Hi-Alle,
Freue mich natürlich das einige meinen Beitrag“ Meine ersten 21 Tage“ gelesen haben und freue mich natürlich auch über die Reaktionen darauf.
Anknüpfend möchte ich meine Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen während meiner 4- monatigen Langzeittherapie schreiben.
Wieder der Hinweis für Nichtinteressierte X(anklicken)
Wie ging es weiter?
Da werde ich mal das Erinnerungskarussell in Schwung bringen.
Gehe noch mal zurück zum Ende meiner AEB (21 Tage). In der letzten Woche lernte ich einen Patienten kennen der eine sehr eigenartige Hilfe benutzte um „trocken“ zu bleiben. Ich unterhielt mich mit ihm und erzählte mir folgendes:
Da er im persönlichen Leben desöfteren Probleme hat und dann einem ungeheuren Saufdruck wiederstehen muss. ( Alkohol als Problemlöser?) und schon Rückfälle dadurch gehabt hat ihm ein Arzt einen „Deal“ vorgeschlagen:
Und zwar das Besagter sich in gewissen Zeitabständen prophylaktisch für eine Woche in die Entgiftungsstadion einweisen lies.
Das schloss natürlich einen Rückfall nicht aus aber es brachte dem Patienten zwei Vorteile:
Er hatte ein zeitliches Ziel vor Augen und war sehr stolz wieder eine Phase geschafft zu haben und das in ihn gesetzte Vertrauen nicht enttäuscht zu haben.
Sein Gesundheitszustand wurde in regelmäßigen Abständen gründlich gecheckt. Natürlich bezweifle ich ob diese Art der Aufrechterhaltung einer Abstinenz auf jeden anwendbar ist. Aber der Zweck heiligt die Mittel. Bei Ihm jedenfalls ging es schon 3 Jahre gut.
Natürlich wusste ich nicht wie es mir während der 8 Wochen bis zur Langzeit ergehen würde. Ich hatte so viel Schauergeschichten über Saufdruck und dergleichen gehört und natürlich einige sogenannte Drehtürpatienten erlebt. Ihr wisst hoffentlich was ich meine.
Jedenfalls bin ich zu meiner behandelnden Ärztin und habe gefragt ob dies für mich in den 8 Wochen einmal möglich wäre. Und bin dann nach 4 Wochen noch mal eine Woche eingezogen. Im Nachhinein schätze ich mal so ein: Ich hätte es nicht gebraucht.
Egal! Vorbeugen ist besser als heilen.
Zwischendurch besuchte ich noch 2-Mal die Suchtberatungsstelle und versuchte nun meiner Suchtberaterin zu entlocken wie es denn so ablaufe während dieser Langzeit.
Zu dieser Frau hatte ich übrigens ein sehr großes Vertrauen und sie hat mir auch im Anschluss an meine Therapie noch sehr geholfen.
Na ja einen wichtigen Tipp gab sie mir ich solle mich nicht provozieren lassen. Wie sie das gemeint hatte wurde mir leider erst klar nach dem es passiert war und ich mir mein loses Mund werk verbrannt hatte.
So nun zur Therapie
Das Fachkrankenhaus liegt ungefähr 60 Km von meinem ehemaligen Heimatort entfernt mitten in riesigen Wäldern. Also absolut ruhig. Kein Autogeräusch nur Vogelgezwitscher. Es kann 168 Patienten aufnehmen und war damals ständig voll belegt. Es bestand aus mehreren Häuser neu gebaut und ich glaube erst 5 Jahre eröffnet.
Dem ersten Eindruck nach so * * * *Hotel.
Kurze Beschreibung:
Anmeldegebäude mit Bürotrakt, Medizinscher Versorgung,
Riesiger Speisesaal, Cafeteria, Bücherei, Fahrstühle(für Patienten wie mich“g“)
Im Keller: Sporthalle, Kegelbahn, Fitnessraum, Physiotherapie, Hallenbad und Sauna.
Unter anderen Umständen vielleicht der Ort um mal richtig auszuspannen.
Dann gibt es noch 3 Häuser in denen jeweils 50 Patienten auf 2 Etagen untergebracht sind.
