Ich möchte meinen alten Thread "Die nächsten Schitte" hiermit beenden ... um ein neues Thema für mich zu beginnen ... als eine Form von Zwischenetappe. Mein vorprogrammierter Saufeinbruch am Freitag hat mich am Wochenende zu einer Entscheidung gebracht:
Die berühmten 90 Tage ... Ich werde für die nächsten drei Monate keinen Alkohol trinken ... Diese Aussage kann ich machen ... ohne jeglichen Selbstbetrug.
"Heute trinke ich nicht" + "Ich lasse das erste Glas Bier stehen" ... Tag für Tag ... drei Monate lang.
Nach diesen drei Monaten kann ich mich neu entscheiden ... ob ich dann wieder in meinem alten Sumpf-und-Suff zurück will ... oder ob ich danach meinen abstinenten Weg weitergehen werde.
Suff oder Abstinenz ... andere Alternativen gibt es für mich nicht mehr.
Zu meiner Person: Ich bin 42 Jahre alt, wohne im Ruhrpott und arbeite als Physiotherapeut. Mittlerweile habe ich das Bedürfnis etwas von meiner Anonymität auf diesem Board aufzugeben.
Meine Anamnese: Alkoholismus und Depressionen ... Ich leide an beiden Erkrankungen.
Meine Depressionen wurden vor ca. 9 Jahren diagnostiziert. Nachdem ich die Symptome dieser Erkrankung kannte, konnte ich sie bis zu meinem 17. Lebensjahr zurückverfolgen. Diese depressiven Phasen ... auch über mehrere Jahre ... hatte ich damals schon als meinen "Normalzustand" empfunden. Ich trauere diesen verlorenen Jahren nicht mehr nach ... Zumindest das habe ich gelernt. Und ich weiß aus der eigenen Erfahrung, dass mit dem Ende einer jeden depressiven Phase die Lebensfreude und Lebenslust wieder erwachen ... Die ganze Zeit davor ... wird plötzlich zur Vergangenheit ... Sie interessiert dann in diesem Moment nicht mehr.
Gelegentlich gesoffen habe ich seit ca. meinem 17. Lebensjahr ... Dieses exzessive Saufen ... heimlich und alleine ... in den eigenen vier Wänden ... ohne jegliche Freude dabei ... als Flucht vor meiner Depression ... als Flucht vor meinen Ängsten ... begann vor ca. 2 1/2 Jahren.
Es wurde immer schlimmer ... die "trockenen" Phasen immer kürzer ... die "blauen" Phasen immer länger ... Die Konsequenzen: Isolation ... Passivität ... Verwahrlosung.
Wenn ich mich betrunken habe, dann mit Bier ... zuletzt 8 - 16 Flaschen täglich ... je nach dem, wie viel Zeit ich zum Saufen zur Verfügung hatte ... ab dem frühen Morgen ... ab der Mittagszeit ... ab der Abenddämmerung ... Meine Saufmotivation: Betäubung ... eine schnelle Flucht ... keine depressive Leere mehr ... keine Ängste mehr ... Pseudo-Sicherheit ... Pseudo-Geborgenheit ... bis zum "Erwachen" am nächsten Tage ... Mit der Zeit wurden dann auch die körperlichen und psychischen Entzugssymptome hinzu.
Ich habe versucht den Teufel mit dem Belzebub auszutreiben ... und leide nun an beidem: Depression und Alkoholismus.
Wenn ich dem Suff erlag, ging es nicht so weit, dass ich gelallt oder getorkelt habe ... Ich suchte die nötige Vernebelung ... um weiterhin in Passivität und Isolation verharren zu können ... Dem realen Leben entrückte ich dabei mehr und mehr.
Dann mein Psychiatrieaufenthalt ... erneut wegen "schwerer depressiver Dekompensation" ... neu war aber der Zusatz "mit sekundärem Alkoholabusus" ... Ich wurde dort auf Depression behandelt ... zwei Monate Klinik ... und kein Alkohol ... ??? ... Doch ... auch da habe ich an vier Samstagabenden dem Alkohol nicht widerstehen wollen.
