Ich war oft im Krankenhaus zur Entgiftung. Die ersten zwei Male noch mit eigener Kraft und auf eigenen Beinen. Später wurde ich in der Regel eingeliefert: Irgendwo aufgelesen, von Passanten, von einer Streifenwagenbesatzung, von Beam- ten der Bahnpolizei. Nicht daß ich schon direkt auf der Straße gelebt hätte. Da war durchaus noch das, was man ein bürgerliches Umfeld nennen könnte. Aber ich hatte die Do- sierung des Alkohols nicht mehr im Griff: Immer öfter habe ich, ohne es richtig mitzukriegen, die Grenze zum totalen Blackout überschritten.
Für einen Alkoholiker ist das eine ganz unerwartete Er- fahrung. Als Säufer ist man ja selten richtig besoffen. Ich ineine, man ist es nicht in dem Sinn, in dem ein "Nor- maler" besoffen ist, wenn er mehr getrunken hat, als er verträgt. Aber "besoffen sein" wollte ich ja auch nie. Zumindest am Anfang meiner Säuferkarriere nicht. Ich wollte nur diesen anderen Bewußtseinszustand erreichen. Den, in dem das Leben leicht und lebenswert wird, und man selber ein bißchen die Erdenschwere verliert, die einen so sehr behindert. So oft in meinem Leben war ich mir vorge- kommen wie eine Eidechse an einem kalten Morgen - unbewe- glich, träge, schwerfällig, langsam. Alle anderen hingegen waren flott, waren gut drauf. Die waren die winner, ich war der looser. Im Laufe der Jahre hab ich dann begriffen, daß Alkohol hilft. Alkohol ist warm. Wenn er sich wohlig vom Bauch aus im Körper ausbreitet, ist das mehr als ein tolles Gefühl, es ist Lebensenergie die ausströmt: Witz, Schlagfertigkeit, Selbstbewußtsein, selbst Schönheit - alles hat man plötzlich. Zumindest hat man das Gefühl, man hätte es, wenn man es brauchte. Wenn es jetzt drauf ankäme - jetzt könnte man, wenn man wollte.
Mit der Zeit ist diese schöne Illusion immer schwieriger zu erreichen. Der Körper braucht ja schon eine gewisse Alkoholzufuhr, um überhaupt normal reagieren zu können. "Normal" heißt, ohne Entzugserscheinungen, ohne Unruhe, ohne Zittern, ohne Angstzustände. Derartige Symptome traten bei mir sehr früh auf, ohne daß ich sie damals mit dem Alkohol in Verbindung gebracht, oder gar als Entzugs- erscheinung identifiziert hätte. Ich sah die ganze Sache viel naiver: Mir war einfach nicht gut, und ich wußte, nach einem kräftigen Schluck Alkohol würde mir besser gehen. Ich fühlte mich dabei nicht anders oder abhängiger als einer, der nach einem fetten Essen einen Verdauungs- schnaps trinkt. Daß es bei mir statt einem zwei, drei, vier oder noch mehr Schnäpse waren, war für mich kein warnendes Zeichen. Mir war eben nur ein bißchen öfter ein bißchen schlechter als den anderen.
Mit diesen paar Schnäpsen war also schon mal das Schlecht- sein vorbei, aber war das positive Glücksgefühl, das ich so sehr suchte, war noch nicht erreicht. Träge, schwerfäl- lig, unbeweglich war ich ja noch immer. All das, was ich so an mir haßte, war noch da. Um die wunderschöne Leich- tigkeit zu gewinnen, mußte ich noch ein bißchen mehr trinken, nicht viel, nur noch ein kleines bißchen mehr. Oberflächlich gesehen war damit nicht viel passiert. Ich trank eben einfach immer noch ein bißchen mehr. In Wirk- lichkeit aber war hatte sich nicht nur die Trink-Menge verändert, sondern auch das Trink-verhalten. Zu Anfang hatte das Trinken ein positives Ziel - ich wollte ein schönes Gefühl erreichen und über meine Grenzen hinaus- kommen. Jetzt war etwas ganz anders geworden: ich wollte nicht nur etwas positives erreichen, ich wollte auch etwas negatives vergessen:
Mein Trinken machte mir ein schlechtes Gewissen, lange bevor es mir handfeste soziale Schwierigkeiten geschafft hat. Ich wußte ja sehr wohl, daß Trinken der falsche Weg war. Ich wurde ja nicht wirklich zu dem erfolgreichen, selbstsicheren, beliebten Mann, der ich so gern gewesen wäre, ich gewann nur ab und zu die Vorstellung, wie man sich fühlen würde, wenn man es wäre. Es ist vielleicht am ehesten mit einem sexuellen Traum zu vergleichen - man erlebt etwas schönes, und doch bleibt die richtige Er- füllung aus. Schlimmer noch, wenn man aufwacht, fühlt man sich mies: betrogen und frustriert. So wenig mir damals klar war, daß ich schon abhängig, daß ich schon Alkoholiker war, so sehr war mir in nüchternen Augenblicken bewußt, daß ich mich durch mein Trinken in einer Sackgasse hielt. Um aus meiner Situation herauszu- kommen, hätte ich aktiv handeln müssen, statt mit dem Glas in der Hand zu träumen, ich hätte Beguemlichkeit und Feig- heit überwinden müssen, ich hätte meine Grenzen über- schreiten müsen. Genau das aber hatte ich, wo überhaupt, nur mit Hilfe des Alkohols gelernt.
