ZitatKönnte man jetzt natürlich beliebig fortsetzen, ich lass es mal dabei bewenden.
Ne, könnte man nicht... der Minitiger kennt mich in einem Punkt gut und lange genug: Er weiß, wenn er jetzt nicht seinen Hintern hoch kriegt und mich von der Arbeit abholt, dann gibts Ärger!
ZitatMan muß aber doch auch ne Idee davon haben, warum man da ist auf diesem Planeten Erde! Ich liebe und benötige das Gefühl, gebraucht zu werden, eingebunden zu sein und meinen Part in dieser Gesellschaft zu leisten... meiner Meinung nach ist dieses positive Gefühl ein ganz grundsätzliche Bedürfnisse eines jeden Menschens...
Diese Gesellschaft mit ihrem Konsumscheiß bietet doch kaum noch sowas wie Werte und Anerkennung für den Einzelnen..
Ich hab mal das Zitat von Wilma hierein kopiert. Ich hoffe, das ist für Dich OK, Wilma? Ansonsten lösche ich es wieder.
Ich habe darüber nachgedacht, was dieses *gebraucht werden* und *Anerkennung* in der Gesellschaft für mich heute bedeutet.
Grundsätzlich denke ich, daß ich als Mensch im Berufsleben ersetzbar bin. Wenn ich den Job nicht mache, den ich mache, wird ihn ein anderer machen, ob besser oder schlechter als ich, ist dabei irrelevent, denke ich.
Ich möchte heute eigentlich nur noch einen Job machen, der mich selbst persönlich erfüllt und mir Spaß macht oder lieber gar keinen Job. Immerhin kann man sich ja diesen Luxus angesichts des sozialen Netzes in dieser unserer Gesellschaft *leisten*, in anderen Ländern siehts schon schwieriger aus.
Berufliche Anerkennung ist mir heute wurscht, weil sehr flüchtig und nicht wirklich nachhaltig innerlich befriedigend.
Ich denke auch nicht, daß mich andere Menschen wirklich existenziell für ihr Leben brauchen. Das wäre ja schon wieder sowas, wie Abhängigkeit.
Daher empfinde ich dieses Bedürfnis *gebraucht werden* als sehr trügerisch und ein hoffnungsloses Streben, welches immer wieder Enttäuschungen nahezu vorprogrammiert.
Das, was für mich heute einmalig, wichtig und unersetzbar ist, ist das, was ich mit einem/anderen Menschen teile, kleine Momente, ein gemeinsames Lachen, ein gemeinsames Erlebnis, ein Gedankenaustausch, der sich in mir als Erinnerung und Bilder festsetzt und diesen anderen Menschen so wertvoll für mich macht und mein Leben bereichert.
Ich kann nur versuchen mich selbst glücklich zu machen und dann mein überschüssiges Glück und mein Menschsein an andere Menschen abstrahlen, lasse die Welt teilhaben an mir, ob sie es dann haben will oder nicht, ist dann wieder Sache des anderen und liegt nicht mehr in meiner Hand.
Zu deinem Beitrag fielen mir glatt diese Worte ein Sonnensturm...:
Erfolg
"Erfolg" heißt: Oft viel lachen; die Achtung intelligenter Menschen und die Zuneigung von Kindern gewinnen; die Anerkennung aufrichtiger Kritiker verdienen und den Verrat falscher Freunde ertragen; Schönheit bewundern, in anderen das Beste finden; die Welt ein wenig besser verlassen, ob durch ein gesundes Kind, ein Stückchen Garten oder einen kleinen Beitrag zur Verbesserung der Gesellschaft; wissen, daß wenigstens das Leben eines anderen Menschen leichter war, weil du gelebt hast. Das bedeutet, nicht umsonst gelebt zu haben."
