Da ich hier neu bin, möchte ich mich vorstellen. In diesem Forum lese ich schon eine ganze Weile, aber ein Erlebnis in der letzten Woche hat mich nun dazu gebracht, mich doch mal zu Wort zu melden. Mein Name ist Dieter, bin 51 Jahre, verheiratet, zwei erwachsene Kinder. Die Kinder leben in Schottland. Meine Frau trinkt keinen, aber auch wirlich keinen Alkohol. Ich komme aus Deutschland und wohne seit Jahren hier in Schweden. Ich habe seit etwa meinem 25. Lebensjahr, mehr oder weniger regelmässig getrunken. Bis etwa vor zehn Jahren, da wurde es langsam immer mehr. Wirklich sehr langsam, aber im Rueckblick meine ich, das war wohl ein ganz typischer Suchtverlauf. Meist Wodka und Bier, aber auch Wein. Der Pegel musste stimmen. Es kam das uebliche, Alkohol verstecken, usw. usf. Auseinandersetzungen in der Ehe blieben natuerlich nicht aus. Probleme mit dem Fuehrerschein hatte ich nie, weil ich peinlich genau darauf achtete, nie mit Alkohol an Bord zu fahren. Ende 2006 ging es mit meiner Gesundheit schlagartig bergab. Herzinsuffizienz, Schlafstörungen ohne Ende, schlechte Blutwerte. Stationäre Einweisung folgte auf dem Fuss.Ich war so fertig, dass ich kaum noch eine Treppe hochkam. Ich trank in der Nacht, um schafen zu können. Sonderlich zielfuehrend war das aber auch nicht. Zu meiner Schande muss ich sagen, dass mich erst dieser körperliche Absturz zum intensiven Nachdenken gebracht hat. Am ersten Mai 2007 habe ich meine gesamten alkoholischen Vorräte, zusammen mit meiner Frau in unseren Fluss geschuettet. Was dann folgte, war die Hölle. Den Begriff kalten Entzug hatte ich damals noch nicht gehöert und auf den Gedanken in eine Klinik zu gehen bin ich auch nicht gekommen. Heute wuerde ich es anders machen, aber damals war ich nicht mehr in der Lage klar zu denken. Die Entzugserscheinungen verschwanden langsam; nur die Schlafprobleme blieben mir lange Zeit erhalten. Oktober 2007 bin ich zum Arzt, Herz nicht so doll, Leber ganz gut. Der Doc hat mir den Tip gegeben, mal zu den Templern zu gehen, da bin ich seitdem regelmässig. Sommer 2008 ist meine Herzschwäche verschwunden, die Blutwerte sind sehr gut und ich habe wieder richtig Spass am Leben; ohne Alk. Einen Rueckfall hatte ich bis jetzt nicht, Verlangen nach Alkohol auch nicht, nur Ekel davor. In der ersten Zeit aber immer schrecklichen Durst.Ich hoffe ich schaffe es, man soll sich nie zu sicher sein. Ich denke aber, das die Situation welche hier im Lande, den Alkohol betreffend herrscht, mir sehr geholfen hat bis heute trocken zu bleiben. Grillfest mit Alkohol ist eine ziemliche Ausnahme, Alkohol in der Tanke ist Fehl- anzeige. Zumal die nächste Tanke von hier aus hin und zurueck nur 130 km entfernt ist. Das sollte zur Vorstellung, denk ich, erst mal genuegen. Schöne Gruesse aus Schweden Dieter
Zitatdie Situation welche hier im Lande, den Alkohol betreffend herrscht, mir sehr geholfen hat bis heute trocken zu bleiben. Grillfest mit Alkohol ist eine ziemliche Ausnahme, Alkohol in der Tanke ist Fehl- anzeige. Zumal die nächste Tanke von hier aus hin und zurueck nur 130 km entfernt ist
davon abgesehen, dass du dir in nassen Zeiten ja auch in Schweden das Zeug irgendwoher hast besorgen müssen(Schwarzbrennen?:gruebel, würde es mich auch mal interessieren welchen Stellenwert Alkoholismus in Schweden überhaupt einnimmt und wie die dortigen Hilfsangebote sind.