Wie gesagt: Selbst als in meinem Umfeld noch alles intakt war, als von dort noch keine Sanktionen wegen meiner Trinkerei drohten, als ich alles noch halbwegs "im Griff" hatte, selbst in diesem Stadium mußte ich schon trinken, um etwas zu verdrängen - das Bewußtsein, hier einen kapitalen Fehler zu machen. Wenn man mich heute fragt, würde ich genau an diesem Punkt, an dem das Trinken zwei Richtungen gewonnen hat - ein positives Gefühl zu erlangen und ein negatives Gefühl zu vergessen - den Beginn meiner psychischen Abhängigkeit ansetzen. Das mag nicht besonders wissenschaftlich sein, vielleicht ist es auch psycholo- gisch überhaupt nicht haltbar, fest steht jedoch, daß es von da an nur noch bergab ging. Bergab bis eben zu jenein Punkt, an dem ich die Dosierung nicht mehr im Griff hatte: Man fängt am Morgen an zu trinken, um die Körperfunktionen wieder ins Lot zu kriegen und um die Angst und das schlechte Gewissen loszuwerden, man trinkt am Vormittag weiter, um gut drauf zukommen, um dieses Glücksgefühl zu erhaschen, das sich aber nicht mehr recht einstellt. Also muß es wohl heute noch ein bißchen mehr sein: Man trinkt weiter. Aber das Glücksgefühl kommt nicht. Was stattdessen kommt, ist der Blackout. Woran das liegt? Ob es der angegriffene Körper ist, der nicht mehr wie gewohnt reagiert, der sozusagen aus dem Ruder läuft und ohne Vorwarnung aussteigt? Oder ob man ab einem gewissen Alkoholspiegel einfach die körpereigenen Signale nicht mehr mitkriegt und weitertrinkt, obwohl man längst zuviel hat?
Ich weiß es nicht und das ist vermutlich genau das typi- sche daran - was genau passiert ist, weiß man hinterher nicht mehr: Nicht wann, nicht wie, nicht warum. Es fehlen einem einfach etliche Stunden, manchmal sogar Tage: Man wacht irgendwann auf, und ist irgendwo - zu Hause im Bett, auf dem Fußboden im Wohnzimmer eines Freundes, auf dem Rücksitz des Autos, im Rinnstein in irgendeiner Torein- fahrt - oder auch im Krankenhaus. Die Tatsache, daß man eingeliefert wurde, ist nur bei den ersten Malen schlimm. Mit schlimm meine ich noch gar nicht einmal die äußeren Bedingungen. Sicher, die Umstände sind übel, gerade wenn man nicht bloß in irgendeiner Notauf- nahme gelandet ist, sondern wenn sie einen direkt in die Entgiftungsstation gebracht haben. Die ist nicht selten mit der psychiatrischen Abteilung zusammengelegt und dem- entsprechend ist die Umgebung: verriegelte Türen, Sicher- heitsschleusen, strenge Besuchsregelung. Für einem, der zum ersten Mal "drin" ist, ist das Erlebnis ein Schock: Man ist körperlich und seelisch völlig down - schwach, hilflos, ohne Orientierung - und findet sich in einer Umgebung wieder, wie man sie sonst nur aus schlechten Psychokrimis kennt. Ich jedenfalls fühlte mich völlig ausgeliefert und wollte nur eines in aller Welt: Raus. Natürlich wird jeder derartige Versuch im Keim erstickt - entlassen wird nicht der, der raus will, entlassen wird der, dem Arzt den Entlassungsschein ausstellt - und deshalb steigt Panik in einem auf: "Wird man hier je wieder herauskommen?"
Dieser Horrortrip läßt nach, wenn das Bewußtsein klarer wird. Aus Wärtern und Monstern werden dann wieder Ärzte und Schwestern, doch je klarer das Bewußtsein wird, desto schlimmer wird etwas anderes: Die Erkenntnis, daß man hier ganz offiziell als Alkoholiker eingestuft ist. Für mich war diese Erkenntnis furchtbar. Ein Alkoholiker war für mich jemand, der willensschwach ist und schlapp, einer, dem die Power fehlt, einer der auf dem Rückzug ist, einer der zu allem immer zu spät kommt - ein looser eben. Mit anderen Worten - ein Alkoholiker war für mich einer, der so ist, wie ich bin und genau deshalb wollte ich wenig- stens in den Augen der anderen kein Alkoholiker sein. Es ist im Grund nicht schwer zu verstehen: Solange ich mir einbilde, daß nur ich selber über meinen Zustand Bescheid weiß, ist er noch erträglich. Denn was ich weiß, ist nicht gefährlich. Gefährlich ist, was die anderen wissen. Denn die bestimmen letztendlich, wer und was ich bin. So war es immer: Fanden mich die anderen gut, war ich gut, fan- den sie mich schlapp, war ich schlapp, finden sie jetzt, ich sei ein Alkoholiker, bin ich ein Alkoho- liker.
Daß man derart von der Meinung der anderen abhängen kann ist für einen "normalen" Menschen schwer zu verstehen. Dabei ist dieser "Defekt" unter Alkoholikern weit ver- breitet. Vielleicht hilft ein Vergleich: Ein gesunder Mensch wird von innen heraus gehalten, sein Selbstgefühl ist wie ein Skelett, das ihn stützt und trägt und formt. Anders bei einem Alkoholiker. Der hat keine feste innere Stütze, kein verankertes Selbstwertgefühl. Ein Alkoholiker gleicht eher einem Käfer mit seinem Chitinpanzer: er wird nur durch Äußeres gehalten, duch das Bild, das andere von ihm haben und ihm zurückspiegeln. Verändert sich diese Einschätzung plötzlich - oder erkennt man, daß sie anders ist, als angenommen - fehlt mit einem Mal aller Halt. Es stürzt das ganze Sein in sich zusammen. Das mag dramatisch formuliert sein, aber es trifft den Kern.