Ralph Waldo Emerson (1803 - 1882)
Denn dreht sich ja deine Frage auch darum, was wenn keine Orientierung nach Aussen ,was vormals einer deiner wichtigeren Fixpunkte war... welche dann? Und schwups sind mer beim Sinn und Unsinn
Der Emerson spricht zwar auch von Gesellschaft und von der "Illusion" der Verbesserung dieser oder Erleichterung auch nur eines einzigen Lebens, aber er tut das für meinen Geschmack gänzlich unco...
Ganz "aussprerren" - sozusagen das Gegenextrem deines frühren Fixpunktes, des Aussen, könnte ja auch net der "Mittelweg" sein, von wegen Orientierung oder? Und das tuste ja wohl auch nicht wirklich
.. zwar biste im Job durch nen anderen Arbeitnehmer ersetzbar, aber du bist es ev. menschlich sogar überhaupt nicht für deine Kollegen, weil du durch deine Art und dein Sein den Arbeitsplatz nachhaltig positiv oder negativ mitgestaltest, zwar ist es im Grunde wurst mit bohnensuppe, was ein anderer Mensch über einen denkt, aber trifft diese Denke dich in einem "gemeinschaftlichen Kontext" von einer anderer Person via Nachfrage, dann kann es einem schon ganz schön wichtig werden- momenthaft- warum jemand da so über einen denkt und das auch kundtut...
Das ist vor allem, wenn es negativ ist wichtig - finde ich- denn solange jemand mit mir ein Problem hat, gibt es eines- gibt ´s nen Lösungsversuch beider Konfliktbeteiligten, dann kann´s aus der Welt gehn- eventuell.. will einer von beiden nicht, dann ist es nur weiterhin ein Problem, wenn ich nicht stehen lassen kann, das der andere seine Meinung über mich /Haltung mir gegenüber nicht ändern WILL... Würde mich DAS fertig machen- klar- dann lebte ich in Satres "Geschlossener Gesellschaft"- nein DAnke!
Es ist also im Grunde so ein Mischmasch, die eigene Orientierung... wobei mer ja noch gar net von den perfekt vermarkteten Klischee-Lebens-und Berufsschablonen der jeweiligen Zeit geredet haben, die "erfolgreich" definieren wollen... aber das ist mir eh zu langweilig ehrlich gesagt und lockt mich im Grunde auch net mehr hinterm Ofen hervor...
Wer nicht selber rausfindet, was er/sie braucht, zum glücklich sein und sich nie auf den Weg macht, das rauszufinden, der hat meiner Ansicht nach, wirklich verpasst, jemanden wichtiges zu begegnen... nämlich sich selber! Ob das im Rahmenmassgaben gesellschaftlich-beruflichen Erfolges ist oder nicht, das ist individuell und da masse ich mir keinerlei Wertung an... für mich findet sie NICHT beruflich statt...
.........ich kann mich nicht im luftleerem Raum spiegeln.
Und einen Teil der Überprüfung meines Selbstbildes, erhalte ich auch innerhlab meines Jobs. Und ich bin da auch gern erfolgreich, schon aus purem Eigennutz. Nicht jeden Euro drei mal umdrehen zu müssen, macht nicht glücklich, aber es hält mir eine Teil Stress vom Hals.
hi kahani, " . . . ich kann mich nicht im luftleeren Raum spiegeln" // Kannte ich nicht, toll! Ist so wie: auch ein Loch hat einen Rand und ist somit kein Nichts? Fällt mir noch ein UraltDDR-Witz ein: was ist Sozialismus? Wenn in einem dunklen Zimmer die schwarze Katze gar nicht drin ist und der Suchende ruft: ich hab' sie. Max
ich glaube auch, dass ich, wenn ich mit einem weissen Kleid in ein schwarzes Universumsloch springe, nix mehr von meiner Helligkeit habe, die ich trage.
