vor drei Tagen fand ich diese Seite über die Seite „alkohol-hilfe.de“. Mein Dank an dieser Stelle an Thomas Kühne - eine tolle sehr hilfreiche Seite.
Ich bin Alkoholikerin. Auch ich möchte hier meine Geschichte erzählen - obwohl es mich Überwindung kostet - die Scham ist doch sehr groß. Trotzdem ist es vielleicht ein kleiner Schritt aus meiner jahrelang peinlich gepflegten Isolation. Denn ich war eine Meisterin der Verstellung, ich war so gut, daß bis heute niemand mitbekommen hat, was wirklich mit mir los war.
Ich habe 15 Jahre lang getrunken. Es fing an mit dem Bier nach Feierabend, daß ich damals noch in Gesellschaft mit anderen zu mir nahm. War ja nicht so schlimm - es tranken ja alle. Ab und zu mit einem dicken Kopf zur Arbeit - ging den anderen ja auch so, wir machten noch unsere Witze darüber.
In den ersten Jahren blieb es bei zwei bis vier Feierabendbieren und es machte mir damals auch nichts aus, längere Alkoholpausen einzulegen. Irgendwann konnte ich Bier nicht mehr ausstehen, es machte dick, und ich fing an, Wein zu trinken, das fand ich „feiner“.
Über Jahre trank ich jeden Tag eine Flasche Wein - nicht mehr - aber auch nicht weniger. Ich war auch immer der Meinung, ich hätte alles unter Kontrolle. Das meinte ich auch, als ich schon längst für mich allein trank. Ich vermied Verabredungen, denn dann konnte ich es mir ja mit meiner Flasche Wein nicht „gemütlich“ machen.
Ja - so mogelte ich mich durch weitere Jahre, - niemand merkte etwas, mein Mann trank auch seine Bierchen, der äußere Rahmen bot keinen Anlaß, etwas zu ahnen. Dann die Scheidung. Freiheit - ich konnte machen, was ich wollte, Einsamkeit - ich konnte trinken, soviel ich wollte - bekam ja niemand mit.
Ich fing an, nach der ersten Flasche die zweite zu öffnen - nur für ein Glas. Doch war die zweite Flasche erstmal auf, dann war sie schneller leer, als die erste. In dieser Zeit fing ich an, mein Trinken zu „kontrollieren“, da ich mir selbst nicht mehr traute. Das ging zeitweise gut - es blieb wieder bei der einen Flasche.
Nur an den Wochenenden, in denen ich mich zuhause einigelte - und was neu war: schon vormittags zu trinken anfing, war an Kontrolle nicht mehr zu denken. Vielleicht nahm ich mir nach dem ersten Glas noch vor, nach einer Flasche aufzuhören. Doch war ich nach dieser Flasche ja schon betrunken, der Verstand ausgeschaltet und der Abend noch nicht einmal angebrochen.
Es folgten fürchterliche Tage nach solchen Gelagen. Ich bekam Ängste, die ich vorher nicht hatte, mein Körper meldete sich mit seltsamen Symptomen. Meine Hände kribbelten, ich hatte Herzschmerzen, Panikattacken und meine Beine gingen zeitweise wie auf Watte. Irgendwo tief in mir drin wußte ich, was mit mir los war, wollte es mir aber nicht eingestehen.
Nach außen hin war ich die stets gut gelaunte, allwissende, lustige top-gepflegte Frau, die man kannte. Daß mir das nur noch unter größter Anstrengung gelang, das wußte keiner. Wie verzweifelt ich damals schon war, wußte erst recht keiner. Denn mittlerweile hatte ich meine ersten Filmrisse. Ich konnte mich nur noch an bestimmte Fragmente des letzten Abends erinnern, ich wußte, ich hatte telefoniert - ich wußte auch noch, mit wem - aber ich wußte nicht mehr, was ich gesagt hatte. Das schlimme war, das ich immer vom Schlimmsten ausging: hatte ich dummes Zeug erzählt, hatte der andere gemerkt, das ich betrunken war? Oh Schande. Ich durchlitt ganze Tage, wartete, bis derjenige sich wieder meldete, (warum meldete er sich nicht - will er nichts mehr von mir wissen?), um dann nach und nach erleichtert festzustellen, daß alle Angst umsonst war - es war mal wieder nicht aufgefallen, es war alles gut. Also konnte ich ja weitermachen.
