Wenn ich Dich mal verkürzt gesprochen richtig interpretiere meinst Du, das das was diesen Menschen warscheinlich überhaupt erst in die Sucht getrieben hat, nämlich die Kopfsteuerung unter Ausblendung ihrer Emotionen, genau das Mittel der wahl dieser Personen ist, ihrer Sucht Herr zu werden. Das kann natürlich überhaupt nicht funktionieren, das wäre ja den Teufel mit den Beelzebub austrieben, was ja bekanntlich nicht funktioniert. Allerdings tue ich mich etwas schwer mit Deiner impliziten Annahme das die weniger gebildeten und deswegen weniger kopfgesteuerten besseren Zugang zu ihre Emotionalität hat? Aber stimmt das wirklich? Ist das zulassen von Emotionen wirklich so versperrt, wenn man mehr oder länger gelernt bzw. gebildet ist, oder handelt es sich hierbei nur um eine Scheinkorrelation?
Jeder hat seine eigene Geschichte und damit auch seinen ureigenen "Grund" in die Abhängigkeit geraten zu sein. Um aber wieder aufzuhören und eine gewisse Stabilität zu entwickeln, ist es glaube ich sehr hilfreich, wenn ich einen emotionalen Zugang zu mir finde.
Wie funktioniere ich, warum bin ich gerade traurig, wo vor hab ich Angst, welche Situationen bereiten mir Sorgen und, und, und...nur wenn ich lerne mich wahrzunehmen kann ich entsprechend reagieren, um eben nicht wieder in alte Kanäle zu geraten. Und da stehen mir, wenn ich zu sehr Kopfmensch bin, viele innere Barrieren im Weg. Kopf und Bauch zu synchronisieren fällt zumindest nach meiner Erfahrung weniger gebildeten Menschen leichter, was ich aber keinesfalls generalisieren möchte...
okay verstehe, stimmt so wird dann doch noch ein Schuh draus. Menschen die zeitlebens gelernt haben die Dinge und Probleme zu rationalisieren haben dann natürlich auf der anderen Seite zwangsläufig Schwierigkeiten damit den emotionalen Anteil ihrer Suchtproblemen anzuerkennen bzw. zuzulassen und entsprechend damit auseinanderzusetzen. Da die Sucht weniger eine Störung/Problem des Wissen und Denkens ist, sondern vielmehr die Schwierigkeiten im Emotionalen zu finden sind, wundert es nicht. dass die "Kopfmenschen" sich im Schnitt schwerer tun bei der Bewältigung ihrer Sucht!
Das würde auch ein stückweit die ursprüngliche Fragestellung hier erklären, warum diese Leute so wenig in SHGs aufschlagen! Dort nämlich werden Rationalisierungsstrategien (sofern die Gruppe etwas taugt) nicht zum gewünschten Erfolg führen, sondern die Teilnehmer müssen sich ihren emotionalen Anteilen stellen und sich damit auseinandersetzen! Das ist ungewohnt und löst vielleicht sowas wie Panik bei den Rationalisierer aus!, Dem aus dem Weg zu gehen und SHGs zu meiden könnte deren Ausweg aus dem empfundenen Dilema sein.
Wobei ich die "Verkopfung" nicht am Bildungsgrad festmachen möchte. Ich kenne ziemlich ungebildete Menschen, die keinen Zugang zu ihren Gefühlen haben und dann mit sich und anderen (ihren Kindern) ziemlich unempathisch umgehen. Bei manchen möchte ich schon sagen gnadenlos.
Das liegt aber am Umgang mit Gefühlen in der Herkunftsfamilie. Wenn du dort für jede (unerwünschte) Gefühlsregung ein paar auf´s Dach bekommen hast, sind Gefühle etwas Gefährliches. Das löst tatsächlich Panik aus. Wird ein solchermaßen verkopfter, entfühlter Mensch dann mal verlassen, bricht der Schutzwall oft zusammen. Da ist dann nix mehr mit Rationalität.
Dem kann und will sich nicht jeder stellen.
Die inneren "Dämonen" sind in Wahrheit sehr verwahrloste, einsame, wütende, traurige, verletzte "Kellerkinder" der Seele. Bei manchen sogar "Kerkerkinder"...