Meine Entlassung aus der Psychiatrie ... Die Depression war gebessert, aber noch nicht vorbei ... Hinzu kam meine neue Arbeitslosigkeit ... Ich bewegte mich auf direktem Wege wieder in meinen alten Sumpf: Isolation, Passivität, Depression, Saufen, Verwahrlosung ... Ich hatte nichts geändert.
In den Monaten April und Mai habe ich dann 4 Wochen lang gesoffen ... Tag für Tag ... dann ein paar Tage Pause ... und der erneute Rückfall ... mein zwanghaftes Saufen ... wieder für ein paar Wochen ... völliger Realitätsverlust ... Ich ging nun auch nicht mehr arbeiten ... weil ich gesoffen habe ... Ich kümmerte mich nicht mehr um meine Weiterbildung ... weil ich gesoffen habe ... Ich setze meinen Job und meine Weiterbildung aufs Spiel, um zu Saufen ... Job und Weiterbildung ... Es sind meine beiden letzten Stohhalme zur Realität, die ich noch besitze ...
Ich habe dann wieder einmal die Kurve bekommen ... meine Arbeitsstellen gerettet ... die erste wichtige Prüfung der Weiterbildung bestanden ... Die erste Kontaktaufnahme mit der Caritas ... meine Anmeldung auf diesem Board hier ...
Seitdem geht es allmählich aufwärts ... ganz langsam nur ... und auch mit Rückschlägen und Rückfällen verbunden ... aber insgesamt zeigt meine momentane Entwicklung positive Züge.
Der Beruf: Seit Mitte Mai habe ich eine zweite Arbeitsstelle gefunden ... Mein neuer Arbeitgeber ist ein gesunder Betrieb ... mit guter Zukunft und Perspektive ... und das in einem Gesundheitswesen, welches allmählich vor die Hunde geht. Meine Integration gelingt mir dort zur Zeit mehr und mehr ... Der andere Arbeitsplatz dient meiner Leidenschaft an dem Beruf. Und beide Stellen hätte ich beinahe dem Suff geopfert ...
Die Weiterbildung: Es ist eine gute Weiterbildung ... die interessant ist ... die Spass und Freude macht ... trotz der finanziellen Opfer ... trotz der Zeit und Mühe, die ich dafür erbringen muss ... Auch diese Weiterbildung wäre beinahe im Alkohol ersoffen ... Ich habe auch hier die Kurve noch so eben erwischt ... und die erste Zertifikatsprüfung sogar sehr gut bestanden ... Ich werde nun diesen Weg bis zum Ziel weiterverfolgen.
Mein Depri-Problem: Nach der Klinik habe ich recht schnell einen Psychologen für die ambulante Weiterbehandlung gefunden ... Aber diese Therapie hat momentan nur einen begleitenden Charakter ... solange meine Alkoholproblematik im Vordergrund steht. Der medikamentöse Bereich wird durch einen Neurologen / Psychiater abgedeckt.
Mein Alk-Problem: Ich strebe eine ambulante Therapie bei der Caritas an. Eine stationäre oder teilstationäre Therapie kommt für mich nicht in Frage, weil ich dadurch meine Arbeitsplätze riskieren würde. Auf der einen Stelle bin ich noch in der Probezeit ... und habe in den ersten drei Monaten allein sechs Wochen gefehlt ... drei Wochen wegen Weiterbildung ... drei Wochen wegen meiner Sauferei ... Ich will die nächsten Monate ohne weitere AU überstehen. Und auch meine anddere Stelle würde ich durch weitere Fehlzeiten in der näheren Zukunft gefährden.