Vielleicht wissen das die Physiker besser..........doch alte Glaubensätze sitzen ja meisst tief
kahani
Sonnensturm
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29.03.2006 12:05
#23 RE: Loslösung von der Abhängigkeit zur Außenwelt
ZitatGanz "aussprerren" - sozusagen das Gegenextrem deines frühren Fixpunktes, des Aussen, könnte ja auch net der "Mittelweg" sein, von wegen Orientierung oder? Und das tuste ja wohl auch nicht wirklich
Klar spiegel ich mich in der Außenwelt und in anderen Menschen und das Miteinander mit Menschen ist mir sehr wichtig und bereichert mich, auch im Berufsleben, auch wenn es Konflikte gibt, auch die sind wichtig, die sich ja auch nicht vermeiden lassen, bei der Vielfalt dieser Welt. Auch Konflikte bereichern mich, weil ich mich ja auch gern an anderen *reibe*.
Mir geht es darum, daß ich mich heute davon nicht mehr abhängig mache, sondern es als Bereicherung empfinden kann. Das war vorher anders rum. Ich habe mich von der Außenwelt abhängig gemacht und habe die Bereicherung und Anerkennung zwanghaft gesucht und gebraucht, in dem Glauben, dies für mein Dasein an sich zu brauchen. Heute fließt es eher und der Druck ist raus aus meinem Leben, oder so... schwer zu beschreiben.
Ich spüre heute keinen Zwang mehr, andere Menschen von meiner Meinung oder Sichtweise überzeugen zu müssen, kann sie lassen, wie sie sind, (dauert zwar manchmal ein wenig, bis ich das kann, aber es gelingt mir immer besser:zwinker1
Ich will auch heute nicht mehr die Welt eretten oder verbessern. Ich gebe der Welt das, was ich als Mensch geben kann und mir gut tut, ohne zu erwarten, daß es die Welt auch braucht, was ich zu geben habe.
Wenn es jemand gebrauchen kann, ist das schön und füllt mein Herz. Ich leide jedoch heute auch nicht sonderlich mehr darunter, wenn ich das, was ich zu geben habe, eigentlich niemand in dem Moment gebrauchen kann oder jemanden überhaupt nicht interessiert.
lieben Gruß sonnensturm
Sonnensturm
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29.03.2006 12:22
#24 RE: Loslösung von der Abhängigkeit zur Außenwelt
früher fühlte ich mich irgendwie als Getriebene, getrieben von meinen eigenen Gefühlen, Sensüchten, Wünschen, scheinbaren Ansprüchen meiner Eltern, anderer Menschen an mich, gesellschaftlichen *Normvorstellungen*, wie man als Mensch zu sein hat und wie nicht, das zwanghafte innere Bedürfnis von anderen Menschen gebraucht, geliebt zu werden, Anerkennung zu bekommen, das alles irgendwie wirr in mir geisterte, das sich dann in so eine Art zwanghaftem Aktionismus ausdrückte und umsetzte, all das *haben* zu wollen.
Ich weiß nicht wie, aber irgendwie habe ich mich heute davon weitesgehend gelöst, der Zwang des *haben wollens* ist irgendwie weniger und alles viel ruhiger in mir. Ich kann die Dinge auf mich zukommen lassen ohne sie zwanghaft in eine Richtung bewegen zu wollen/müssen.
Es ist so ein Gefühl, wie, das Leben als Geschenk anzunehmen und jeden Tag versuchen etwas schönes aus diesem Geschenk zu machen, was natürlich nicht immer gelingt.
Aber ein Versuch ist es jedenfalls jeden Tag aufs Neue wert.