"Besondere" Gruppen sind (mir zumindest) gar nicht so neu und ich habe so eine Konstellation mal als "Goldrandtrinker" kennengelerent. Es steht jedem frei, sich so zu organisieren, wie es am sinnvollsten und angenehmsten erscheint. Am Ende sollte eine zufriedene Trockenheit stehen, auf Ab- oder Ausgrenzung sollte sie aber nicht fussen.
In SHGs und auch außerhalb habe ich Menschen erlebt, die an exponierter Stelle Verantwortung für viele andere übernommen hatten und irgendwann wegen der Sauferei aufgeben mussten. Den meisten war gemein, dass sie die Fallhöhe als schwindelerregend empfanden und die Abwägung zwischen Trockenheit und dem Verlust des Standesdünkels sie krass überforderte. Leider ist es auch sehr schwierig, diese Menschen dazu zu bringen, über genau dieses Problem, das ihnen so zu schaffen macht, zu sprechen. Dann lieber weitersaufen und, von der dummen Welt unverstanden, weiterleiden. Eine, oft tödliche, Zwickmühle.
Ich kann ja nichts machen, außer denen, die es möchten, meine Bereitschaft zum Gespräch anzubieten, damit fängt ja alles an. Wenn jemand das nicht möchte oder erst meinen letzten Gehaltsscheck sehen muss, bevor ich würdig bin, unter sein emotionales oder intellektuelles Dach einzuziehen, dann bin ich wohl nicht der richtige Ansprechpartner und mein Gesprächswunsch endet auch an der Stelle.
Vor einiger Zeit habe ich mal ein paar Gedanken zu eine ähnlichen Frage aufgeschrieben. Da hieß es sinngemäß, daß in den "normalen" Entzugskliniken ja damit zu rechnen sei, dass man überall und ständig auf "Assis" treffen müsste und das schon sehr schwierig sei, wenn man selber noch "mitten im Leben" stünde. Das kleine Essay hatte die Überschrift Grüß Gott, wir sind die Asozialen!
Bei den SHGs regelt sich m.E. vieles von selbst. Da findet zusammen, was zusammengehört und dabei kommen die unterschiedlichsten Konstellationen heraus. SHGs können, so meine Erfahrung, durchaus intellektuell und philosophisch daherkommen, wenn die, die sich da treffen, es so wollen. Problematisch wird es, wenn eine Einstellung sich breit macht, die es anderen nicht erlaubt, sich dazugehörig zu fühlen, wenn sie Hilfe brauchen.
Vielleicht ist auch die skizzierte Art der SHG keine klassische SHG sondern ein fest umrissener Gesprächskreis. Also SHG ohne H, in der man nicht trocken werden aber eventuell, bei anspruchsvoller Unterhaltung, trocken bleiben kann. Wenn dem so wäre, dann wäre das ja auch OK, Hauptsache trocken.
Zitat von F10 2 im Beitrag #1Die zwangsläufig entstehende Diskussion ( Ihr seid wohl was besseres, mimimi usw) halten wir aus, würden aber gerne im Vorwege versch. Meinungen dazu hören. Es soll eben nicht ausgrenzend sein, sondern ein bestehender Bedarf gedeckt werden. Ich bin zudem überzeugt, dass so etwas einen integrativen und verbindenden Charakter entwickeln kann/wird.
Da du, Uwe, ja in deiner täglichen Arbeit ganz offensichtlich diesen Bedarf erkennst und dir dies auch von anderen Fachleuten so bestätigt wird, bleibt doch eigentlich nur die Form der integrativen und womöglich sogar verbindenden Umsetzung, mit dem dieser Bedarf gedeckt werden kann.