Generell ist zu sagen, das hier deutlich weniger getrunken wird als anderswo. Betrunkene in der Öffentlichkeit sind eine absolute Ausnahme und bei den Menschen mit denen wir Kontakt haben spielt der Alkohol keine Rolle. Feste, Familienfeiern o.ä. sind in der Regel alkoholfrei. Falls man z.B. zu einer Grillparty eingeladen ist und meint eine volle Pulle mitbringen zu muessen, kann das nach hinten losgehen. Man verliert dann sehr schnell sein Gesicht, wenn man die Leute nicht genau kennt und an Abstinenzler gerät. Sich in Gaststätten oder Restaurants zu betrinken ist fast unmöglich, da man diese Einrichtungen mit der Lupe suchen muss. Und wenn man doch fuendig geworden sein sollte, kann man fuer den Preis eines Essens fuer die ganze Familie auch noch eine Flasche Wein bestellen. Meines Wissens ist die nächste Kneipe in meiner Gegend ca. 35 km entfernt. Werbung fuer Alkohol ist hier generell verboten. Es gibt hier kein Alkoholverbot. Das wird anderswo, denke ich, oft falsch gesehen. Die staatliche Alkoholpolitik ist restriktiv. Bier mit minderen Alkoholgehalt (Folköl) kann man im Supermarkt ab 21 Jahren kaufen. An der Kasse leuchtet beim Kauf dieser Waren eine rote Lampe auf, dadurch wird der Kassierer zur Alterskontrolle gezwungen, falls Zweifel bestehen. Druck von seitens des Arbeitgebers ist somit nicht möglich. Und das wird auch konsequent umgesetzt. Im Restaurant, alle Arten von Alk ab 25 Jahren. Kauf von hochprozentigem nur im staatlichen Alkoholgeschäft möglich. Auch erst ab 25 Jahren. Die Preise sind erheblich und das Ziehen einer Nummer am Automaten und Wartezeit normal. Öffnungszeiten sind sehr eingeschränkt. Zur Zeit wird das Verbot des Verkaufes von Alkohol an aufällige Autofahrer diskutiert. Ich denke, dasss es wohl zum 01.01.2011 kommen wird. Alle schwedischen Campingplätze werden jetzt mit einer, Schranke ausgeruestet, welche sich nur durch Blasen (mit 0 Promille) öffnen lässt. Angetrunkene Autofahrer können den Platz somit nur ueber illegale, und u.U. fuer das Fahrzeug tödliche Wege verlassen. Die Kontrollen durch die Polizei sind sehr scharf. So einmal im Vierteljahr (durchschnitt) bin ich auch mal dran. Ab 0,1 Promille ist der Lappen ohne wenn und aber weg, ab 0,4 Promille auch das Fahrzeug. Die Geldstrafen sind ganz massiv. Bei einem guten Einkommen und entsprechendem Promillewert kann das schnell mal den Wert eines kleinen Einfamilienhauses erreichen. Schwarzbrannt hab ich selbst nie probiert, war mir zu gefährlich. Ist nicht mehr verboten, aber ich kann mir nicht vorstellen, das dies noch im grossen Umfang hier betrieben wird. Viele hier bestellen sich Alk im Ausland oder kaufen in in Estland oder Litauen ein. Die EU machts möglich; ich finde das nicht so gut. Jede Gemeinde hat einen staatlichen Alkoholbeauftragten und jede Kommune (Landkreis) ein Alkoholkommite mit sehr weitreichenden Befugnissen. Das geht ueber die Offerierung von Hilfen fuer nasse Alkoholiker, Aufklärung an Schulen bis zur, mit Hilfe der Polizei, sofortigen Schliessung von illegalen oder aufälligen Bars o.ä. Ist vor etwa einem Jahr hier mal passiert. Falls man Hilfe benötigt, ist der erste Weg zur nächsten Vardcentral (etwa medizinische Hilfestation, es gibt in Deutschland dafuer keine Entsprechung) Hausärzte gibt es hier nicht. Dann folgt die Ueberweisung in eine Klinik. Von dort Einweisung in eine stationäre Unterbringung. Im Vergleich, ist das ein recht rigoroses Verfahren und sehr schnell. Bei dringenden Fällen findet man sich innerhalb kurzer Zeit in der Entgiftung wieder. Nachsorge/Betreuung solange wie es notwendig ist. Da wird dann die Sozialbetreuung der Kommune aktiv. Die eigenen Kosten sind dafuer gleich null. Es gibt auch keine Ärger mit Krankenkassen; es gibt nur eine. Weiterhin findet man hier auch die AA (nur in den Städten) und die Guttempler. Dort war ich. Sehr gut, keine christliche Missionierung, sondern Beschränkung auf das Problem. Die dort Tätigen sind in den USA prof. ausgebildet, das merkt man schon. Irgendwelche obskure Tips, wie kontrolliert Trinken kamen da nicht ueber den Tisch. Der Weg nach ganz unten ist hier deutlich länger als anderswo, wer ihn allerdings gehen will findet ihn schon. Es liegt halt an jedem selbst. Ein Problem ist die (alkoholbedingte) Gewalt in den Familien. Darueber liesst und hört man des öfteren. So, der Beitrag ist länger geworden als ich wollte. Beste Gruesse aus dem regnerischen Schweden Dieter
Willkommen hier und danke für die Infos. Ich muss die ganze Zeit an Michel bei den Guttemplern denken
Ich habe gelesen, Du hast in letzter Zeit Druck?