1 Mutter-Kind-Haus (was ich toll fand)
Als Arbeitstherapie konnte man/Frau in der klinikeigenen Gärtnerei, Tischlerei und Schlosserei arbeiten.
In der Beschäftigungstherapie wurden Körbe geflochten, Speckstein bearbeitet kleine Gemälde angefertigt. Ich habe da Menschen kennen gelernt in denen wahrscheinlich der Künstler verloren gegangen war. Vielleicht sind sie es heute. Wer weiß?
Oh Gott, das hätte ich bald vergessen:
Da dieses Einrichtung einem Kirchenstift angehört gab es natürlich auch einen sehr schönen Ort wo gläubige Menschen ihre Gebete und ihren Gottesdienst abhalten Konnten. Sorry.
Das ist eine Luftaufnahme der Klinik
(Klinikeingang Luftaufnahme ist futsch...lach)
Andere Fotos folgen in den Fortsetzungen!
Pünktlich angekommen natürlich mit meiner Frau der Guten und wieder mal dieses flaue Gefühl im Magen in die Anmeldung. Mir wurde ein Bett im 2-Bettzimmer zugewiesen. Diesmal hatte ich Glück. Mein Mitpatient war 60 Jahre alt, geistig voll auf der Höhe, ein überaus sympathischer, kumpelhafter Raucher. Er arbeitete übrigens beim Zoll. Wir verstanden uns wirklich prima. Natürlich war meine Glückssträhne nicht von Dauer. Wie sollte es auch sein.
Es ging schon wieder bei der Aufnahmeuntersuchung los. Die Aufnahmeärztin hatte auch Ihren ersten Arbeitstag nach 10-jähriger Pause vom Berufsleben. Alles streng nach Lehrbuch. Ich hab sie dann unterstützt weil ich ja teilweise mehr wusste wie sie. Sie war mir auch sehr dankbar. Anschließend kannte ich Ihre ganze Familiengeschichte aber das war es dann auch.
Ihr Gastspiel in der Klinik dauerte nicht ganz so lange wie Meines. Egal.
Nach einer Woche wurde ich wieder verlegt und in eine Gruppe eingebunden. Wurde allerdings auch von meinem Zimmerkollegen getrennt und kam auf ein Zweibettzimmer (behindertengerecht eingerichtet)
d.h. Größer als andere Zimmer, Dusche mit Sitz usw. (Obwohl ich nicht behindert bin) Aber es wurde jedes Bett gebraucht.
Mit meinem neuen Zimmernachbarn ging’s auch auszuhalten. Er hatte nur noch 14-Tage und dann hat mich das Glück wieder Mal verlassen. Aber dazu später. Mein Therapeut hatte mein Alter also kein Jungspund mehr und außerdem 20- Jahre Erfahrung in der Suchtarbeit. Manchen hat’s nicht gepasst aber ich wahr zufrieden denn ich hatte die Einstellung so viel wie möglich an Wissen über das Thema Sucht zu bunkern (ja hier spricht ein Alkoholiker ich kenn mich aus mit bunkern), und da gibt’s wohl keinen besseren Lehrer als einen Menschen mit solch einem Erfahrungsschatz. Hätte ich natürlich bloß meine Zeit da abschlafen wollen oder wäre da gewesen um heil über den Winter zu kommen hätte es ein blutiger Anfänger auch getan. Logisch jeder fängt mal an. Aber für mich war es optimal so wie es war. Diese Schilderung klingt nun im Nachhinein so als wäre zwischen meinem Therapeuten und mir
Liebe auf den ersten Blick gewesen. Nein das war es nicht. Auf keinen Fall. Ihr werdet es nicht glauben, aber mir ist er nach meiner Entlassung so richtig klar geworden was dieser Mensch mir gegeben hat. Bis dahin habe ich Ihn wohl als notwendiges Übel betrachtet. Das war jedenfalls meine Sichtweise zum Anfang der Therapie. Meine ersten zwei Gruppenstunden verbrachte ich wohl mehr mit zuhören. Natürlich musste auch ich mich vorstellen. Aber wie schon mal gesagt unter „sich vorstellen“ verstand ich damals schon was anderes wie diesen
