkenheit behandelt werden. In Valladolid flößten Jugendliche sich Schnaps oder eine als „Calimocho“ bekannte Mischung aus Rotwein und Cola über einen mit einem Trichter verbundenen Schlauch ein.
Auslöser des Saufwettstreits war eine Freiluftparty von 5000 Studenten in Sevilla vor einem Monat gewesen. Junge Leute in Granada wollten auf Grund der Rivalität der andalusischen Städte die Teilnehmerzahl überbieten. Die Idee breitete sich dann in ganz Spanien aus.
Die Gesundheitsbehörden und verschiedene Bürgerverbände plädierten für eine harte Linie, um Massenbesäufnisse künftig zu unterbinden. Doch der Soziologe Salvador Giner von der Universität Barcelona sieht in den Trinkgelagen eine „Protestbewegung“. „Diese wendet sich gegen eine Gesellschaft, die falsche Erwartungen weckt, weil sie allen alles Mögliche verspricht, aber nur einigen Wenigen etwas gibt“, meint der Wissenschaftler. Andere Experten verwiesen darauf, dass es den meisten Jugendlichen nicht so sehr um das Trinken gehe, sondern darum, sich mit Freunden zu treffen. (dpa)