mit diesem Beitrag wende ich mich an Leserinnen und Leser, die mit ihrer Alkoholabhängigkeit bislang nicht bei ihrer Berufsausübung und bei ihrem Arbeitgeber auffällig geworden sind, die gern möchten, dass das auch so bleibt und die eine stationäre Reha in Erwägung ziehen.
Bei mir war das alles der Fall und ich habe sowohl vor der Reha als auch danach meine normale Vollzeitbeschäftigung nahtlos und ohne aufzufallen ausgeübt. Das kommt häufiger vor, als oft angenommen, auch wenn es nicht die Norm ist. Letztes Jahr sprach ich mit einem Ehrenamtlichen eines Sucht-Telefonnotrufs, der als Lehrer einer weiterführenden Schule mit über 50 Jahren durch mehrere Schicksalsschläge über den Missbrauch in die Sucht abgerutscht war. Er hatte sogar eine dreimonatige stationäre Reha in Anspruch genommen, davon allerdings 6 Wochen in den Schulferien und danach 6 Wochen während des beginnenden Schulhalbjahres und alle dachten höchstens, dass er nach einem Vierteljahrhundert im Schuldienst verständlicherweise mal etwas für Psyche und Soma täte. War ja auch so...
D. h. man kann durchaus weiterhin unterhalb des Radars des Arbeitgebers und der anderen Akteure im beruflichen Umfeld bleiben. Zumindest eine Zeitlang.
Ich hatte mich für eine "Kombi-Therapie" entschieden, d.h. 8 Wochen stationär und anschließend 6 Monate ambulante Therapie.
Die DRV Bund als Kostenträger der Maßnahme hatte mir auch das übliche Schreiben zur Vorlage beim Arbeitgeber zugesendet. Dieses Schreiben ist völlig neutral gehalten, es wird dokumentiert, dass dem Arbeitnehmer eine achtwöchige stationäre Rehabilitation bewilligt wurde.
Das habe ich der Personalabteilung zugesendet, alles paletti, dachte ich. Als ich von der Klinik den Reha-Beginn mitgeteilt erhielt, habe ich dieses Datum dann per Email weitergegeben.
Aber: Nun wollte man von mir auch noch einen schriftlichen Nachweis über den Beginn der Reha, d.h. meine Mitteilung allein reichte nicht aus.
Hier hatte ich ein Problem, da die von mir ausgesuchte Klinik eine reine Suchtklinik ist, was aus dem Briefbogen der Einrichtung deutlich hervorgeht. An dieser Stelle hätte ich also durch Vorlage des Schreibens mit dem Datum des Reha-Beginns genau das getan, was ich aus guten Gründen des Selbstschutzes bislang hatte vermeiden können: Mich mit meiner Suchterkrankung zu outen.
Was tun?
Zunächst habe ich ein Schreiben an die DRV Bund gesendet mit der Bitte, da ich erhebliche Nachteile zu gegenwärtigen hätte, wenn die Art meiner Erkrankung in meinem beruflichen Tätigkeitsfeld publik würde, ein kurzes allgemein gehaltenes Schreiben, wiederum zur Vorlage beim Arbeitgeber zu senden, dass das Datum des Reha-Beginns bestätigte. Darauf bekam ich leider ein ablehnendes Schreiben der DRV mit der Begründung, man habe doch bereits ein Schreiben zur Vorlage beim Arbeitgeber an mich gesendet. Also: Entweder hat die Sachbearbeiterin nichts verstanden oder die hatte keinen Bock. Ich tippe auf Letzteres.