Deshalb war es für mich in meiner ganzen Trinkerkarriere immer lebenswichtig, nicht als Alkoholiker identifiziert zu werden. Deshalb schwor ich selbst dann noch Stein und Bein, daß alles in Ordnung sei, wenn man mich gerade beim vollen Zug aus der Schnapspulle erwischt hatte. Deshalb war für mich auch die erste Entgiftung so schrecklich:
Hier sah ich zum ersten Male meine Fassade bröckeln. Gut, mir war schon vorher mehr oder weniger klar gewesen, daß in meiner Umgebung bereits hie und da das Wort vom Alko- holiker die Runde machte. Ich ahnte, daß man es immer öfter gerochen hatte, ich ahnte, daß manchem mein bemüht klares Sprechen auffiel. Aber ich hatte vor mir selbst immer noch einen Trost: Solange dies nur Gemunkel war, solange konnte man es durch korrektes und nüchternes Verhalten Lügen strafen. Und nüchtern wirken, so glaubte ich, würde ich selbst in reichlich angetrunkenem Zustand noch können. Ich müßte mich nur zusammennehmen. Kurz: Das Etikett "Alkoholiker" war schlimm, aber es war zu kaschie- ren. Das hatte ich mir zumindest eingebildet. Jetzt, nach der Einweisung war die Sache anders. Aus einer abstreit- baren Unterstellung war eine Tatsache geworden, die Auf- schrift "Alkoholiker" nicht mehr aufgeklebt, sondern ein- tätowiert.
Klar, von außen betrachtet, stellt sich diese "Stigmat- isierung" viel weniger dramatisch dar. Da ist der weitere Abstieg nach der ersten Entziehung keineswegs vorprogram- miert. Schließlich kriegt man in dieser Phase von seiner Umwelt in der Regel noch einmal alle Chancen eingeräumt. Das ändert bloß leider nichts daran, daß all die vorher geschilderten Probleme in der subjektiven Wahrnehmung trotzdem ganz real vorhanden bleiben. Weiter: Selbst wenn es einem tatsächlich gelingt, sich und seine Existenz in ein halbwegs stabiles, normales Leben zurückzuführen, ist damit eben nicht alles in Ordnung: Jene, die scheinbar Glück haben, weil Familie und Partner noch zu ihnen halten, weil sie den Arbeitsplatz noch haben, weil ihr Ansehen bei den Nachbarn noch nicht gänzlich weg ist, merken bald, daß dieser Segen auch ein Fluch ist: Es ist nicht so, daß so ein soziales Netz nur hält. Es fesselt auch und schränkt ein: Nicht wenige haben schließlich aus irgendwelchen Beziehungszwängen heraus angefangen, sich nach einem Trostmittel umzusehen. Zum Beispiel weil ihnen Verhaltensweisen abgefordert wurden, die sie ohne Krücke nicht ableisten konnten, zum Beispiel weil sie Rollen spielen mußten, die ihnen zu groß oder einfach zu fremd waren. Das ist kein Witz, es ist auch keine billig Ausflucht. Es ist Realiät, auch wenn sie selten erkannt wird. Und genau in dieses Beziehungsgeflecht mit all seinen alten Ansprüchen gerät man nach der Entziehung wieder. Der einzige Unterschied ist der, daß eine weitere Belastung hinzugekommen ist: Der innere Zwang, ständig allen beweisen zu müssen, daß man wirklich trocken ist. Genau deshalb klappt der Ausstieg nach der ersten Entzie- hung auch nur ganz selten. In diesem frühen Stadium denkt man noch, daß es reicht, wenn man mit eisernem Willen zu trinken aufhört und ansonsten weiterlebt wie bisher. Nur wer Glück hat, erkennt schon jetzt, daß es im Grunde nötig wäre, die ganze Persönlichkeit umzukrempeln. Natürlich ist das ein großes Wort, aber es wird nicht besser - und vor allem nicht einfacher - wenn man versucht, die Sache ein Stück tiefer zu hängen. Sicher: Strenggenommen geht es nur darum, die alten, eingefahrenen Hohlwege früheren Verhal- tens zu meiden, weil die einen früher oder später zwangsläufig an einen Punkt bringen, an dem die Flasche dann ganz nah ist. Wie das jedoch gehen soll, kann einem kein Außenstehender sagen. Es gibt dafür kein Pa- tentrezept. Sicher ist nur eines: Es ist um so schwerer, um so enger man in mit seiner früheren Umwelt verwoben bleibt. Hier hilft eigentlich nur die radikale Lösung:
totale Trennung. Weil die nach der ersten Entgiftung kaum einer eingehen will, gehen die meisten zwangsweise den Weg nach unten weiter. Auf diesem Weg nach unten ändert sich allmählich die Ein- stellung zur eigenen Krankheit. Das äußerst sich auch in der Einstellung zu Krankenhaus und Entgiftung. Man lehnt sich weniger dagegen auf, man hat sich mit der Zeit auch mit seiner Existenz als Alkoholiker abgefunden. Wohlge- merkt: es geht ums sich abfinden, nicht ums akzeptieren. Sich abfinden ist keine Einstellung, die Veränderung hervorbringt, alles was sie hervorbringt, ist Resignation: Ich habe vorhin davon gesprochen, daß man mit dem Trinken nach einer gewissen Zeit zwei Ziele verfolgt: Etwas zu erreichen, und immer mehr, etwas zu vergessen. Spätestens jetzt hat die Phase des "immer mehr" begonnen. Denn jetzt fängt sich der Teufelskreis erst richtig an zu drehen: Je mehr man säuft, desot schlechter geht es einem, je schlechter es einem geht, desto dringender will man raus aus seiner Säuferexistenz. Doch der einzige Ausweg den man kennt, ist der des Suffs: Also säuft man noch mehr. Es ist übrigens nicht so, daß man als Säufer diesen Mechanismus nicht erkennen könnte. Es ist gerade das Brutale daran, daß man sehr wohl erkennt, was abläuft. Auch deswegen säuft man ja.