Eines Sonntagmorgens wachte ich auf - und mir war ganz seltsam zumute. Ich hatte das Gefühl irgendwas dunkles, bedrohliches kommt auf mich zu - ich bekam so eine Art Todesangst. Ich ging erstmal duschen - das war so eine Macke - je beschissener es mir ging, desto mehr Zeit verwand ich darauf, mich äußerlich so herzurichten, daß es von meinem Inneren ablenkte. Trübe Augen konnte man überschminken - meine Angst nicht. Etwas später bekam ich Herzrasen. Mein Herz schlug so schnell, daß es mir unmöglich war, stillzusitzen. Ich lief nach draußen. Ich lief, ich rannte - ich rannte trotz meiner Erschöpfung, solange bis ich mein rasendes Herz einholte. Und ich betete. Ich flehte Gott an, wenn es ihn denn nun geben sollte, er möge mir bitte bitte helfen. Ich war zutiefst verzweifelt und ich war unendlich einsam, ich hatte nur Gott, sonst niemanden.
Bis heute glaube ich, daß Gott mich an diesem unglückseligen Nachmittag gehört haben muß, denn er schickte mir postwendend einen Willen, den Willen, mit dem Saufen aufzuhören. Ihr könnt darüber lachen - aber ich glaube fest, daß es so war. Für sechs Wochen trank ich keinen Schluck. Mir ging es von Tag zu Tag besser, vor allem wurde alles leichter, weil ich nichts mehr verstecken mußte, mich nicht mehr verstellen mußte. Keine heimlichen Fahrten bei Nacht und Nebel zum Glascontainer, damit niemand die vielen leeren Weinflaschen sieht. Es wurde alles so leicht, daß ich übermütig wurde.
Ich war zum Geburtstag eingeladen und meinte, ein Bier könnte ja nicht schaden. Das eine Bier schadete mir auch nicht. Auch die Flasche Wein am drauffolgenden Wochenende schadete mir nicht. Ich hatte ja alles unter Kontrolle. Den Rest muß ich wohl nicht erzählen. Es folgten drei verlorene Wochen.
Seit 20 Tagen bin ich wieder trocken und möchte es auch bleiben. Ich weiß, daß ich niemals wieder kontrolliert trinken kann. Am Freitag werde ich zum erstenmal in eine Selbsthilfegruppe gehen, damit ich nicht irgendwann wieder übermütig werde. Mir geht es zur Zeit gut, der Gedanke an Alkohol ist noch so eng verknüpft mit meiner Todesangst, den körperlichen und seelischen Qualen, dem Streß der Maskerade, daß ich nichts vermisse und dankbar bin für jeden Tag, den ich nicht trinke. Ich hoffe, ich konnte etwas Sinnvolles zu dieser Seite beitragen, wenn diese Geschichte auch stark gestrafft ist und längst nicht das wiedergeben kann, was ich an Verzweiflung erlebt habe. Aber ich möchte mir selbst und vielleicht anderen an dieser Stelle nochmal Mut machen, damit meine schwere Zeit nicht ganz umsonst war.
Helena!!!!herzlich willkommen Schön das Du dieses Board gefunden hast,ich habe deine Geschichte gelesen und festgestellt das es immer wieder gemeinsamkeiten gibt,ob in Deiner oder anderen erzählungen.Aber was ich gut finde ist, das Du Dich einer Gruppe anschliessen willst.Das finde ich sehr wichtig,meine erfahrungen in einer Gruppe haben mir gezeigt das du mit deinen Problemen nicht alleine bist,das du dich nicht schämen brauchst,denn es sind alles gleichgesinnte die alle eins gemeinsam haben ein Alkoholproblem.Dort kannst du offen über deine gefühle sprechen,brauchst nichts vertuschen und dich gar verstecken. Viele liebe Grüße Gitti
vielen Dank für Deine Antwort. Ich mußte beim Lesen etwas Schmunzeln , denn auch Deine Geschichte hat mich in ihrer Offenheit, Ehrlichkeit und ausdruckstarken Erzählweise sehr beeindruckt.