leider wahren Satz „Ich bin Alkoholiker….“. Na gut die ersten 2 Gruppenstunden verbrachte ich mit zuhören und war wahrscheinlich auch damit beschäftigt meine „Leidensgefährten“ zu studieren und mir ein erstes Bild von Ihnen zu machen. Es war für mich natürlich sehr interessant die Aufendhaltsgründe der Gruppenmitglieder kennen zu lernen. Wenn ich daran zurückdenke rollen sich mir heut noch die Fußnägel hoch. Sorry. Man, Man, da war der Taxifahrer der seinen Schein wieder brauchte, da war der liebe Ehemann der Angst vor der Scheidung hatte, da war der 5-fache Familienvater der nach der Scheidung Abstand brauchte,
da war der SEK-Beamte (Sondereinsatzkommando) der Angst um seinen Job hatte, da war das Muttersöhnchen den die Mutter hergetrieben hatte weil der Vater auch ein Säufer war. Diese Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Zu einigen „Originalen“ komme ich später noch. Wollte ja eigentlich über mich schreiben. Aber um mich zu verstehen muss man schon die Umgebung etwas kennen. Jedenfalls war mein erster Eindruck, dass ich sehr wenige treffen würde die denselben ehrlichen Grund für eine Therapie hatten wie ich „Noch nicht zu verrecken“oder noch ein „Weilchen zu leben“ Sorry für meine etwas derbe Sprache. Aber auch diese Menschen haben ihren Anteil daran das ich heut im Kopf so weit bin. Ich hatte mir da angewöhnt (klingt etwas blöd- ist aber positiv zu sehen) meine Mitpatienten zu benutzen.
D.h. Durch zig Gespräche mit den Leuten viel über Sie und unsere Krankheit zu erfahren über Entstehungsgründe, Rückfälle usw. Im Kopf selektierte ich dann. Wie im Märchen „Aschenputtel“. Natürlich nicht die Menschen sondern die Umstände die zum Rückfall führten oder auch Dinge mit der man eine zufriedene Abstinenz leben konnte. Also ich verwertete alles Brauchbare für mich. Natürlich habe ich auch immer meine Sicht zu der Sache dargelegt und ich schätze mal einigen werde ich schon auch geholfen haben oder sie zumindest veranlasst darüber nachzudenken. Das klingt jetzt alles so einfach im nach hinein beim Schreiben, ich staune über mich, aber so einfach war’s damals wirklich nicht. Ich glaube aber das ist wohl das allerwichtigste gewesen. Immer wieder das EHRLICHE OFFENE Gespräch mit dem Menschen
zu suchen. Wir haben manchmal 8-Mann bis früh 2 Uhr auf einem Zimmer gehockt und sehr heiße Debatten geführt, bei einem Käffchen versteht sich. Natürlich gab’s dann auch mal den schon vorprogrammierten Ärger mit unserem Therapeuten aber wir haben es überstanden.
Die Gruppengespräche wurden auch immer interessanter da sich unsere Gruppe zum größten Teil erneuert hatte. Und es machte richtig Spaß die verschiedenen Meinungen aufeinander prallen zu hören, Es blieb jedenfalls nichts im Raum stehen was nicht ausreichend und ordentlich beantwortet wurde. Was nun jeder persönlich daraus mitgenommen hat kann ich nicht sagen. Ich jedenfalls eine ganze Menge.
Ach ja da wahr ja noch einmal in der Woche Großgruppenstunde.