aus Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches
3
Man darf vermuthen, dass ein Geist, in dem der Typus "freier Geist" einmal bis zur Vollkommenheit reif und süss werden soll, sein entscheidendes Ereigniss in einer grossen Loslösung gehabt hat, und dass er vorher um so mehr ein gebundener Geist war und für immer an seine Ecke und Säule gefesselt schien. Was bindet am festesten? welche Stricke sind beinahe unzerreissbar? Bei Menschen einer hohen und ausgesuchten Art werden es die Pflichten sein: jene Ehrfurcht, wie sie der Jugend eignet, jene Scheu und Zartheit vor allem Altverehrten und Würdigen, jene Dankbarkeit für den Boden, aus dem sie wuchsen, für die Hand, die sie führte, für das Heiligthum, wo sie anbeten lernten, - ihre höchsten Augenblicke selbst werden sie am festesten binden, am dauerndsten verpflichten. Die grosse Loslösung kommt für solchermaassen Gebundene plötzlich, wie ein Erdstoss: die junge Seele wird mit Einem Male erschüttert, losgerissen, herausgerissen, - sie selbst versteht nicht, was sich begiebt. Ein Antrieb und Andrang waltet und wird über sie Herr wie ein Befehl; ein Wille und Wunsch erwacht, fortzugehn, irgend wohin, um jeden Preis; eine heftige gefährliche Neugierde nach einer unentdeckten Welt flammt und flackert in allen ihren Sinnen. "Lieber sterben als hier leben" - so klingt die gebieterische Stimme und Verführung: und dies "hier", dies "zu Hause" ist Alles, was sie bis dahin geliebt hatte! Ein plötzlicher Schrecken und Argwohn gegen Das, was sie liebte, ein Blitz von Verachtung gegen Das, was ihr "Pflicht" hiess, ein aufrührerisches, willkürliches, vulkanisch stossendes Verlangen nach Wanderschaft, Fremde, Entfremdung, Erkältung, Ernüchterung, Vereisung, ein Hass auf die Liebe, vielleicht ein tempelschänderischer Griff und Blick rückwärts, dorthin, wo sie bis dahin anbetete und liebte, vielleicht eine Gluth der Scham über Das, was sie eben that, und ein Frohlocken zugleich, dass sie es that, ein trunkenes inneres frohlockendes Schaudern, in dem sich ein Sieg verräth - ein Sieg? über was? über wen? ein räthselhafter fragenreicher fragwürdiger Sieg, aber der erste Sieg immerhin: - dergleichen Schlimmes und Schmerzliches gehört zur Geschichte der grossen Loslösung. Sie ist eine Krankheit zugleich, die den Menschen zerstören kann, dieser erste Ausbruch von Kraft und Willen zur Selbstbestimmung, Selbst-Werthsetzung, dieser Wille zum freien Willen: und wie viel Krankheit drückt sich an den wilden Versuchen und Seltsamkeiten aus, mit denen der Befreite, Losgelöste sich nunmehr seine Herrschaft über die Dinge zu beweisen sucht! Er schweift grausam umher, mit einer unbefriedigten Lüsternheit; was er erbeutet, muss die gefährliche Spannung seines Stolzes abbüssen; er zerreisst, was ihn reizt. Mit einem bösen Lachen dreht er um, was er verhüllt, durch irgend eine Scham geschont findet: er versucht, wie diese Dinge aussehn, wenn man sie umkehrt. Es ist Willkür und Lust an der Willkür darin, wenn er vielleicht nun seine Gunst dem zuwendet, was bisher in schlechtem Rufe stand, - wenn er neugierig und versucherisch um das Verbotenste schleicht. Im Hintergrunde seines Treibens und Schweifens - denn er ist unruhig und ziellos unterwegs wie in einer Wüste - steht das Fragezeichen einer immer gefährlicheren Neugierde. Kann man nicht alle Werthe umdrehn? und ist Gut vielleicht Böse? und Gott nur eine Erfindung und Feinheit des Teufels? Ist Alles vielleicht im letzten Grunde falsch? Und wenn wir Betrogene sind, sind wir nicht eben dadurch auch Betrüger? müssen wir nicht auch Betrüger sein?" - solche Gedanken führen und verführen ihn, immer weiter fort, immer weiter ab. Die Einsamkeit umringt und umringelt ihn, immer drohender, würgender, herzzuschnürender, jene furchtbare Göttin und mater saeva cupidinum - aber wer weiß es heute, was Einsamkeit ist? ...
