ZitatGepostet von stiller Mitleser [Gast] ... daß die überwiegende Mehrzahl der Poster kein großes Interesse an wirklich über "die offiziellen, und allgemeingültigen Thesen" hinausgehenden, tiefgehenden und auch mal das eine oder andere "zementierte" hinterfragenden Diskussionen haben...
Hi stiller Mitleser,
also: ich bin bei solchen Diskussionen mit Sicherheit dabei . Einen Vorschlag bzw. ein Thema/eine These hätte ich auch:
Ein Alkoholabhängiger, der nie einen Rückfall hatte, ist keiner.
Beim Thema "Gibt es Alkoholismus ohne Rückfall?" kann ich mich nur schwer zurückhalten.
Es gibt "unfallfreie" Autofahrer, die kann man zwar Autofahrer nennen, aber nicht "Bruchpiloten" oder ähnliches.
Es gibt Menschen die trinken Alkohol. Dostrojewski hat in den Brüdern Karamasow die Unterscheidung getroffen und gut geschildert, zwischen dem Säufer und dem Trinker. Von außen lassen sich die beiden nicht unterscheiden. Aber von innen: der Trinker hat die Lust d.h. die Fähigkeit zum Genuss verloren. Er wehrt sich dagegen. Er will nicht mehr doch er muss.
Ein(e) Alkoholiker(in) ist jemand der wieder Willen trinkt. Und er hört auf, wenn er diesem Willen Geltung verschaffen kann.
Und auch bei diesem Willen ist zu unterscheiden zwischen Wollen und Wünschen. Die AA's sprechen vom "Wunsch mit dem Trinken aufzuhören". Damit meinen sie, dass es eine Angelegenheit des Herzens ist, und keine des Hirns.
Die Umstände bei denen jemand aufhört, sind so vielfältig wie die Betroffenen selbst - und diese Umstände werden gerne als Gründe angeführt, aber es ist eher ein `als´ denn ein `weil´(...er hat aufgehört als/weil der Partner mit Trennung droht)
Die entscheidende Frage beim Aufhören ist die des Tiefpunktes: Bill W. der Gründer der AA's hat dazu geschrieben (ich paraphrasiere), `es gibt welche, die haben noch das Auto in der Garage, die Frau am Herd und gehen täglich zur Arbeit, trotzdem ist ihr Tiefpunkt ein moralischer. Das ist meines Erachtens der entscheidende Punkt der die Sucht beschreibt. Das Suchtmittel (Drogen, Hungern, Arbeiten, Sex oder was auch immer) vernichtet das Individuum moralisch. Und mit dem Verlust der Moral verliert das Leben seinen (letzten) Sinn. Es ist die Sinnlosigkeit die einen zum Aufhören bringt..
Natürlich gibt es Leute, denen das Saufen unbequem wird und die dann aufhören, aber ich würde sie nicht als Alkoholiker bezeichnen und ich glaube auch kaum dass sie das als beleidigend empfinden
Ein Alkoholabhängiger, der nie einen Rückfall hatte, ist keiner.
Diese 'These' beruht auf folgendem Gedankengang: Ein Alkoholabhängiger, der aufgehört hat Alkohol zu trinken und keinen Rückfall hatte kann nicht feststellen, ob er nach dem "berühmten" 1. Glas nicht doch aufhören würde, also ob er nicht doch nur 1 Glas trinken und dann auf Wasser umsteigen würde. Und das auf Dauer.
Betonen möchte ich noch, dass dies kein kontrolliertes Trinken wäre, jedenfalls würde ich es nicht als ein solches ansehen.
Und diese These stellt auch nicht meine persönliche Einstellung dar, denn ich habe für mich meine Abhängigkeit längst erkannt und akzeptiert.
erst nach meinem Rückfall im letzten Jahr nach sechs Wochen Abstinenz weiß ich ganz sicher, daß das erste Glas für mich der Anfang vom Ende ist. Ich bin im Grunde froh darüber, daß ich nochmal so "blöd" war, den normalen Umgang mit Alk auszuprobieren. Es ging volles Programm in die Hose - ich war ganz schnell da, wo ich vorher aufgehört hatte. Jetzt weiß ich es ganz sicher - es würde immer wieder so ablaufen. Und da ich ja auch immer etwas ungläubig bin, bevor ich es nicht selbst ausprobiert habe - mußte ich da wohl nochmal durch, um ganz sicher zu wissen, daß ich eine Alkoholikerin bin. Seit genau 9 Monaten eine trockene! Freu!