In dieser Situation kommt einem die Einlieferung manchmal sogar wie ein Geschenk vor: Man ist endlich herausgerissen aus der ewigen Spirale. Es wurde ein Schritt vollzogen, den man allein, aus eigenem Entschluß nicht mehr zuwege gebracht hätte. Wahrscheinlich versteht kein normaler Mensch, warum man in dieser Lage nicht von selbst aussteigt. "Es ist doch so einfach, warum kann man denn nicht einfach aufhören?" Die Antwort ist ebenso banal wie die Frage: Man kann sich als Alkoholiker schlichtweg nicht vorstellen, wie es ein "Leben nach dem Alkohol" geben soll. Der Alkohol hat ja nicht nur seine Rolle als Stimulanz oder Tröster. Er ist mehr als nur Hilfsmittel, mehr als nur Krücke. Er ist ab einem gewissen Stadium der Lebensinhalt selbst: Andere haben die Arbeit, haben eine Beziehung, haben ein Hobby. Diese Dinge füllen das Leben vielleicht nicht direkt mit Sinn, aber sie füllen es doch wenigstens zeitmäßig aus. Der Alkoholiker hat den Alkohol und mit ihm hat er makaberer weise mehr als die anderen. Alkohol ist Zeit- und Sinnerfüllung zugleich: Es fordert enormen Aufwand sein Alkoholiker-Dasein vor den anderen zu verbergen, den Alkohol gegen die Kontrolle durch Freunde/Partner/Nachbarn eitern zu besorgen, zu bunkern, und zu konsumieren. Das fordert Kraft und es fordert Kreativität. In der Tat ist es so, daß immer, wenn es mir gelang, mich trotz aller Überwachung mit dem nötigen Stoff zu versorgen, nicht nur Erleichterung überfiel, weil die Entzugsymptome gleich beseitigt sein würden, sondern es war für einen Moment auch ein Stück perverser intellek- tueller Befriedigung und sogar eine Art Stolz dabei. Dieses Gefühl kennt, glaube ich, jeder Alkoholiker: Man ha^s den anderen gezeigt, man hat Leistung erbracht, hat eine schwierige Aufgabe erfolgreich erledigt. Eine Aufgabe noch dazu, die im eigenen Wertsystem ja gar nichts mora- lisch minderwertiges hat, im Gegenteil. Für einen Alko- holiker ist die Vorsorge mit Alkohol nichts anderes als die Absicherung des täglichen Überlebens.
Der Alkohol ist somit Lebensinhalt - er beherrscht Denken, Handeln und Unbewußtes total, alles andere wie Partner- schaft, Familie, Beruf wird dem Alkohol untergeordnet, muß ihm untergeordnet werden, weil es nur mit Alkohol über- haupt noch stattfinden kann. Mitten in diesem Dasein, das so sehr vom Alkohol bestimmt wird, kann man sich ein Leben ohne Alkohol absolut nicht vorstellen, es erscheint einem geradzu völlig unmöglich. Aufzuhören wäre ein Sprung wenn schon nicht ins Bodenlose dann doch sicherlich ins Ungewisse, und wie sollte den einer unternehmen können, dem schon in seinen nüchternen Zeiten der Mut fürs Ungewisse gefehlt hat? Genau deshalb erschien mir die zwangsweise Einlieferung in die Entgiftungsstation manchmal wie ein Geschenk: Endlich war es nicht mehr ich der handeln mußte, endlich wurde ich be-handelt. Ich fand hier sozusagen auf legitime Weise das, was mir sonst nur der Alkohol bot: Verantwortungs -Losigkeit Aber dieses Gefühl der Sorgenfreiheit ist nicht von Dauer. Spätestens nach drei Wochen, vier Wochen, kommt der Entlassungstag. Die Gefühle, die man dabei hat, sind durchaus zwiespältig. Es ist eine Mischung aus Freude und Angst. Freude, weil man natürlich froh ist, wieder aus der Psychatrie raus zu sein, sich wieder wieder frei bewegen zu können. Angst, weil man keinen blassen Schimmer hat, wie es draußen weitergehen soll. Die Angst wird um so größer, je nüchterner man wird, je mehr das Handeln wieder in eigene Verantwortung übergeht, beziehungsweise gehen sollte: Der Brocken, den man vor sich sieht, ist gigan- tisch. Vielleicht ist es ein schiefer Vergleich, aber man fühlt sich nach der Entgiftung nicht viel anders als ein Strafentlassener. Man hat keine Ahnung, wie man sich im neuen Leben einrichten wird, man hofft nur, daß es schon irgendwie weiter gehen wird.
Häufig bleibt es bei der Hoffnung. Wer die Klinik verläßt, ist allein, so allein wie selten zuvor. Denn in der Regel hat er nichts mehr: Draussen wartet ja selten eine glückliche Freundin/ Freund, eine glückliche Familie. Man kann ruhig alle subjektiven Ängste außen vorlassen und die Situation ganz objektiv sehen - es ändert nichts: Draussen warten auch im günstigsten Fall nur ein Haufen Trümmer: eine zumindest angeknackste Beziehung, eine nicht mehr hundertprozentig sichere Arbeit, ein ziemlich lädiertes Ansehen. All das war einem zwar schon in der Klinik mehr oder weniger klar, aber jetzt wird es einem Punkt für Punkt mit unbarmherziger Genauigkeit vor Augen geführt. Wie man sich dabei fühlt, wird vielleicht mit einem Vergleich ver- ständlicher. Es ergeht einem in dieser Situation nicht viel anders als einem, der sein Gedächtnis verloren hat. Dieser muß versuchen, sich Schritt für Schritt seine Existenz wieder zu erarbeiten: Wer bin ich? Diese Selbst-Erfahrung ist selbst dann schmerzhaft, wenn sich keine Katastrophen sondern eine gutbürgerliche Existenz auf tun: Auch hier gibt es noch genügend Schwachstellen. Überhaupt ist es keine einfach Sache, wenn man seine ganze Existenz mit all ihren Unzulänglichkeiten und Fehlern en bloc vorgesetzt kriegt, und sich sagen muß; Da hilft nichts, so ist es, das bist Du, das ist Dein Leben. Dem Alkoholiker ergeht es nicht anders, nur daß das, was ihn erwartet, schlimmer ist. Viel weiß ja auch er nicht mehr von sich: Kaum, was alles war, in der letzten Phase vor dem Zusammenbruch, kaum was er gemacht hat, und schon gar nicht, wie ihn die anderen erlebt haben, was er ihnen angetan hat.