Ist was passiert? Oder schleicht sich das eher ein? Denkst Du häufiger über Alk nach?
Bei mir kann ich beobachten, das ich, wenn ich zu viel eingeschliffene Routinen lebe und mich nicht mit dem Thema Alkoholismus beschäftige, also irgendwie alles schleifen lasse, nachlässig werde. Das ist dann spätestens der Punkt, mal wieder ins Meeting zu gehen und wieder wacher zu leben.
Du liest Dich für mich ähnlich.
Schön, das Du Dich angemeldet hast
Viele Grüße Uta
"Großer Gott, laß meine Seele zur Reife kommen, ehe sie geerntet wird!"Selma Lagerlöf
Aber was war/ist das nun für ein Ereignis das Dich bewegt hat Dich hier anzumelden?
LG
Manuela
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Das Leben ist schön, von " einfach " war nie die Rede.
Ich habe familiäre Bindung zu Skandinavien und kann bestätigen was Du über den Umgang und die Restriktionen mit Alkohol beschreibst.
Ich musste aber auch sofort an Michel denken, wie er sein Abstinenzgelübde ablegen musste nachdem er sein Schweinchen, die Hühner und sich selbst mit gegorenen Kirschen in den Vollrausch katapultiert hatte...
Huebscher Nick, ist ja bald wieder soweit. Ich habe ueberhaupt kein Beduerfnis nach Alk; aber ich glaube das jetzt aber die Zeit gekommen ist, das mal aufzuarbeiten. Nur ganz kurz zu meinem kleinen Erlebnis, ich muss heute noch viel Rasen mähen, so um die 20000 qm. Bis zur letzten Woche hatten wir hier fuer ca 7 Tage Bekannte aus Deutschland zu Gast; 2 Männer und eine Frau. Die waren hauptsächlich mal hier, um sich die Gegend anzusehen. Wir haben ja Natur pur, kaum Menschen, Wasser, Wald und viele Pilze. Es kam wie es kam, Ausfluege fielen aus. Die Bierdosen und anderes, hochprozentiges waren vom Fruehstueck (!) bis zur Nachtruhe in Gebrauch. Meine Frau und ich waren doch ein wenig konsterniert. Ich habe das dann mal gegenueber meiner Bekannten angesprochen, aber die Reaktion war ohne jeden Kommentar dazu. Ich meine das völlig wertungsfrei, nur schade um den Urlaub. Tags nach der Abreise durfte ich dann die Flaschen im Altglas und die Buechsen im Supermarkt entsorgen. Der Pfandautomat hat mir 286 0,5 l Bierdosen quittiert. Und dafuer die lange Anreise aus Deutschland. Das hätten sie auch billiger haben können; war in meinen Augen eine vollkommen sinnlose Aktion. Aber fuer mich sehr, sehr lehrreich.
Ja, das war wirklich eine sinnlose Aktion mit dem Schwedenbesuch der 3 Deutschen....und in den Augen der Besucher? Hast Du sie danach mal gesprochen?
Wichtig und entscheidend ist doch, Dieter, das Du zufrieden trocken bist und voller Vorfreude nun in die Natur darfst.
LG
Manuela
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