Nachtrag: Eine echte Alkoholikerin war ich natürlich vor dem Rückfall auch schon - aber für die letztendliche Einsicht habe ich diesen Rückfall schon benötigt. Muß dazu sagen, daß diese sechs Wochen mein erster ernsthafter Versuch war, mit dem Trinken aufzuhören. Beim zweiten Anlauf hat es ja dann auch im Kopf gefunzt! [f1][ Editiert am: 12-07-2003 6:18 ][/f]
Tach zusammen, sicher muss ein Alkoholiker keinen Rückfall "vorweisen können", letzendlich hilft ein Rückfall aber, nicht mehr irgendwie doch noch die Hintertür zum weitertrinken zu suchen. Lesen,hören,miterleben haben zumindest mir nicht deutlich genug gemacht, dass es nach dem ersten Glas wieder losgeht,habe ja auch geglaubt,dass ich "kontrolliert trinken" könnte.Aber das hat natürlich nicht geklappt. Heute sind mir die unausweichlichen Folgen des ersten Glases ständig bewusst, "es könnte ja sein,dass.." und "vielleicht" gibt es nicht mehr. @ Gitti: In der letzten Woche hätte mir all meine Einsicht nicht geholfen,wenn ich nicht gewusst hätte,was ich tun kann. Und Danke für das , hat gut getan!
Jeder bekommt mal „Saufdruck“, aber wie geht man damit um? Bei mir war es doch auch und ich hatte vorher auch nicht die geringste Ahnung. Nur gut daß das immer kurz ist, ich sprach darüber in der SHG. Man sagte laß es auf dich zukommen es geht wieder vorbei, ich fand diese Antwort doof, weil diesen zustand wollte ich nicht, aber wenn man gefestigt ist weiß man auch damit umzugehen. Mich würde mal interessieren wie andere damit umgehen, also ich hatte beim ersten Mal Panik. Gruß Gitti
Stiller Mitleser
(
gelöscht
)
Beiträge:
14.07.2003 22:04
#9 RE: Alkoholabhängigkeit und Rückfall. Ein \'muss\'?
ich verstehe jetzt, was Du mit diesem "Thesensatz" aussagen möchtest. Und nach gründlicher Überlegung stimme ich dem sogar zu, wenn auch nicht ganz.
Es kommt sicher auf die Dauer und die Schwere der Alkoholkrankheit an, ob diese These zutrifft, oder nicht. Wenn ein Betroffener über viele Jahre hinweg so stark getrunken hat, daß er sich aufgrund dieser Trinkerei bereits am gesellschaftlichen und sozialen Abgrund befindet, wenn er zudem schwerste Entzugserscheinungen, und unter Umständen sogar bleibende Langzeitschäden davongetragen hat, dann braucht man bestimmt keinen Rückfall um sicher feststellen zu können, ob der Betroffene Alkoholiker ist, oder nicht. Und mit höchster Wahrscheinlichkeit ist vorauszusagen, daß bereits das "berühmte 1. Glas" für diesen Menschen der absolute und endgültige Untergang sein kann.
Es ist richtig, und ich kenne solche Menschen, daß es langjährige Mißbraucher gibt, die aufgrund dieses Mißbrauches gleiche Begleiterscheinungen wie Alkoholiker aufweisen. Aber, aus welchen Gründen auch immer, keine psychische Abhängigkeit entwickelt haben. Fast schon ein Phänomen, das alle mehrheitlichen Erfahrungen auf diesem Gebiet (fast) in Frage stellt.
Fakt ist jedoch auch, daß ein "Rückfall", und als solches muß man es ja in Unwissenheit dessen was an seinem Ende steht bezeichnen, immer zuerst einmal eine durchaus lebens- und existenzbedrohende Angelegenheit ist, aus der es (leider) oft kein Zurück mehr gibt. Bzw. der Rückweg nicht mehr gefunden wird. Sei das nun aus Scham oder warum auch immer.
Natürlich würde ich, gesetzt den Fall, daß es sich also (lediglich) um einen Mißbraucher handelt, nicht von kontrolliertem Trinken sprechen, wenn dieser Mensch wieder "normal" mit Alkohol umgehen kann.
Nur finde ich, daß das Ganze sehr viel von einem russischen Roulette an sich hat. Und niemand von denen, die sich darauf einlassen, weiß, ob er nun Mißbraucher oder Alkoholiker ist. Theoritisch. Allerdings steht dem noch eines, ganz Entscheidendes gegenüber. Nämlich daß die meisten Alkoholiker ja nicht gleich beim ersten Mal und auch nicht von heute auf morgen aufhören "konnten". Sondern daß sie zumeist eine wahre Odyssee auf dem Weg in den Ausstieg hinter sich haben. Wieviele Versuche aufzuhören waren es dann oft? Und wieviele "Rückfälle" bereits nach zwei, drei Tagen? Und wie schwer war alleine schon der Kampf in den darauffolgenden Wochen und Monaten der Sucht zu wiederstehen? Insgesamt betrachtet also wohl bereits eine ziemlich sichere Identifizierung zum Alkoholismus.
Gruss Mitleser
Eines wundert mich ein bißchen. Warum schreibst Du den letzten Satz "Und diese These stellt auch nicht meine persönliche Einstellung dar, denn ich habe für mich meine Abhängigkeit längst erkannt und akzeptiert." in deinen Beitrag? Es klingt, als müßtest Du jemand davon überzeugen. Aber wen?