Also tastet man sich von Kontaktperson zu Kontaktperson, von der Partnerin zu den Freunden, von den Freunden zu den Arbeitskollegen, von den Arbeitskollegen zu den Eltern, von den Eltern zu den Nachbarn. In der Regel ist man mit jedem Kontakt, mit jedem Gespräch um eine Hoffnung ärmer, um eine Horrorgeschichte reicher. Es ist eine geballte Wucht an Versagen und Fehlverhalten, an versäumten Chancen und unwiederbringbaren Gelegenheiten, die man serviert bekommt. Da mögen die anderen auch rücksichtsvoll sein, und einem alle Chancen einräumen wollen, man selber kommt sich vor, als wäre man vom Regen in die Traufe geraten: In der Kli- nik hatte man gedacht. Du hast viel angestellt, aber Du hast auch viel gebüßt. Den Entzug empfand man als eine Art große Läuterung, fast schon wie eine Wiedergeburt. Und als Wiedergeborener wäre man gern empfangen worden: frisch, rein, sauber, wert, mit offenen Armen aufgenommen zu werden. Was stattdessen kommt, sind Probleme, ist Distanz, ist Mißtrauen. So was beutelt auch einen Gesunden, einen der mit sich im Gleichgewicht ist. Völlig vernichtend aber ist es für einen, der gerade versucht, sich in der Welt ohne Alkohol zurechtzufinden. Es wäre die Welt ja ohne äußere Schwie- rigkeiten schon voller Probleme: Es ist für die mit einem Mal wieder nüchternen und damit geschärften Sinne alles neu, alles fremd. Und dann kommt ja noch das stets vorhandene Verlangen nach Alkohol hinzu. Der Griff zur Flasche ist ja zur Reflexbewegung geworden, und tief ins Unbewußte eingesunken. In diesem Zustand äußere Belastungen durchzustehen ist für einen, der äußere Belastungen immer nur "gedopt" durchstand, eine harte Probe. Denn die Verzweiflung ist zweifach und sie ist verschärft: Da ist zum einen die Erkenntnis über das eigene Versagen, das doppelt schwer wiegt, weil es solange verdrängt wurde, und da ist zum zweiten das Bewußtsein, kein Heilmittel mehr gegen die Verzweiflung zu haben. Und es ist ja nicht irgendein Heilmittel, das fehlt, es ist genau jenes, das einem so sicher und so verläßlich über alles hinweggeholfen hatte, daß man sich ein Leben ohne nicht mehr vorstellen konnte: Man hat ja lieber alles andere aufgegeben, als das wohlige Vergessen, das es bietet und die wärmende Illusion, das alles so schlimm gar nicht sei.
Ist es deshalb verwunderlich, daß die Zahl derer, die über diese Phase hinwegkommen, nicht allzu groß ist? Manche steigen ja auch schon viel früher aus. Für manche reicht schon die bloße Angst vor dem Kommenden: Sie ist schon bei der Entlassung so groß, daß sie es von der Klinikpforte nicht einmal bis zum Bahnhof schaffen: Sie versorgen sich vorher mit Stoff. Ich kenne das. Der Alkohol gibt einem dann die Illusion, genügend Mut zu haben, um es noch einmal zu probieren, er gibt einem für kurze Zeit vielleicht sogar das Gefühl, es diesmal auch zu schaffen. Daß man da schon am Anfang gescheitert ist, weiß man im Grunde. Aber man kann es verdrängen, sobald der Stoff wirkt. Grausig schlimm ist nur jene Zeitspanne, bis es soweit ist, bis der Rest von Vernunft, der einem geblieben ist und einen davon abhalten will, endlich weggeschwemmt ist. Diese Minuten sind schrecklich: man geht an den Kiosk und in einem sagt es, "tu^s nicht", man ordert die Flasche, und in einem sagt es, "noch kannst du sie umtauschen in ein Cola", man kriegt sie über den Tresen geschoben, und denkt "du könntest sie einfach stehen lassen", man zieht sich in irgendein Eck zurück, schraubt den Flachmann auf und in einem schreit es, "sei jetzt und einmal stark und schütt es einfach aus". Es schreit so laut, daß der Druck kaum auszuhalten ist, und deswegen kippt man das Ganze in einem Zug, damit der Zwiespalt aufhört, damit man nicht mehr zurückkann.