Meine Alkoholabhängigkeit habe ich vor über einem Jahrzehnt ohne SHG und nach einem hoffentlich finalen kalten Entzug selber beenden können - und das bisher ohne einen einzigen Rückfall (die zuvor Gang und Gäbe waren). Sackzement! Während der ersten Hälfte des ersten nüchternen Jahrzehnts waren die Beschäftigung mit dem Thema und die Aufarbeitung und völlige Neustrukturierung meiner persönlichen Umstände nahezu ein Vollzeitjob, ich habe sogar zwei Bücher darüber geschrieben. Also habe ich ja selber, genau wie du *grins* sogar noch laaange nach der Sauferei, die mich eh schon ein halbes Leben gekostet hatte, unendlich viel Zeit mit ihr verbracht. Parallel dazu habe ich als Dozent für einen Bildungsträger rd. 9 Jahre lang in Gruppen- und Einzelbetreuung Menschen in prekären Lebenssituationen (Alg II/Hartz IV mit mehrfachen "Hemmnissen") intensiv im Leben mit dem Nichts betreut, teils bis zum Tod. Das hat mir unzählige weitere Augen geöffnet und tiefste Einblicke in unser Sozial- und Seelenleben - und ich bin mir mittlerweile sicher, dass die Schicht zwischen dem Frühmittelalter und uns nur hauchdünn ist. Das bislang in der Forschung noch fehlende Glied zwischen dem Affen und dem Menschen ...sind tatsächlich wir.
Langer Rede kurzer Sinn: ich kann durchaus nachvollziehen, was du meinst. Es gab Zeiten, da hat mich der Daueraufenthalt in Regionen außerhalb meines persönlichen Ereignishorizonts (und auch ich lasse mir das nicht als verblasenes Elitärschwadronieren anhängen, ich bin Nichtakademiker) so klein gemacht, dass es mir immer schwerer fiel, in meinem Privatleben noch den Kopf aus dem täglich erlebten vielfach toxischen Sumpf zu erheben. So sehr ich Menschen liebe, völlig unabhängig von ihrem sozialen Status und dem Geruch ihrer Körper oder Wohnumgebungen, so sehr ist mir der Wunsch, nein, das Verlangen verständlich und eben auch eigen, sich auch mit den Menschen auszutauschen, die ein ähnlich weit ausgebreitetes Seelenleben miteinander teilen können und Worte und Verhalten finden und verstehen, dies zu kommunizieren. Ich habe in den letzten Jahren buchstäblich erlebt, dass ich mich phasenweise wieder zurück zu entwickeln drohte auf die kognitive Ebene des Gemüses, auf die ich selber zu Alkoholzeiten gelegentlich heruntergesunken war.
Solange wir Menschen unser Dasein "hienieden" mit unseren individuellen Eigenheiten in Bezug auf alles und jedes teilen müssen, halte ich es für legitim, wenn wir uns bemühen, jeden Tag ein wenig mehr zu sein (was immer das für jeden bedeuten mag) als am heutigen Tag. Das geht nach meiner Erfahrung nicht in einem Kontext, der teils weit außerhalb der eigenen intellektuellen oder meinetwegen seelischen Zustände bewegungslos verharrt. Ich habe das große Glück, mit Menschen befreundet zu sein, von denen ich lernen kann, teils weil sie einfach intelligenter und gebildeter sind als ich, teils weil sie auf eine ganz schlichte Art mehr Lebensweisheit besitzen, als sich in Schulbüchern jemals ansammeln lässt - aber eben immer so, dass dies in einem freudvollen, humorigen und herzlichen Disput geschieht, der unendlich viele Facetten beinhaltet. Und zu diesem Glück gehört auch, dass genau diese Menschen einfach fühlen und wissen, dass es für sie selbst gut ist, wenn sie nach jeweiligen Kräften freundlich und hilfsbereit, reflektiert und verbindend in der Welt wirken. Und ja, die können gelegentlich sogar über meine saublöden Witze lachen, womöglich nur, weil ich dabei adäquat aussehe.
Und das wäre für mich auch das wesentliche Kriterium, nach dem sich eine solche erweiterte oder "anders" zusammengesetzte Gruppe auch in einem komplexen Gesamtgewese störungsfrei und zum Segen für Alle konstituieren und fruchtbar am Leben halten kann. Das von dir erwähnte "mimimi" kann dann ganz pragmatisch außer Acht gelassen werden, falls es überhaupt noch auftaucht.
Außerdem, Uwe: Du machst es ja eh, was fragst du da noch?!