Am nächsten Freitag habe ich einen vorentscheidenen Termin bei der "Ambulanten Rehabilitation Sucht" ... Es geht um die Frage, ob bei mir auch eine ambulante Therapie ohne vorausgehende klinische Entgiftung möglich ist. Sollte dieses Gespräch positiv für mich verlaufen, werden dan sicherlich noch einmal ca. zwei Monate vergehen, bis die ambulante Therapie anläuft.
SHG: Diese SHG werden zu einer wichtigen Stütze für mich werden. Doch momentan ruht meine Initiative SHG ... Die Arbeitszeiten reichen zurzeit bis in den späten Abend ... und überschneiden sich mit diesen Treffen ... Auch diese Woche wird es nichts mit einem Besuch bei einer SHG werden, zumal ich zwei Tage wegen der Weiterbildung unterwegs bin. Erst danach entspannt sich die Lage.
Sozialkontakte: Meine private Isolation in den letzten Jahren ... Ich bin einsam und alleine ... Der direkte Kontakt zum anderen Menschen ist mir schwer geworden ... Ein depressiver Schleier legt sich dann über mich ... und meine Worte verstummen vor meiner Angst. Die Rückkehr zu den anderen Menschen ... Auch dies ist ein weiteres und wichtiges Ziel für die nächsten Wochen.
Beziehungen: In der Depression gibt es für mich keine erotisch-sexuellen Empfindungen ... Sympathie ... Zuneigung ... Liebe ... Diese Empfindungen degenerieren dann zu leeren Worthülsen. Ich habe noch ein Bild vor Augen ... Ich war in einer tiefen depressiven Phase ... apathisch lag ich im Bett ... meine damalige Freundin hämmerte wild und verzweifelt mit ihren Fäusten auf meinen Brustkorb ... "Lass mich endlich in dein Inneres!" schrie sie dabei ... Aber ich konnte weder agieren noch reagieren ... gelähmt von meiner inneren Leere. Eine Beziehung zu einem depressiven Menschen ... der dabei an chronischen Rezidiven leidet ... KEINE Frau hält das lange aus ... Das sagen mir meine Erfahrungen.
Noch exremer gestaltet sich die Kombination Depression und Alkoholismus ... denn damit stirbt jegliches Bedürfnis nach einer Beziehung!!! ... Das Bedürfnis nach Zeisamkeit? ... gestorben! ... Das Bedürfnis nach Sexualität? ... gestorben! ... Das Bedürfnis nach Erotik? ... gestorben! ... Das Bedürfnis nach Zärtlichkeit? ... gestorben!
die ambulante Therapie braucht keine 2 Monate zu warten, du kannst da immer gleich mit einsteigen.... du musst bei der Beratungsstelle das sagen, dass du gleich Hilfe möchtest.
Hallo Hoffnung, Die Darstellung deiner Situation ist so offen und klar. Respekt.
Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn alles gestorben ist. Aber glaube mir,es ist zu reanimieren. In meiner damaligen Situation konnte ich das nicht glauben. ABER.....
Es geht wirklich!
Viel Durchhaltevermögen wünscht dir Manuela
[f1][ Editiert von Falballa am: 10.08.2004 8:30 ][/f]
Du bist ja echt beschissen dran was? Ich auch! Während meiner Wechseljahe hatte ich schlimme Depris. War leider deswegen nícht beim Arzt, habe sie mir weggesoffen. Nun ja, die Depris sind weg aber der Durst nach Alk ist immer noch vorhanden....
Ich möchte nur mal wissen, warum ich so eine Abneigung gegen Ärzte habe. Manchmal können die einem doch helfen...
Als Kind lag ich mal fast 1 Jahr lang im Krankenhaus, vielleicht ist das die Wurzel allen Übels...........
Ich kämpfe.
Wie machst Du das mit den 90 Tagen? Teile das doch mal bitte mit, dann fangen wir zusammen an.....
ich kann Helena nur zustimmen. Auch für mich ist es das erste Mal, dass ich ein Post von dir zu Ende gelesen und sogar verstanden habe.