Ist der Stoff erst mal unten, setzt, so kurz nach der Ent- giftung, fast schlagartig die Wirkung ein. Fünf Minuten, höchstens zehn, und ich hatte alles wieder im Griff, war die Welt wieder in Ordnung. Den Rest von Vernunft, der mich eben noch abzuhalten versuchte, halte ich nunmehr für Hysterie, und das eben vollzogene Scheitern interpretiere ich kurzerhand als Neuanfang: Ich bin ja entgiftet, und dieser eine Flachmann, diese eine Flasche Bier macht ja nicht gleich wieder körperlich abhängig. Es ist ja nur so eine Art "Anschubfinanzierung" für die Zukunft, um neuen Schung zu holen. Und weil man viel Schwung braucht, und so kurz nach der Entgiftung ja eigentlich auch zwei Flach- männer noch nicht körperlich abhängig machen, besorgt man sich noch einen anderen... Dabei ist man, solange man so denkt, noch gar nicht ganz am Ende. Da gibt es dann die anderen, bei denen die Verzweiflung über das permanent wiederholte Scheitern tatsächlich schon so groß ist, daß der Alkohol definitiv keine positiven Gefühle, keine Hochstimmung, keinen Optimismus mehr erzeugen kann und auch gar nicht soll: Er soll nur noch ertränken. Jemanden, der so denkt, stellt man sich unwillkürlich als Penner vor. Einen, dem man das ganz unten wirklich ansieht. Doch ist das die falsche Vorstellung. Um so zu denken, zu fühlen, kann man für Außenstehende durchwegs noch im sozialen Netz integriert sein. Gut: da ist keine Partnerin, kein Partner mehr, aber, wenn er/sie nicht mehr trinkt, wird er/sie schon irgendwann einmal wieder jemand finden, gut, das ist der Job seit langem weg, aber wenn er/sie hart bleibt, ist da immer wieder was zu kriegen. Nicht den Fähigkeiten entsprechend, schon gar nicht dem, was man früher gemacht hat, aber doch zumindest eine Beschäftigung. Als Alkoholiker kann man darüber nur lachen. Nur wer in dieser Existenz drin steckt, kann mitempfinden, daß man als Alkoholiker ab einer gewissen Wegmarke den Pfad seines Scheiterns bis zum definitiven Untergang nicht mehr nur dumpf erahnt, sondern klar vorhersieht: Man weiß, wenn einem nicht Umstände von außen, wenn einem nicht nach der Klinik noch irgend jemand hilft, wird man diesen Hohlweg nach unten nicht mehr verlassen können: alleine ist es nicht zu schaffen. Weil aber niemand und nichts da ist, das einem helfen würde und dessen Hilfe man annähme, ist das der Punkt, ab dem man im Alkohol nie mehr Euphorie, sondern nur noch Vergessen sucht und finden wird..
Bleibt die Frage, wo ich persönlich die Kriterien für Erfolg oder Nicht-Erfolg der Entziehungskurzen sehe. Ich denke, die Entscheidung liegt weniger an dem, was einem an theoretischem Wissen vermittelt oder nicht vermittelt wird die Entscheidung liegt ganz banal in der Länge des Aufenthaltes. Nur wenn einen eine Entziehungkur durch ihre Länge völlig aus dem bisherigen Leben herausreißt, ist ein Neuanfang statt eines bloßen Wiedereinstiegs gefordert. Nur ein Neuanfang bietet aber die Chance, manche Fehler zu vermeiden. Vielleicht ist auch hier ein Bild am hilfreichsten: Dem Alkoholiker geht es wie einem, der im Winter im Schnee steckenbleibt. Es ist schön, wenn Hilfe kommt, und ihn ausgräbt. Er wird auch wieder ein Stück weiterfahren können, vielleicht sogar schnell, mit einem immer stärker werdenden Gefühl der Sicherheit. Was nichts daran ändert, daß es bei der nächsten Schneewehe wieder vorbei ist: Es geht noch ein paar Meter, das Tempo wird langsamer, die Fortbewegung mühsamer und dann steckt man wieder fest. Sicher, es mag wieder eine Chance geben, wieder einer kommen, der einen ausgräbt, aber eine echte Chance gäben nur Winterreifen. Doch wo soll man diese Ausrüstung, dieses Rüstzeug unterwegs hernehmen? Also bleibt einem nichts anderes, so hart es ist, als aufhören zu fahren, auf die gewohnte Fortbewegung zu verzichten und auf das Frühjahr zu warten, auf jenen radikalen Wechsel der Bedingungen den nur die Zeit bringt.
ein sehr schöner Bericht, wenn Du statt "man" das Wort "ich" gebraucht hättest, fände ich ihn runder, stimmiger. Das schmälert aber die Aussagen nicht. Hast Dir auch Mühe gegeben, und ich finde mich in vielen Darstellungen wieder. Werd' den Bericht aber am Wochenende mit etwas mehr Zeit nochmal langsam durchlesen.
Eins macht mich ein bißchen nachdenklich, wenn Du 1960 geboren und seit 1981 trocken bist, dann hast Du mit 21 Jahren aufgehört und rein rechnerisch einen Zeitraum von 6 - 7 Jahren zum Saufen zur Verfüghung gehabt, vielleicht'n Jahr mehr. All' dieses Dargestellte in diesen Jahren erlebt zu haben, alle Achtung ... da haste ja schon eine recht bewegte Biografie.
Biste engagiert in SHG's? Was machste sonst so?
LG Fv
PS Natürlich auch von mir ein herzliches Willkommen hier an Board!
Ein Zuviel an Intellekt ist durchaus geeignet, die Freude am Leben zu trüben.
ZitatGepostet von grüne fee kapoen und willkommen,
danke für deine einsichten und die offenheit. ich werde diesen text mit muße noch einmal lesen.
liebe grüße sabine
Danke an alle für die herzlichen Willkommensgrüßen
Nur zum Verständnis noch. Ich habe meine Trinkkariere schon im Alter von 13 angefangen. Mit 17 meine erste "Langzeittherapie" , die ich jedoch nach 6 Wochen abbrach. Schließlich Juni 1981 meine dritte Langzeittherapie (ein Jahr lang), die ich mit wenig gute Prognosen zu Ende brachte. Anschließend auf zweitem Bildungsweg in fünf Jahren zum Abitur, dann Studium der Soziologie mit Erfolg abgeschlossen 1993. Seit Jahern kein Kontakt oder Engagment in Selbshilfegruppen oder Ähnlichem.