GrinsNick
-------------------------------------- Meine Religion ist die Freundlichkeit. Und trocken bin ich seit Anfang 2006.
Zitat von F10 2 im Beitrag #1 Ein von mir -sehr angesehener- Klinikleiter, der auch eine andere Belegung hat (Zitat:"die waren vorher in der Betty-Ford-Klinik und sagen bei uns ist es besser.") brachte es etwa so auf den Punkt: Der Lehrer geht nicht in die Gruppe, weil er auf die Eltern der Schüler treffen könnte, der Arzt nicht, weil er auf seine Patienten treffen könnten, der jenige mit Personalverantwortung, weil er auf seine Angestellten treffen könnten. ich halte das für vorgeschoben! Es erfolgt eine Distanzierung, welche völlig unangemessen ist.!?
Ich habe etwas länger über obige Aussage nachgedacht, und so unstimmig finde ich die eigentlich gar nicht. Allerdings verstehe ich diese Aussage eher im übetragenen Sinne und nicht wirklich konkret. Die Angst den oder diejenigen in diese oder jene Gruppen überm Weg zu laufen stellt für mich eher eine Art Methaper dar für den befürchteten Bedeutungs-, Autoritäts-, Vertrauens- oder Glaubwürdigskeitverlust jener alkoholsüchtiger Personen in exponierter Position! Und so unberechtigte ist dieser Angst womöglich gar nicht. Der Arzt, der Rechtsanwalt etc., deren Kapital ist doch nicht zuletzt auch, dass ihnen vertraut wird, das ihnen Autorität zu gebilligt wird etc.. Und machen wir uns hier bitteschön nichts vor, Alkoholismus ist weit davon entfernt ein "Pfund" zu sein mit dem man wuchern oder sonstwie punkten kann in der Gesellschaft. Möglicherweise gibts es Managerkreisen, wo so ein bischen Alkoholismus fast schon zum guten Ton gehört ähnlich wie ein Herzinfarkt, aber solche Umdeutungen sind wohl nur wenn überhaupt in eng begrenzten Spezialcirkeln gängig, der "Normalo" sieht hier immer noch ein persönlicher Makel, welcher selbst bei bester Führung (jahrelanger Trockenheit) nur langsam an Strahlkraft verliert. Und diese "Normalos" sind ja genau das Klientel der besser Gebildeten.
Vielleicht hat die Ablehnung bzw. das Nichtvorhanden sein dieser Kreise in den SHGs ja dem entsprechend auch seinen Grund in handfeste karriere bzw ökonomischen Überlegungen. Und möglicherweise führt dieser Verschränkung ja dann auch dazu, das diese Betroffenen sich ganz allgemein weniger helfen lassen bzw. dazu neigen mit dem Thema verdeckt umzugehen, was die "Heilungschancen" ja auch nicht gerade verbessert. Letztendlich dürfte aber auch dies nur ein Aspekt unter vielen sein, wie ja meistens bei solchen Fragestellungen, gibt es nicht nur einen Hauptgrund, sondern viele sich wechselseitig bedingenden Ursachenbündel, die dann gemeinsam zu diesem Phänomen führen.
Für diese Gruppe ein eigenes Spezialangebot zu schmieden dürfte demzufolge auch zuspruch finden, da ja bekanntlich eine Krähe der anderen kein Auge aushackt bzw. die Teilnehmer gegenseitig kein Statusverlust befürchten müssen, befinden sie sich doch alle in der gleichen missligen Lage!
Diese Gruppe hat imho allerdings nichts mit intellektualität zu tun.
Der B Promi schwimmt nicht unbedingt in Geld, der neureiche Bonze muß nicht zwingend studiert haben und ich kenne genug Lehrer, die ehr schlichte Gemüter sind...
Vermutlich kann sich der Manager halt seinen Psychologen leisten und meint somit die SHG garnicht nötig zu haben.
Ich kann auch ohne Alkohol traurig sein. (Simon Borowiak)
Zitat von Angler1975 im Beitrag #40Vielleicht mal bei Uli Borowka oder Bernd Thränhardt nachfragen? Die kennen diese Klientel nach eigenen Aussagen gut.