Sonnensturm
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01.04.2006 00:08
#27 RE: Loslösung von der Abhängigkeit zur Außenwelt
aus Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches
4
Von dieser krankhaften Vereinsamung, von der Wüste solcher Versuchs-Jahre ist der Weg noch weit bis zu jener ungeheuren überströmenden Sicherheit und Gesundheit, welche der Krankheit selbst nicht entrathen mag, als eines Mittels und Angelhakens der Erkenntniss, bis zu jener reifen Freiheit des Geistes, welche ebensosehr Selbstbeherrschung und Zucht des Herzens ist und die Wege zu vielen und entgegengesetzten Denkweisen erlaubt -, bis zu jener inneren Umfänglichkeit und Verwöhnung des Ueberreichthums, welche die Gefahr ausschliesst, dass der Geist sich etwa selbst in die eignen Wege verlöre und verliebte und in irgend einem Winkel berauscht sitzen bliebe, bis zu jenem Ueberschuss an plastischen, ausheilenden, nachbildenden und wiederherstellenden Kräften, welcher eben das Zeichen der grossen Gesundheit ist, jener Ueberschuss, der dem freien Geiste das gefährliche Vorrecht giebt, auf den Versuch hin leben und sich dem Abenteuer anbieten zu dürfen: das Meisterschafts-Vorrecht des freien Geistes! Dazwischen mögen lange Jahre der Genesung liegen, Jahre voll vielfarbiger schmerzlich-zauberhafter Wandlungen, beherrscht und am Zügel geführt durch einen zähen Willen zur Gesundheit, der sich oft schon als Gesundheit zu kleiden und zu verkleiden wagt. Es giebt einen mittleren Zustand darin, dessen ein Mensch solchen Schicksals später nicht ohne Rührung eingedenk ist: ein blasses feines Licht und Sonnenglück ist ihm zu eigen, ein Gefühl von Vogel-Freiheit, Vogel-Umblick, Vogel-Uebermuth, etwas Drittes, in dem sich Neugierde und zarte Verachtung gebunden haben. Ein "freier Geist" - dies kühle Wort thut in jenem Zustande wohl, es wärmt beinahe. Man lebt, nicht mehr in den Fesseln von Liebe und Hass, ohne ja, ohne Nein, freiwillig nahe, freiwillig ferne, am liebsten entschlüpfend, ausweichend, fortflatternd, wieder weg, wieder empor fliegend; man ist verwöhnt, wie Jeder, der einmal ein ungeheures Vielerlei unter sich gesehn hat, - und man ward zum Gegenstück Derer, welche sich um Dinge bekümmern, die sie nichts angehn. In der That, den freien Geist gehen nunmehr lauter Dinge an - und wie viele Dinge! - welche ihn nicht mehr bekümmern ...
Sonnensturm
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01.04.2006 00:09
#28 RE: Loslösung von der Abhängigkeit zur Außenwelt
aus Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches
5
Ein Schritt weiter in der Genesung: und der freie Geist nähert sich wieder dem Leben, langsam freilich, fast widerspänstig, fast misstrauisch. Es wird wieder wärmer um ihn, gelber gleichsam; Gefühl und Mitgefühl bekommen Tiefe, Thauwinde aller Art gehen über ihn weg. Fast ist ihm zu Muthe, als ob ihm jetzt erst die Augen für das Nahe aufgiengen. Er ist verwundert und sitzt stille: wo war er doch? Diese nahen und nächsten Dinge: wie scheinen sie ihm verwandelt! welchen Flaum und Zauber haben sie inzwischen bekommen! Er blickt dankbar zurück, - dankbar seiner Wanderschaft, seiner Härte und Selbstentfremdung, seinen Fernblicken und Vogelflügen in kalte Höhen. Wie gut, dass er nicht wie ein zärtlicher dumpfer Eckensteher immer "zu Hause", immer "bei sich" geblieben ist! er war ausser sich: es ist kein Zweifel. Jetzt erst sieht er sich selbst -, und welche Ueberraschungen findet er dabei! Welche unerprobten Schauder! Welches Glück noch in der Müdigkeit, der alten Krankheit, den Rückfällen des Genesenden! Wie es ihm gefällt, leidend stillzusitzen, Geduld zu spinnen, in der Sonne zu liegen! Wer versteht sich gleich ihm auf das Glück im Winter, auf die Sonnenflecke an der Mauer! Es sind die dankbarsten Thiere von der Welt, auch die bescheidensten, diese dem Leben wieder halb zugewendeten Genesenden und Eidechsen: - es giebt solche unter ihnen, die keinen Tag von sich lassen, ohne ihm ein kleines Loblied an den nachschleppenden Saum zu hängen. Und ernstlich geredet: es ist eine gründliche Kur gegen allen Pessimismus (den Krebsschaden alter Idealisten und Lügenbolde, wie bekannt -) auf die Art dieser freien Geister krank zu werden, eine gute Weile krank zu bleiben und dann, noch länger, noch länger, gesund, ich meine, gesünder" zu werden. Es ist Weisheit darin, Lebens-Weisheit, sich die Gesundheit selbst lange Zeit nur in kleinen Dosen zu verordnen.
