auf vielfache Nachfrage (*grins*) nun der naechste Teil, der den Zeitraum von meinem ersten AA-Meeting bis zu meinen ersten trockenen Tagen enthaelt. (Es folgt dann irgendwann noch ein Teil 3)
29. Mai 2001: Ich sitze also in meinem ersten AA-Meeting, und warte drauf, dass mir jemand ein Patentrezept bietet, wie ich ohne Folgen "gesittet" trinken kann. Auch verstehe ich nicht, wieso die alle noch in die Gruppe gehen, die haben's doch eh schon geschafft. Obwohl mir keiner sagt, du darfst nie wieder trinken (bei den AA heißt es ja immer nur für heute, kann ich mir nicht vorstellen, auch nur einen Tag ohne Alkohol zu überstehen. Juni - Juli 2001: Ich saufe weiter, gehe aber regelmäßig in die Gruppe. Mit der Zeit begreife ich, dass ich meine ganze Lebenseinstellung ändern muss, um vom Alkohol loszukommen, aber wie soll das gehen, ich saufe ja nur, weil die ganze Welt so gemein zu mir ist. Und außerdem, schließlich sind da ja die Entzugserscheinungen, die würden bei meinem Job sofort auffallen (man versuche mal, eine M3-Schraube mit zittrigen Händen einzuschrauben.). Ich mache mehrere Versuche, wenig bis nix zu trinken, halte es aber maximal 2 Tage aus. Tief drin bin ich überzeugt, dass ich es niemals schaffen werde, aber ich gehe weiter in die Gruppe, aber eigentlich nur, weil mir die meisten recht sympathisch sind. Ende Juli - Anfang August 2001: 2 Wochen dienstlich in Amerika auf Konferenzen, aber nur Zuhörer. Die 1. Woche in L.A., zuhause hab ich im Netz schon nach der Adresse der dortigen Aas gesucht. Als ich mal Zeit habe, suche ich eine Adresse, die es nicht gibt (ich hab wohl die PLZ für die Hausnummer gehalten.) ich gehe in ein riesiges Gebäude mit vielen Firmen und einem streng blickenden Portier am Eingang, um nach der notierten Adresse zu fragen. Er erklärt mir, dass es diese Adresse nicht gibt. Als ich auf seine Frage, wo ich hin will, sage zu den AA wird er plötzlich total freundlich, erzählt mir, wie sein Vater durch AA trocken geworden ist, und setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um für mich herauszufinden, wo in der Gegend Meetings stattfinden. Schließlich stellt sich heraus, dass im Nachbargebäude meines Hotels 4 mal wöchentlich ein Meeting stattfindet. (diese besuche ich dann auch). Letzter Tag in L.A., mein Kollege und ich haben einen freien Tag und wollen eine ehemalige Kollegin in Santa Barbara besuchen, bevor es nach Denver weiter geht. Ich beschließe, das soll mein letzter Tag mit Alkohol werden (26. Juli 2001), nachdem ich in den letzten Tagen bereits versucht hab, weniger zu trinken. Am morgen des Ausflugs nach Santa Barbara geht's mir noch gut (hab ja noch einen Alkoholspiegel vom Vortag), zu Mittag würde ich gern ein Bier trinken, denke mir aber, es ist noch nicht schlimm, notfalls eben am Abend. Am Abend ziemlicher Saufdruck, aber gleichzeitig auch etwas stolz, dass ich seit langem einen ganzen Tag lang noch keinen Alkohol getrunken habe. Ich verschiebe mein Bier auf den nächsten Tag - Anwendung der nur für heute - Regel (und es funktioniert). Kann zwar erst nach Mitternacht einschlafen, aber ich habe heute nichts getrunken. Nächster Tag - zurück nach L.A., übernachten und in den Flieger nach Denver, ich verschiebe das nächste Bier immer um einige Stunden, zwischendurch hab ich manchmal Schweißausbrüche. Ankunft im Hotel in Denver - meine VISA-Card wird nicht akzeptiert - jetzt nix zu Saufen ist Strafverschärfung. Irgendwie kann ich mir jedoch einreden, dass es durch's Saufen auch nicht besser wird, außerdem hab ich mir gleich die lokalen AA-Kontakte aus dem Telefonbuch rausgesucht. Ich "überstehe" auch diese Woche - mit Hilfe einiger sehr schöner Meetings (bin wirklich überrascht, wie freundlich man aufgenommen wird - ein Freund aus der dortigen AA-Gruppe hat mich sogar zu einem Morgenmeeting extra vom Hotel abgeholt, weil zu dieser Zeit noch kein Bus fuhr.) August 2001: Zurück in A - die körperlichen Symptome sind weitgehend verschwunden, aber der Alltag mit seinen großen und kleinen Problemen hat mich wieder, und der psychische Saufdruck ist immer noch da. Ich lasse mir von meinem Hausarzt, der meine Problematik kennt (und außerdem ehemaliger Alkoholmissbraucher ist) ein leichtes Antidepressivum verschreiben. Außerdem will ich die bis jetzt geschaffte Woche (mit Zeitverschiebung und Restalkohol definiere ich den 28. Juli nun als meinen ersten trockenen Tag) nicht wegwerfen, also entledige ich mich der immer noch vorhandenen Biervorräte in meiner Wohnung.
was ich jetzt gelesen habe hat mich dazu animiert, auch eine ausführlichere Schilderung meiner letzten 2 bis 3 nassen Jahre und der anschließenden "Trockenlegung" zu schildern; jedenfalls, soweit ich das noch hinbekomme. Wird zwar ein Weilchen dauern, aber ich werde das auch so machen wie du: in mehreren Abschnitten.
Was bei mir NIE und NIMMER funktioniert hat kann ich aber jetzt schon schreiben: Mehrere Tage ohne "Stoff" bewirkten bei mir eine solch massive Anhäufung von körperlichen Entzugserscheinungen, daß mir sogar meine damalige behandelnde Ärztin empfohlen hat, sofort etwas zu trinken. Natürlich mit dem Hinweis, eine Entgiftung zu machen. Aber dazu später mehr.
Und - du schreibst das alles sehr deutlich und bildhaft. Danke dafür.
freut mich, wenn euch mein Schreibstil gefaellt ;-) ich hab ja zuerst versucht, es emotionslos zu schreiben - aber es geht ohne persoenliche Dinge gar nicht. Mit den koerperlichen Symptomen hatte ich wohl das Glueck, dass bei mir erst in den letzten eineinhalb Jahren meiner "Saufkarriere" der Uebergang von der psychischen zur koerperlichen Abhaengigkeit war, deshalb vermutlich ueberhaupt die Moeglichkeit, ohne medizinische Hilfe zu entziehen...