Werner
(
gelöscht
)
Beiträge:
07.09.2003 17:54
#10 RE: Alkoholabhängigkeit und Rückfall. Ein \'muss\'?
wenn Du die Beiträge genau liest, dann verstehst Du, wie das gemeint ist. Sicherlich benötigt nicht jeder einen Rückfall, um zu erkennen, daß er Alkoholiker ist. In meinem Fall war es aber ganz heilsam, nach sechs Wochen Abstinenz nochmal anzutesten, ob es nicht doch mit dem kontrollierten Trinken klappt. Es klappte natürlich nicht. Nochmal muß ich das nun nicht ausprobieren. Mittlerweile will ich das auch gar nicht mehr - aber damals habe ich das für meine letztendliche Einsicht wohl doch benötigt. Dieser Rückfall hat mir denn auch meine letzten Fragen beantwortet. Learning by doing - !
Hallo Freunde, hier bin ich wieder. Herber Rückfall, 2 Wochen so gut wie bewußtlos. Seit 10 Tagen wieder trocken, erstaunlicherweise, nach den ersten Tagen durch die Entzugshölle, schon wieder ziemlich fit. Ich habe mich aber auch vom 2. Tage an mächtig in den A... getreten. Hab eben mit der SHG telefoniert, werde nun heute zum ersten Mal erscheinen. Etwas mulmig ist mir bei dem Gedanken, aber irgendwie geht's vorwärts in den letzten Tagen.
Glückwunsch zu deinem Entschluss und Daumendrück für heute Abend, wenn du zur Gruppe gehst. Denk daran, dass alle, die da um den Tisch sitzen ein "erstes Mal" hatten. Ein jeder von ihnen ist irgendwann zitternd über irgendeine Schwelle gegangen. Und keiner hat es vergessen.......Wenn du irgendwo richtig bist, dann dort in diesem Raum, an diesem Tisch - wo immer er auch sein mag.
Eine Anmerkung vielleicht doch noch: Es ist meiner Meinung nach immer schwierieg, allgemeingültige Regel zum Alkoholismus aufzustellen, es gibt keine notwendige Trinkmenge (erst wenn man 6 Flaschen Bier trinkt, ist es soweit), keinen allgemeinen Tiefpunkt (einem reicht es schon, wenn die Frau abhaut, der andere muß erst auf der Straße landen) und eben auch keine allgemeine Trockenwerdung. Ich bin der "heiße herdplattentyp". Ich mußte es noch mal wissen. Mir hat ein Rückfall gezeigt, das es keinen Sinn macht über eventualitäten nachzudenken, ich konnte mich als süchtigen Menschen beobachten (nach 9 Monaten abstinenz) und habe verstanden, wie unwürdig es ist, andauern angesoffen zu sein. Aber: ich hätte auch gerne auf diesen Rückfall verzichtet, er hätte mir um ein Haar den Job gekostet. Dennoch. Gefährlich ist der Spruch schon. Und zwar für alle, die gerade trocken werden. Er verniedlicht den Rückfall und macht leicht vergessen, das es durchaus Menschen gibt, die aus ihrem "ersten" Rückfall nicht zurückgekommen sind. Also Achtung: ein Rückfall ist scheiße gefährlich und nur dann möglicherweise nicht negativ, wenn er so schnell wie irgendmöglich, also sofort und jetzt wieder abgebrochen wird. Merryl
Tja, der Rückall ist nicht unumgänglich, soll es nicht sein, aber manchmal, denk ich an mich, notwendig, weil ich's wie mein Vorschreiber auch immer genau wissen möchte.
Wieviele hatte ich in meinem Trinkerleben ? Ja, 5 - 6 (+- 1 -2). Ich bin immer noch der Meinung: ich hätte des Alkohols nicht bedurft um mich fertigzumachen. Warum wollte ich das ? Mangelnder Selbstwert, Faktor Nr. 1, ein bischen neben der Realität leben und anderes mehr.
Als Alkoholiker benutze ich den Alkohol als Vehikel um dieses Ziel zu erreichen. Überspitzt formuliert: Der Alkohol ist mein Opfer. Ab einem gewissen Punkt, individuell verschieden, tritt Gegenseitigkeit auf, der Trinker wird Opfer - der Alkohol zeigt die mannigfaltigen, hässlichen Seiten auf. Aber bis zu diesem Zeitpunkt, glaube ich kontrollieren zu können wo's lang geht. Dieser Glaube beruhend auf Verletzungen, angeknackstem Selbstwert ?! Jedenfalls ein folgenschwerer Irrtum: der Glaube, und der schöne Gedanke, kontrollieren zu wollen/müssen lebt weiter - sehr lange noch.
Aber Trinker und Alkohol: eine gegenseitige, innige Verbindung. Jeder braucht den anderen. Beide können nicht von einander lassen
Die Wurzel liegt für mich wie oben beschrieben. Deswegen braucht der eine einen Rückfall, andere nicht.