ZitatGepostet von grüne fee kapoen und willkommen,
danke für deine einsichten und die offenheit. ich werde diesen text mit muße noch einmal lesen.
liebe grüße sabine
Danke an alle für die herzlichen Willkommensgrüßen
Nur zum Verständnis noch. Ich habe meine Trinkkariere schon im Alter von 13 angefangen. Mit 17 meine erste "Langzeittherapie" , die ich jedoch nach 6 Wochen abbrach. Schließlich Juni 1981 meine dritte Langzeittherapie (ein Jahr lang), die ich mit wenig gute Prognosen zu Ende brachte. Anschließend auf zweitem Bildungsweg in fünf Jahren zum Abitur, dann Studium der Soziologie mit Erfolg abgeschlossen 1993. Seit Jahern kein Kontakt oder Engagment in Selbshilfegruppen oder Ähnlichem.
LG kapoen
kann ich nur sagen willkommen und hochachtung zu dieser kariere .
LG FITTI
Liebe Grüße Friedhelm:Ich bin ein Mensch und nicht der Alkoholiker:gut: :grins2:und schreibfehler bei eby versteigern:sly:
Deine Geschichte ist wunderbar zu lesen und hat mich auf eine emotionale Reise mitgenommen.
Du beschreibst die Entwicklung sehr gut, was mich jedoch ein wenig stört, ist, das deine Formulierungen teilweise den Eindruck erwecken, als hätten sie allgemeine Gültigkeit. Unterstützt wird dieses Empfinden noch durch den Gebrauch des Wortes "man".
Aber trotzdem, super erzählt und mit Sicherheit trifft es auch auf viele Alkoholiker zu.
Ich hoffe, ich kann noch mehr von dir lesen.
Lieben Gruß,
Sabine (Juma)
Liebe bedeutet, jemanden zu haben, der unsere Vergangenheit versteht, an unsere Zukunft glaubt und uns heute so annimmt wie wir sind. :love3:
Komm auf die Hufe, die ersten Hände, die helfen können, stecken in den eigenen Hosentaschen! Zitat Nonick
zai-feh
(
gelöscht
)
Beiträge:
12.10.2007 17:35
#9 RE: Mein Werdegang zum Alkohiliker - Reflexionen
einiges an Deiner Geschichte - vor allem die Altersstruktur (ab 14 zu viel Alkohol getrunken, ab 16 Alkoholmissbrauch, ab 18 klare Alkoholabhängigkeit, ab 20 körperliche Abhängigkeit, Trockenheit mit 21 Jahren/1983) kommt mir bekannt vor, anderes kenne ich nicht beispielsweise keine klnische Entgiftung oder LZTs. Auch wurde mir der Mist nicht wirklich vorgehalten - oder ich kann mich nicht erinnern. Aber ich wurde nach meinem Entschluss aufzuhören, mit offenen und unterstützenden Armen empfangen - allerdings habe ich vorher auch nie "ernst" gemacht.
Was mich jetzt eigentich mehr interessiert: Was lässt Dich aktuell hier aufschlagen?
Ich bin hier Anfang des Jahres aufgeschlagen. Ich besuche auch keine Gruppe - und ich war in einer Lebenskrise. Das hat mich dazu geführt, Kontakt zu "meinesgleichen" zu suchen. Und da ich mit Gruppen Probleme habe, war mir das Internet und speziell dieses Forum ein sehr entgegenkommendens Angebot. Was ist bei Dir der Grund?
einiges an Deiner Geschichte - vor allem die Altersstruktur (ab 14 zu viel Alkohol getrunken, ab 16 Alkoholmissbrauch, ab 18 klare Alkoholabhängigkeit, ab 20 körperliche Abhängigkeit, Trockenheit mit 21 Jahren/1983) kommt mir bekannt vor, anderes kenne ich nicht beispielsweise keine klnische Entgiftung oder LZTs. Auch wurde mir der Mist nicht wirklich vorgehalten - oder ich kann mich nicht erinnern. Aber ich wurde nach meinem Entschluss aufzuhören, mit offenen und unterstützenden Armen empfangen - allerdings habe ich vorher auch nie "ernst" gemacht.
Was mich jetzt eigentich mehr interessiert: Was lässt Dich aktuell hier aufschlagen?
Ich bin hier Anfang des Jahres aufgeschlagen. Ich besuche auch keine Gruppe - und ich war in einer Lebenskrise. Das hat mich dazu geführt, Kontakt zu "meinesgleichen" zu suchen. Und da ich mit Gruppen Probleme habe, war mir das Internet und speziell dieses Forum ein sehr entgegenkommendens Angebot. Was ist bei Dir der Grund?
Liebe Grüße Suse
Hallo Suse,
Danke der Nachfrage, allerdings hat mich Deiner Frage zunächst erstaunt. Erstaunt deswegen, weil ich mir gar keine Gedanken darüber gemacht habe, was ich in diesem Forum zu finden hoffe. Je mehr ich über Deine Frage nachgedacht habe, umso mehr ist meine erste Annahme, nämlich das ich ganz zufällig dieses Forum bzw. die Rubrik "eigene Geschichte" entdeckt habe, warscheinlich wohl doch nicht so zufällig.
Ich bin ja schon seit mehr als 26 jahre absolut trocken oder clean, der Ausdruck clean, deswegen weil neben meiner Hauptsucht "Alkohol" ich garde in den letzten Jahren meiner Karriere auch enorme Menge an Tabletten oder auch illigale Drogen eingenommen habe. Bis hin zum gelegentlich Heroin/Kokain Gebrauch.
das hat sich damals alles in Düsseldorf abgespielt, meine letzte Langzeittherapie war entgegen in München, und ich bin auch nie mehr -außer Kurzbesuche bei der Familie - zurückgehehrt dorthin.