Heute melde ich mich hier offiziell an, gestern hatte ich noch nicht den Mut und wollte erstmal Reaktionen abwarten.
Ich muß erst noch lernen, daß ich mich nicht mehr verstecken brauche.
Nochmals Danke für das feetback, ich bin sicher, wir lesen noch öfter voneinander.
auch an Dich ein dickes Dankeschön für Deine Antwort. Wenn ich lese "zehn Jahre trocken", dann kann ich nur den Hut ziehen. Es ist schön, willkommen zu sein. Ich melde mich später nochmal, muß jetzt los.
Auch von mir erstmal ein"Hallo", und auch ich sah viele Paralellen in deiner Geschichte mit mir.Auch ich hoffte das man am Arbeitsplatz meine letzte durchzechte Nacht nicht sah. Wir haben noch mehr Gemeinsamkeiten ....auch ich entschloß mich gerade eine Gruppe aufzusuchen und nahm Kontakt auf, denke daß das trotz meiner unregelmäßiger Arbeitszeit bald klappt.
Ich wünsche dir alles Gute und freu mich bald mehr zu lesen!
Ui das ist ja heftig, Deine Story. Bis jetzt dachte ich eigentlich, das ich auf dem besten Wege bin alkoholabhängig zu werden, denn ich trinke jeden Tag Bier.
Aber so etwas heftiges ist mir noch nicht passiert.
war nicht so zynisch gemeint, wie's vielleicht rueberkam, aber bei regelmaessigem Konsum (auch wenn's vielleicht nur 1 Bier ist) sollte man aufpassen...
auch von mir ein Hallo hier, obwohl ich sogar erst später dazu gekommen bin. Letztendlich hatte aber auch Deine Geschichte dazu beigetragen, dass ich mir Mut fassen konnte.
Ich glaube, ich hätte mit dem Trinken länger (von mir unbemerkt) weitermachen können, wenn ich meine Räusche ausgeschlafen hätte. Aber es ging nicht. Wie gerädert wurde ich nach 5, 6 Stunden wach und konnte nicht mehr einschlafen, weil mein Herz Alarm schlug. Noch keine Angstzustände, aber eben doch so, dass an Schlafen nicht mehr zu denken war. Also stand ich auf, hievte mich durch den Tag, denn selbst ein Mittagsschlaf war wegen der Bummerei kaum möglich. Am frühen Abend war ich dann sehr müde, hätte schlafen können, aber was mache ich gegen 23:00 Uhr, wenn ich wieder wach werde und alle anderen schlafen? Also habe ich nun getrunken, um mich wach zu halten. Da der Abend noch lang war, habe ich eben längere Zeit vor mich hin gesübbelt. Und Vormittage allein habe ich inzwischen auch zum Trinken "genutzt". Viel geschafft dabei, so mit Wäsche und Saubermachen. Hatte nur immer Angst, dass jemand klingelt und was will. Also war ich leise und notfalls eben "nicht da".
Den Mut, wieder zu einer Gruppe zu gehen, habe ich aber (noch) nicht wieder.
die Geschichte ist zwar schon aus dem Jahr 2002, aber ich habe sie trotzdem gerne gelesen. Helena beschreibt sehr anschaulich, welche Qualen man als nasser Alkoholiker erlebt.
Wollen wir hoffen, dass es ihr gut geht!
Liebe Grüße vom Grufti! Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden (Mark Twain)
die Geschichte ist zwar schon aus dem Jahr 2002, aber ich habe sie trotzdem gerne gelesen. Helena beschreibt sehr anschaulich, welche Qualen man als nasser Alkoholiker erlebt.
Wollen wir hoffen, dass es ihr gut geht!
Liebe Grüße vom Grufti! Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden (Mark Twain)