D.h. Alle Patienten des Hauses trafen sich einmal die Woche um gemeinsam über Probleme innerhalb der Klinik, Organisatorisches und evtl. vorgegebene Themen zu diskutieren. Dazu muss ich sagen dass so gut wie keine Diskussionen aufkamen. (zu diesen Themen)Selbst eingefleischten „Kodderschnauzen“ wie mir fiel das reden die erste Zeit sehr schwer. Sorry. Das ergab sich einfach daraus das sich die meisten doch ziemlich fremd waren. Aber ein Thema war wirklich beliebt. Rückfallbearbeitung! Es verging Kaum eine Woche in der nicht wieder mal einer schwach wurde. Und dieser Vorfall wurde natürlich vor der Großgruppe ausgewertet. Ich stell mir es vor wie ne Steinigung als Betroffener. Schon allein der Gedanke an eine Stellungnahme vor der Großgruppe hätte mich von einem Rückfall abgehalten. Aber meine Gründe für Abstinenz sind eben andere. Jedenfalls war ich einige Male sehr betroffen wie so mancher Mitpatient regelrecht zerfleischt wurde. Und größtenteils waren diejenigen die Wortführer die später denselben Mist verbockten aber in den gesamten Ablauf, von der Entstehung bis zur Aufarbeitung, sich echt dümmer „anstellten als wie es die Polizei erlaubt“.
Bevor ich den 1. Teil meines Erlebten beende möchte ich noch einmal darauf zurückkommen was mir meine Suchtberaterin empfohlen hatte, also worauf ich achten solle.
Natürlich dachte ich zum damaligen Zeitpunkt schon längst nicht mehr an Ihre Worte.
Mir wurde erst sehr viel später klar was gemeint wahr mit „Provokationen“,
„ Konfliktsituationen“, „Eigene Grenzen ausreizen“ und vielen anderen Dingen die im wirklichen Leben vorkommen und gar nicht mehr wahrgenommen werden. Ich spreche immer vom wirklichen Leben. Die meisten wissen, ich meine damit: Während der Therapie lebt man wie unter einer Käseglocke und nach der Entlassung sieht die Welt, der Tagesablauf und vieles …ganz anders aus.
Da gab es z.B. eine Hausordnung die besagte:
Wenn Patienten Päckchen empfangen sind diese vor dem Gruppentherapeuten zu öffnen und dieser darf den Inhalt kontrollieren um evtl. verstöße gegen die Hausordnung festzustellen (Alkohol und Drogen)
Das wertete ich als permanenten Eingriff in meine Privatsphäre. Und als ich das erste Mal wegen dieser Kontrolle explodierte und mit meinem Therapeuten aneinander geriet bekam ich nur die trockene und nüchterne Antwort „Diese Hausordnung haben sie unterschrieben“.
Das blöde war, der Mann hatte Recht und ich konnte nix machen als mir keine Päckchen mehr schicken zu lassen.
Einige werden jetzt sagen was hat der für Geheimnisse.
Hatte ich nicht, kannte aber diese Art von Kontrollen aus meiner NVA-Zeit (Nationale Volksarmee) und es war für mich schon immer entwürdigend wenn jemand ohne mein Einverständnis in meinen Sachen schnüffelte.
Und ich empfand es wirklich als reine Schikane.
Denn wir hatten nach ein paar Tagen Aufnahme Ausgang und konnten ganze Spirituosenlieferungen in die Klinik bringen wenn wir gewollt hätten.
An solchen Tagen hab ich dann manchmal überlegt ob ich auch die richtige Therapieform gewählt hatte.
Ich könnte jetzt noch ne ganze Latte aufzählen wo ich immer wieder mit Hausordnung, Bestimmungen, Anweisungen und Zeitplänen kollidiert bin.
Im Nachhinein kann ich nur darüber lächeln
Aber zum damaligen Zeitpunkt dachte ich wirklich man hätte diese ganzen Ver-und Gebotsschilder nur für mich aufgestellt.
Nur aus einem Grund um Reiner zu schikanieren.(lach)
Dabei war’s nicht anders als im wirklichen Leben wo es auch Gesetze und Verhaltensregeln gibt.
Jetzt möchte ich diesen Teil beenden sonst wird es zu lang und damit auch langweilig.
Ich schätze aber es werden noch ein paar sehr interessante und lustige Fortsetzungen folgen.
Es gibt ja auch noch eine ganze Menge worüber ich schreiben könnte und auch möchte.
Ich selbst finde es sehr interessant, meine damalige und heutige Denkweise zu vergleichen!
Auch würde ich mich über Meinungen, Fragen und Kritik sehr freuen.
Einen schönen Tag wünscht Euch Reiner