Gestern erreichte mich überraschend der Anruf einer jungen Frau, etwa in menem Alter, die seit ein paar Wochen "meine" SHG besucht.
Sie hatte allen guten Vorsätzen zum Trotz wieder getrunken und suchte nun das Gespräch mit mir.
Trotzdem wir eine gute Stunde telefonierten (und sie zumindest währenddessen definitiv nichts getrunken hat, immerhin) bleibt in mir das hilfolse Gefühl der Unsicherheit, ob das was ich ihr sagen konnte, auch wirklich das Richtige war.
Ich hab ihr zumeist einfach zugehört und ihre Fragen beantwortet; viel von mir selber auf Anfrage erzählt und sie ermutigt, den begonnenen Weg in die Trockenheit fortzusetzen, ihr angeboten, jederzeit wieder anrufen zu können (und zwar VORHER) und dass ich mich drauf freue sie am Montag (also heute) in unserer SHG wiederzusehen. Ich versuchte ihr zu vermitteln, dass jeder hinfallen kann, dass ich ihr aber wünsche, wieder aufzustehen und weiterzugehen. Und dass sie keine Angst zu haben braucht, sie wird willkommen sein und keine negativen Reaktionen zu befürchten braucht, sondern eher Achtung für die Stärke, wiederzukommen ernten wird. Und dass wir alle - auch die "lang Trockenen" die Zeit des Rumeierns kennen und man sie überwinden kann.
Irgendwie war ich mit meinen erst knapp 17 Monaten Trockenheit nicht darauf gefasst, dass sich jemand an mich als selbst ja noch relativen "Anfänger" wenden würde, und ich frage mich - schon im Hinblick auf mögliche "nächste Male", wie ich noch besser und hilfreicher hätte reagieren können.
Die junge Frau ging mir seitdem immer wieder mal durch den Kopf, und ich werd sie heut abend erstmal ganz fest drücken , wenn sie denn wirklich kommt. (Ich hatte immerhin nach dem Gespräch den Eindruck, sie würde kommen.)
Was meint ihr - wie hätte ich noch konstriktiver mit dem Anruf umgehen können? Hab ich was übersehen?
ein Telefonat mit einem Betrunkenen ist immer so eine Sache. In den meisten Fällen ist das nicht wirklich konstruktiv und sehr frustrierend. Die Gefahr einer Co-abhängigkeit besteht auch.
Ich persönlich würde ihm wahrscheinlich sagen, daß ich momentan keinen Sinn in dem Gespräch sehe und er darf gerne wieder anrufen wenn er nüchtern ist.
Sobald du merkst, daß das Gespräch dich belastet solltest du aus Eigenschutz das Gespräch auf jeden Fall beenden.
Mach dir nicht zu viele Sorgen was du falsch gemacht hast.
Im Umgang mit einem Betrunkenen können dir aber sicher Co-Abhängige mehr sagen.
Ich hätte es auch so gehandhabt, sie auf nüchterne Zeiten zu "vertagen", wenn sie offensichtlich betrunken auf mich gewirkt oder der Verdacht begründet gewesen wäre, dass sie grade eben vor dem Gespräch noch getrunken hätte.
Dem war jedoch nicht so.
Sie war jedoch nicht (mehr akut) betrunken, sondern hatte bereits am Vorabend "hingelangt". Sie rief also in Kater-Katzenjammer-Stimmung mit den ganzen Sebstvorwürfen und den Scham-, Schwäche- und Versagergefühlen die nun bei ihr tobten bei mir an, hatte aber nicht "nachgelegt" und wirkte auf mich auch nicht so, also würde der Restalkohol ein vernünftiges Gespräch mit ihr verhindern, und wie es verlief, war es durchaus ein sinnvolles und offenes Gespräch, mir fehlte einfach wohl die Übung bisher....
Quälen tu ich mich damit nicht, es war schon ok so wie's ist. Ich möchte es nur beim nächsten Mal besser machen können und merke, dass ich mich darauf ein wenig vorbereiten muss, damit es mich nicht so "kalt" erwischt wie diesmal.
Das wichtigste ist nun, daß sie heute in die SHG kommt und sich mit dem Rückfall beschäftigt. Du hast dein Bestes gemacht und der Rest muß von ihr kommen.
Mach Dir mal keine Gedanken ob Du alles richtig gemacht hast. Wir alle in der Selbsthilfe sind keine ausgebildeten Therapeuten sondern Laien. Wir helfen so gut wir können.
Ich denke, Du hast dieser Frau das Wichtigste gegeben was sie brauchte: Deine Zeit, und Dein Ohr. Du hast zugehört. Richtig aktiv helfen kannst Du in dieser Situation nicht. Um sie vom Trinken abzuhalten ist es zu spät. Wichtig war, dass Du ihr das das Gefühl gegeben hast, dass sie nun nicht von der Gruppe verstoßen wird, sondern dass sie wiederkommen darf und soll.
Kleiner Nachtrag: es ist ihr gelungen, den Weg heute wieder in die SHG zu finden und den Rückfall sehr offen und bestimmt anzusprechen und nun wieder von vorn zu beginnen. Hut ab.
Und irgendwie ist in mir auch blanke Freude darüber, dass mir dabei offenbar das Wichtigste gelungen ist: ihr dafür den Mut mitzugeben und die Angst vor dem Neuanfang zu nehmen. Das reicht vollkommen.
ZitatIrgendwie war ich mit meinen erst knapp 17 Monaten
Was heißt hier erst ? Ich halte das für eine stramme Leistung
Meiner Meinung nach strahlst du etwas nach außen ab: entweder Sicherheit, Vertrauen, oder beides. Sonst hätte sie sich nicht an dich gewandt.
ZitatSobald du merkst, daß das Gespräch dich belastet solltest du aus Eigenschutz das Gespräch auf jeden Fall beenden.
Das ist die Kehrseite der Medaille. Sollte es mit ein und derselben Person öfters vorkommen, und du das Gefühl haben, du bist überfordert damit, oder sie dich ausnutzen, setze dir Grenzen und sag klar und deutlich wenn es für dich zu weit geht.
Sieh es erstmal als positiv, denn du konntest aus der Sache bestimmt auch etwas für dich rausziehen.