Bin mit beiden verfacebookt. Bernd ist eher Old School.Dabei aber Klasse drauf.
Ich habe etwas länger über obige Aussage nachgedacht, und so unstimmig finde ich die eigentlich gar nicht. Allerdings verstehe ich diese Aussage eher im übetragenen Sinne und nicht wirklich konkret. Die Angst den oder diejenigen in diese oder jene Gruppen überm Weg zu laufen stellt für mich eher eine Art Methaper dar für den befürchteten Bedeutungs-, Autoritäts-, Vertrauens- oder Glaubwürdigskeitverlust jener alkoholsüchtiger Personen in exponierter Position!
Seh´ich genauso. Allerdings gibt es ja, die die gerne würden , aber nicht möchten. So eine Art Schwellenangst nach "unten"
Da du, Uwe, ja in deiner täglichen Arbeit ganz offensichtlich diesen Bedarf erkennst und dir dies auch von anderen Fachleuten so bestätigt wird, bleibt doch eigentlich nur die Form der integrativen und womöglich sogar verbindenden Umsetzung, mit dem dieser Bedarf gedeckt werden kann.
Außerdem, Uwe: Du machst es ja eh, was fragst du da noch?!
GrinsNick
Weil die Schwarmnintelligenz wertvollen Input generiert.Und Dinge beleuchtet, die ich ausblende.
Vielleicht ist auch die skizzierte Art der SHG keine klassische SHG sondern ein fest umrissener Gesprächskreis. Also SHG ohne H, in der man nicht trocken werden aber eventuell, bei anspruchsvoller Unterhaltung, trocken bleiben kann. Wenn dem so wäre, dann wäre das ja auch OK, Hauptsache trocken.
LG
Gerd
GENAU DAS bringst auf den Punkt. So hab ich mir das auch gedacht.
LG HeutelieberGiraffeErdmännchenundCoXXLguckerstattTatort(Hessen Rundfunk)
_____________________________________________________________________________________ Auf MEINEM eigenen Weg kann mich keiner überholen.
Zitat von F10 2 im Beitrag #42[quote="Angler1975"|p3635470] Seh´ich genauso. Allerdings gibt es ja, die die gerne würden , aber nicht möchten. So eine Art Schwellenangst nach "unten"
verstehe, also am ehesten noch nach Karl Valentin:
"Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut."
Zitat von F10 2 im Beitrag #1IN DEN Gruppen wird dieser Mix nicht erreicht, d. h wir haben in den Gruppen nicht den Durchschnitt von Allgemeinbildung, Wissen, techn, philosophischen, politischem Interesse wie in den Kliniken.
Aus meiner Erfahrung und Beobachtung heraus und der Teilnahme an verschiedensten SHG-Grupppen und Klinkbesuchen (AA, BK, Club 29 u.a.) kann ich das so nicht bestätigen. Die Zusammensetzung in den mir bekannten SHG-Gruppen ist bezogen auf Beruf, Bildung, soziale und gesellschaftliche Anerkennung sehr heterogen besetzt, vom Richter und Mediziner bis zum berufslosen Freund ist alles vertreten (*). Da ist bei weitem kein Bedarf an einer "erweiterten" Gruppe, sondern es sind vielmehr Freunde in der SHG im Boot die teils psychologische Unterstützung + SHG für sich als zielführend entdeckt haben. Die Leute die ich in Klinikbesuchen kennengelernt habe, unterscheiden sich von den SHG-Teilnehmern meist hinsichtlich des Saufverhaltens bzw. der Motivation, nicht aber nach den benannten Merkmalen wie Bildung / IQ (...). Abgesehen davon, dass die gesellschaftliche Stigmatierung und eine hierarchische Aufteilung nach selektiven Merkmalen wie IQ, Intellekt, sog. Bildung (...) das Mensch-Sein zersplittert und ein Artefakt ist, ist ein Mehr an Erweiterung - gerade auch im Suchtbereich m. E. nicht zielführend.
Zitat von F10 2 im Beitrag #1Der Bedarf besteht, weil in den Gruppen statt Mantras und "Du bleibst dein leben lang Alkoholiker" "das erste Glas stehen lassen" vielleicht mal Themen wie Remission, Resilienz oder Komplexität oder Pragmatismus angesprochen werden sollen und wollen.