Jedenfalls war das alles enorm schwer die ersten Jahren, ich war so kaputt die letzetn Suchtjahren, das jeder gedacht hat ich würde wohl daran sterben. Zum Teil war ich schon richtig Obdachlos, von Arbeit ganz zu schweigen, zuaalerletzt habe ich mich nur noch von kriminellen Handlungen (Einbrüche, Diebstahl, etc ...) am Leben gehalten. Aber auch Psychisch habe ich damals kaum noch "funktioniert" zunehmende Wahn- Verfolgungswahvorstellungen machten sich im meinem Leben breit. So das mir der Enstchluss zu meiner dritten Langzeitherapie in gewisser Weise leicht viel. Ich hatte nämlich nur noch die wahl zwischen endlich aufhören mit dem Ganzen oder aber Einweisung in die Psychiatrie, oder im Knast oder ein Leben auf der Strasse.
Du kannst mir glauben, das die ersten Jahren absolut schwierig waren. Selbst in der Therapie habe ich mich verhältnismäßig schwer getan, die Prognos nach einem Jahr waren dann auch wenig optimistisch, keiner von dem team dachte, das ich es schaffen würde.
Schwer genug wars ja auch, und das einzige,was mich mich über die ersten Jahren retete war der bloße Umstand , das ich jederzeit genau gewußt habe, bei einem rückfall innerhalb weniger Monate wohl daran zu sterben, also der letztendlich der reine nackte Überlebenswille.
Was darüber hinaus auch stets eine wichtige Stütze war, ist das Gefühl trotzdem Ziele und Perspektiven zu haben. wars es am anfang die Schule, wars es später das Studium und danach die Integration in die Arbeitswelt.
Vielleicht ist es das, was mich im Moment fehlt bzw. was ich suche, und was mich etwas ratlos macht. Im Moment bin ich wohlauch in einer etwas krisenhafte Umorientierungsphase. Die arbeit - obwohl recht gut bezahlt erscheint mir etas sinnlos, und da ich es nie geschafft habe längere Beziehungen aufrechtzuerhalten - Noch heute zutage halte ich Menschen nicht wirklich gut lange aus - habe ich entsprechend auch keine Familie. Deswegen wohl bin ich auf der Suche nach neuem Lebenssinn, und im Fahrwasser dieser Suche hats es mich wohl hierhin verschlagen.
Das war meine Antword auf Deiner Frage .
PS: deutsch ist nicht meine Muttersprache, sag ich nur, damit es nicht zu mißverständnisse kommt, wegen meiner sicherlich gehäuften rechtschreibfehlern.
ZitatPS: deutsch ist nicht meine Muttersprache, sag ich nur, damit es nicht zu mißverständnisse kommt, wegen meiner sicherlich gehäuften rechtschreibfehlern.
Danke für den Hinweis. Ich war schon etwas erstaunt,da dein erster Post fast fehlerfrei war, im Gegenteil zu dem jetzigen.
Hast du den Inhalt deines ersten Posts mal woanders geschrieben, vielleicht für eine Zeitung, oder Ähnliches und dann hier hinein kopiert??
Na ja, ist eigentlich nicht wichtig. Bin nur neugierig
Dir auch einen schönen Abend,
Sabine
Liebe bedeutet, jemanden zu haben, der unsere Vergangenheit versteht, an unsere Zukunft glaubt und uns heute so annimmt wie wir sind. :love3:
Komm auf die Hufe, die ersten Hände, die helfen können, stecken in den eigenen Hosentaschen! Zitat Nonick
zai-feh
(
gelöscht
)
Beiträge:
12.10.2007 19:51
#12 RE: Mein Werdegang zum Alkohiliker - Reflexionen
Mein Kompliment, wenn Deutsch nicht Deine Muttersprache ist.
Ich mache selber genug (Tip/Flüchtigkeits)Fehler, dass ich eher nicht auf die Idee käme, dass ein paar Fehler (so sie mir überhaupt aufgefallen wären) was anderes als Tipfehler sind. Außerdem kommt es auf den Inhalt an.
Das mit Menschen nicht (lange) aushalten kann ich Dir gut nachfühlen. Das geht mir ähnlich. Allerdings habe ich zwei Kinder, insofern habe ich Bindungen. Aber ich habe auch keine funktionierende Beziehungen gehabt. Und mit der Arbeit *lach* vorgestern beim Therapeuten habe ich mich (mal wieder) beklagt, wie sinnentleert meine Arbeit ist. Aber ich muss halt uns ernähren und eine andere Idee habe ich halt auch nicht.
Internet und Foren sind wohl gut für Menschen, die sich mit direktem Kontakt schwer tun. Und ich glaube, dieses Forum hat für jedes "Tierchen" Platz.
In diesem Sinne: Willkommen hier. Liebe Grüße Suse
ich habe mich in vielen Punkten Deiner Geschichte wiedergefunden. Habe auch sehr früh mit dem Alkohol angefangen. Bin schon nach der Schule auf einen halben Liter gegangen, bevor ich nach Hause gefahren bin. Mit 18 mußte ich zur Armee, da hatte ich dann die ersten alkoholfreien Tage seit Jahren. Wenn ich dann aber an Alkohol kam, dann war aber auch alles zu spät.
Danach habe ich noch ca 15 Jahre mein Leben nach unten gesoffen. Dein Erlebtes könnte auch meins sein. Letztendlich brauchte ich auch zwei Therapien (einmal nach 8 Wochen wegen Rückfall rausgeflogen, dann nocheinmal ein halbes Jahr in der gleichen Klinik) und den regelmäßigen Besuch bei den AA um trocken zu werden und zu bleiben.
Allerdings glaube ich nicht, daß eine Langzeittherapie nun unbedingt notwendig ist. Ich kenne viele trockene Alkoholiker die solche Einrichtungen nicht als Patienten erlebt haben, die auch sehr lange trocken sind. Mir hat es sehr geholfen und ich kann mir heute auch nicht vorstellen, daß ich das alles ohne diese Käseglocke nüchtern überstanden hätte. Dazu kam ja viel zu viel auf mich zu. Denn mich selber kennen zu lernen war ja das größte Problem an der ganzen Sache. Mein Gott hatte ich Vorstellungen von mir und meinem bisherigen Leben.