Dann bin ich zu meiner Suchtberatungsstelle, wo ich ja auch für die Beantragung etc. angedockt hatte. Die für mich zuständige Mitarbeiterin meinte, mein Hausarzt könne mich doch für die 8 Wochen "krankschreiben". Eine realitätsferne Idee - als ob ein Arzt für eine Patientin, die sich hunderte von km für so viele Wochen anderweitig aufhält, fortlaufende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellen würde! Dann meinte sie noch, ich könne mir ja am Ort der Reha einen Arzt suchen, der mir die AUBen ausstellen würde. Aha, dann bekommt mein rheinischer Arbeitgeber wochenlang AUBen aus einem kleinen Dorf in Süddeutschland? Und ich müsste in den ersten Tagen der Reha erst einmal einen Arzt suchen, der das mitmachen würde? Unrealistisch. Außerdem durften wir die Klinik in den ersten drei Wochen nur in Begleitung zweier Mitpatientinnen verlassen - mit dem Tross hätte ich dann durch die Arztpraxen ziehen müssen - indiskutabel.
Ich bat daraufhin die Mitarbeiterin, doch einmal im Gesamtteam der relativ kleinen, ausschließlich auf Frauen spezialisierten Beratungsstelle nachzufragen. Ich könne ja wohl nicht die erste Arbeitnehmerin sein, die dieses Problem hätte. Die Antwort lautete, dass niemand eine Lösung wüsste. Pro forma habe ich dann noch gebeten, einmal Kollegen der zwei großen Wohlfahrtsverbände, die in derselben Stadt ebenfalls Suchtberatung anbieten, zu befragen. Ich hatte jedoch den Eindruck, dass das aus Konkurrenzgründen nicht geschehen würde und so war es auch.
Dann war ich tatsächlich langsam etwas panisch und bedanke mich, wenn auch verspätet, bei den Foristen, die sich im Dezember 2017 meines Problems angenommen und meine leichte Panik gedämpft haben.
Mit dem oben beschriebenen unbefriedigenden Zwischenstand war ich dann bei meinem Hausarzt, der natürlich auch nur den Kopf schütteln konnte über die Vorstellung einer langen Krankschreibung, während der er mich niemals zu Gesicht bekommen würde.
Aber er hatte den rettenden Einfall zur Beendigung meiner kleinen Odyssee: Wenn ich ihm das Einladungsschreiben der Suchtklinik mit dem mitgeteilten Datum des Reha-Beginns vorlegen würde, könne er mir eine entsprechende Bestätigung für den Arbeitgeber ausstellen, also eine Bescheinigung, dass ich am soundsovielten eine stationäre Rehabilitation antreten würde, für voraussichtlich acht Wochen.
Jo, das habe ich der Personalabteilung zugesendet und das war `s. Alles gut. So einfach.
Als ich in der Klinik war, sagte man mir, dass diese Nachfragen nach einer Bescheinigung bezüglich des Reha-Antrittsdatums seitens der Arbeitgeber a) nicht statthaft seien, aber b) in letzter Zeit gehäuft vorkämen. Und sie hätten diese Entwicklung auch schon im Team diskutiert, da ihnen klar sei, dass das aufgrund ihres Briefbogens für abhängig beschäftigte Arbeitnehmerinnen eine Hürde sei bzw. beruflich schädlich werden könne. Die Idee mit der einfachen, aus zwei Sätzen bestehenden Bescheinigung des Haus- oder eines anderen Arztes nach Vorlage des Klinik-Einladungsschreibens fand sie super, praktikabel und für weitere Klientinnen mit demselben Problem weiterzuempfehlen.
Viele Grüße, Susanne
----------------------------------------- Optimismus ist, bei Gewitter auf dem höchsten Berg in einer Kupferrüstung zu stehen und »Scheiß Götter!« zu rufen. (Terry Pratchett)
Ja - ich habe heute hart an allen Texten zur Beendigung meines diesbezüglichen Engagements gefeilt. Jetzt bin ich groggy. Ich muss mir auch noch überlegen, ob ich meinen kleinen Abschlussbericht hier unter "Positives" oder unter "Scheiße schreien" veröffentliche.
Also: Einmal werden wir noch wach, heißa, dann gibt `s das Neueste von der Klementinen- und Tante-Tilly-Front ;-)
LG, Jeanne d´Arc et de la vaisselle
----------------------------------------- Optimismus ist, bei Gewitter auf dem höchsten Berg in einer Kupferrüstung zu stehen und »Scheiß Götter!« zu rufen. (Terry Pratchett)