Bei deinen vorherigen Monologen habe ich mir oft gedacht:"Mein Gott, den haben sie eindeutig zu heiß gebacken." Das war alles so verworren und tja, weltfremd. Jetzt ist das Ganze mehr Fleisch und weniger Fisch. Mach weiter so. Willkommen in unserem Universum.
Den Vorsatz 90 Tage nichst zu trinken um danach die Situation neu zu bewerten, und dann neu zu regeln, ist ein Anfang.
Du schreibst, dass Du Deine Gedanken in ein Tagebuch schreibst. Ist eine gute Möglichkeit nach einer bestimmten Zeit die Veränderungen die man gemacht hat, sich nochmals bewusst zu machen.
Ich habe mir damals als ich am Anfang meiner Abstinenz stand, positiv Erlebnisse aufgeschrieben, und immer wenn ich mal wieder einen Durchhänger hatte, habe ich mir diese Dinge durchgelesen, um mir bewußt zumachen, was alles bei einem Rückfall auf dem Spiel steht. Dies hat bewirckt, dass die schwarzen Wolken die über mir schwebten, verschwanden.
Du bist mit einem Psychologen wegen Deiner Probleme im Gespräch. Besprech doch nal mit ihm, warun Du den Beruf eines Psychotherapeuten gewählt hast. Vielleicht besteht hier ein Zusammenhang zu Deinen Depressionen und Deiner Alkoholerkrankung.
Ich wünsche Dir für die vielen 90 Tage die noch folgen sollen viel Mut, Ennergie und Ausdauer. Du solltes so schnell wie es Dir möglich ist eine Gruppe besuchen. Mit denen könntest Du Quatschen wenn Du wieder auf einen Abgrund zusteuerst. Gehört bei mir zu meinem Notfallplan. Ich habe ein paar Leute die ich in einer Notsituation zu jeder Zeit anrufen könnte, um Hilfe zu bekommen. Bevor der Absturz passiert.
Vielen Dank für Deine Berichtigung. Ich habe es falsch gelesen und aus Physiotherapeut ein Psychotherapeut gemacht.
In der Aufbaugruppe habe ich zur Zeit einen Psychotherapeuten der nach 14 Jahren einen dicken Rückfall gebaut hat und ihn mit Hilfe der Gruppe aufarbeiten will. Hat sicher dazu beigetragen, dass ich das falsch gelesen habe, kam mir alles so bekannt vor.
Du siehst Therapeuten sind Menschen wie Du und ich und dem Alkohol ist es egal welchen Rang oder Titel jemand trägt.
Da ich gerade erst von der Arbeit komme und eigentlich schon auf der Autobahn Richtung Weiterbildung bin ... kann ich erst gegen Wochenende darauf antworten.
Hi Lilli ... als dein nächtliches Chat-Angebot kam, war ich zu der Zeit leider offline ... Aber aufgeschoben heißt ja nicht aufgehoben, oder? ... LG ... C
Tja ... Das mit der ambulanten Rehabilitation ist ein Kapitel für sich ... aber dazu später mehr.
Ja ... Du hast recht: Schreiben tut gut! Beim geschriebenen Wort fällt es mir leichter, echt und ehrlich zu sein als beim gesprochene Wort.
Früher gab es neben dem Wort noch eine andere Sprache für mich ... das Malen ... NEIN! ... KEINE Kunstwerke!! ... nur kleine spontane Skizzen ... gelegentlich ausgedehnt zu größeren Zeichnungen. Das gemalte Bild ... spontan zu Papier gebracht ... ohne dabei nachzudenken ... einfach der Intuition folgend ... Diese Form des Zeichnens offenbart wieder eine ganz andere Sprache ... eine Sprache, dessen Quelle noch tiefer im inneren Ich liegt ... eine Sprache, die mehr von den eigenen Emotionen geleitet wird und weniger von der Ratio. Damals habe ich die Sprache des Bildes als meine wahre Sprache empfunden ...