Auch das kann ich so nicht bestätigen bzw. ist nicht meine Beobachtung, in Gruppen reden wir sehr oft über Remission, Resilienz und wie verschieden die Wege in die Sucht und wieder raus sind. Und jeder einzelne Weg, jeder einzelne Mensch der diesen Weg geht, verdient höchsten Respekt. Ich kann mich nur wiederholen, eine Reduktion auf "lebenslange Krankheit" oder auch "das erste Glas stehen lassen" lassen findet in den mir bekannten Gruppen meist nicht statt, sondern es wird vielfältig und bunt über verschiedenste Themen gesprochen und das ist richtig gut.
Meine ganz persönliche Meinung zu den ganzen neuen (in Wahrheit alten) Ansätzen, Schlagwörtern, Denglisch-Think tanks, Buzzdingern ist: Die soziale Arbeit (inklusive die Selbsthilfe) sollte vielmehr den Anspruch haben sich selbst abzuschaffen i. d. Sinne das die Hilfe wirkt. Stattdessen werden mehr und mehr (oftmals professionelle) Angebote geschaffen die den Menschen jegliche Selbstbestimmung nehmen. Beobachtbar und verifizierbar ist das so in der Suchtberatung / Drogenhilfe bswp. in Bayern. In dieser Hinsicht geht es um Alleinstellungsmerkmale und kommerzielle Interessen: jede Organisation kämpft um die Fördergelder und möchte ein "Mehr" bieten als die Marktbegleiter, mitunter auch SHGs, die vom eigentlichen professionellen Bereich der Organisation losgelöst sind (Blaues Kreuz, eigene Erfahrung). Dieses Mehr und Anders-Sein (wollen) ist auch bei den ganzen Trägern der Suchthilfe beobachtbar resp. bei den verschiedenen Organisationen. Wir sind anders, andere Konzepte, neue Konzepte, alter Wein in neuen Schläuchen verpackt, vll. merkt es keiner.
Mal bisschen frei nachgedacht: Schlussendlich sind viele Hilfsangebote gut gemeint, was mir fehlt ist: Der ehrliche Anspruch miteinander Mensch-sein zu leben anstatt durch Alleinstellungsmerkmale zu glänzen. Jeder der hilft, muss sich die Frage stellen, warum er das eigentlich machen möchte und die Antwort kann er sich nur selbst geben. Deshalb ist dein Beitrag für mich so wichtig Uwe und auch jetzt und hier das board, weil ich mich da selbst reflektieren kann. Vor zwei oder drei Jahren hätte ich das mit der erweiterten Gruppe anders gesehen, als Bereicherung und Vielfalt und eben nicht als Ausgrenzung und eben das was es für mich jetzt dann wäre: Eine exklusive Gruppe mit der Zielgruppe das von einem bestimmten Menschenbild und sog. Eigenschaften (Bildung / IQ ...) geprägt ist. Manchmal denke ich, dass immer nur die Auswirkungen bekämpft werden, wer vom Zug fällt soll wieder drauf gesetzt werden, am Zug an sich (der das Grundübel / die Ursache ist) wird nichts geändert. Stattdessen wird perfektionistisch am System gearbeitet wie die vom Zug-geworfenen Menschen bemuttert werden können. Der Zug jedoch ist gnadenlos und fährt immer weiter.
Die ganzen Theorien, die unzähligen sog. Experten, die You-Tube Sachen, Artikel usf., alles okay, die Kunst für mich ist und war herauszufinden was für mich sinnstiftend ist und wirkt und da ist schlussendlich die menschliche Beziehungsebene, eine ausbalancierte Lebens-Balance und ne ordentliche Gruppe mit Menschen in der Interaktion wichtig. Für andere Menschen sind andere Dinge wichtig.
Grüße, Bodhi
(*) Ausnahme ist eine AA-Gruppe von Psychotherapeuten, die unter sich bleiben und nicht zugänglich sind für Nicht-Psychotherapeuten
Einfach SEIN- genügt völlig und mehr geht auch nicht. Das ist das volle Glück.