Sonnensturm
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01.04.2006 00:12
#29 RE: Loslösung von der Abhängigkeit zur Außenwelt
aus Friedrich Nietzsche: Menschliches, Allzumenschliches
6
Um jene Zeit mag es endlich geschehn, unter den plötzlichen Lichtern einer noch ungestümen, noch wechselnden Gesundheit, dass dem freien, immer freieren Geiste sich das Räthsel jener grossen Loslösung zu entschleiern beginnt, welches bis dahin dunkel, fragwürdig, fast unberührbar in seinem Gedächtniss gewartet hatte. Wenn er sich lange kaum zu fragen wagte "warum so abseits? so allein? Allem entsagend, was ich verehrte? der Verehrung selbst entsagend? warum diese Härte, dieser Argwohn, dieser Hass auf die eigenen Tugenden?" - jetzt wagt und fragt er es laut und hört auch schon etwas wie Antwort darauf. "Du solltest Herr über dich werden, Herr auch über die eigenen Tugenden. Früher waren sie deine Herren; aber sie dürfen nur deine Werkzeuge neben andren Werkzeugen sein. Du solltest Gewalt über dein Für und Wider bekommen und es verstehn lernen, sie aus- und wieder einzuhängen, je nach deinem höheren Zwecke. Du solltest das Perspektivische in jeder Werthschätzung begreifen lernen - die Verschiebung, Verzerrung und scheinbare Teleologie der Horizonte und was Alles zum Perspektivischen gehört; auch das Stück Dummheit in Bezug auf entgegengesetzte Werthe und die ganze intellektuelle Einbusse, mit der sich jedes Für, jedes Wider bezahlt macht. Du solltest die nothwendige Ungerechtigkeit in jedem Für und Wider begreifen lernen, die Ungerechtigkeit als unablösbar vom Leben, das Leben selbst als bedingt durch das Perspektivische und seine Ungerechtigkeit. Du solltest vor Allem mit Augen sehn, wo die Ungerechtigkeit immer am grössten ist: dort nämlich, wo das Leben am kleinsten, engsten, dürftigsten, anfänglichsten entwickelt ist und dennoch nicht umhin kann, sich als Zweck und Maass der Dinge zu nehmen und seiner Erhaltung zu Liebe das Höhere, Grössere, Reichere heimlich und kleinlich und unablässig anzubröckeln und in Frage zu stellen, - du solltest das Problem der Rangordnung mit Augen sehn und wie Macht und Recht und Umfänglichkeit der Perspektive mit einander in die Höhe wachsen. Du solltest" - genug, der freie Geist weiss nunmehr, welchem "du sollst" er gehorcht hat, und auch, was er jetzt kann, was er jetzt erst - darf ...
ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du bald wieder einen Partner findest, der deine ganze Aufmerksamkeit benötigt. Dann hören bestimmt auch die elenden Schlafstörungen auf