In letzter Zeit beschäftigt mich öfter mal ein Thema, zu dem ich gerne mal Eure persönlichen Erfahrungen hören würde:
Hilft religiöser Glaube bei der Bewältigung von Sucht?
Die anonymen Alkoholiker glauben an eine "Höhere Macht" oder "Gott, wie ich ihn verstehe" und bringen dies in unmittelbare Verbindung zu ihrer Suchterkrankung.
Ich kenne Berichte von evangelikalen "erweckten" Christen, die abhängig sind und in ihrer schlimmsten Phase "ihr Herz aufrichtig Jesus geöffnet" haben, der dann angeblich wie durch ein Wunder die Sucht von ihnen nahm.
Ein Gruppenmitglied war bei einem "Spirituellen Heiler" und fand das ganz toll.
Ein esoterisch angehauchter Freund von mir empfiehlt mir Heilsteine und homööpathische Kügelchen gegen Saufdruck.
Mit all dem kann ich persönlich wenig anfangen. Ich selbst hatte eine recht ungemütliche Kindheit und Jugend und fand Halt und Geborgenheit in evangelischen Jugendgruppen und deren Betreuern. Aufgrund dieser Erfahrung habe ich zuerst Relgionspädagogik studiert und sieben Jahre bei der ev. Kirche gearbeitet, hatte einen guten Bezug zur christlichen Tradition, aber wurden und sind die christlichen Lehren zu eng. Andere Religionen sind interessant, aber fremd.
Mittlerweile (ich bin ein recht rationaler Mensch) kann ich mir eine ordnende Macht - analog zu der Ordnung in der Natur, auf metapyhsischer Ebene - vorstellen. Ich habe auch schon öfter erlebt, dass Dinge, die ich zunächst sinnlos fand, doch ihren Sinn hatten. Aber an einen persönlichen Gott, der mir antwortet, der mir hilft, kann ich nicht mehr glauben, und mit den Jahren wird das auch immer weniger. Ich habe so oft um Hilfe bei der Überwindung meiner Sucht gebetet, aber letztlich fühle ich mich mit dieser Aufgabe allein und auf mich gestellt. Aber es gibt wohl auch andere Erfahrungen
ZitatHilft religiöser Glaube bei der Bewältigung von Sucht?
Hallo Sole,
wenn du Krank bist und wieder gesunden willst, dann braucht jeder ganz viel Hoffnung und Kraft.
und wo sich jeder einzelne diese Hoffnung und Kraft herholt, an was er dabei glaubt ist glaube ich egal.
Hauptsache er kann durch diese Hoffnung und Kraft die Dinge des Lebens bewältigen die wichtig sind.
Und wenn jemanden Gott Hoffnung und Kraft gibt für ein besseres Leben und ihm zur Erkenntnis verhilft das der Alkohol ihn ruiniert, dann kann es doch keinen besseren Gott geben.
aus der christlichen Kirche in die ich hineingeboren würde, bin ich ausgetreten. Mich fühlte mich da auch nicht angesprochen. Bei meinem Austritt hatte ich dann am ehesten den finanziellen Einspardefekt im Auge. Der so wohl habe ich ein spirituelles Empfinden. Begriffe wie Höhere Macht sind mir nah und ich konnte sie für mich mit Inhalten füllen.
Ich habe öfter die Erfahrung gemacht, das es leicht in ein Hauen und Stechen ausartet, wenn über die 12 Schritte der AAs und ihrem spirituellem Glaubenansatz gesprochen . Ich habe s mir abgewöhnt darüber in der Öffentlichkeit zu diskutiertem. Zu einem passt es halt, ein andere lehnt es ab..........................
Empfänglich für Spiritualität zu sein...................welche Worte kann man dafür wählen. Mein letzter Satz war, ohne das ich AA da schon kannte oder das ich religiös erzogen wurde: Lieber Gott ich kann nicht mehr.
Bis zum heutigen Tag, finde ich das diese Bild meine Geschichte wiederspiegelt. Auf den Knien, zitternd, kotzend schlotternd, Geräusche in den Ohren, ovale Kringel vor den Augen Und Angst..............ich hatte meine Kapitulation war erreicht. Ich spürte das ich die Kontrolle übe den Stoff Alkohol und mein Leben verloren hatte....................und ich hatte keinerlei Vision wie Zukunft aussehen konnte.
Und auf einmal war sie da., diese Kraft, diese Entschlossenheit dieser Mut, für den neuen anderen fremden Weg ohne Alkohol. Ich weiß, das ich das letztendlich alles selber gemacht habe doch dieser Kraftzuwachs in aller kürzester Zeit, den erlebte ich so, als wäre er mir von einer Ebene geschenkt worden, die außerhalb von mir lag. Von der ich letztendlich kein Bild habe und das auch nicht logisch erklären kann. Aber ich weiß für MICH das es da war und auch heute noch bei mir ist.
Ich halte es für mich eher kontraproduktiv, mein Schicksal einer "höheren Macht" oder wem auch immer zu übergeben. Hilfe annehmen ja, aber "Gott" oder wem auch immer z.B. meine Charakterfehler zu übergeben, damit er sie heilt (Schritt 6), das erinnert mich an meine tiefste schuldbesetzte katholische Zeit (da habe ich auch immer gebetet, daß mir weiß ich wer bei was auch immer helfen soll - anstatt selbstbewußt Verantwortung für mich zu übernehmen). Für mich wäre das spirituelle Programm der AA - so wie ich es verstehe - ein Rückfall in diese kaputt religiöse Zeit, die sicherlich auch zu meiner Suchtstruktur beigetragen hat.
Aber - es bedeutete einen wichtigen Schritt für meine Abstinenz, daß ich mich mit 55 Jahren meine Wunden aus dieser Zeit (Klosterinternat u.ä.) angeschaut, mich mit den Bildern, die tief in mir drin sitzen, auseinandergesetzt habe und letztendlich zu einer Versöhnung gekommen bin. Das heißt nicht, daß ich wieder kirchlich geworden wäre, ich bin erwachsen geworden.
Quintessenz: Gott, Göttin, höhere Macht als Transmissionsriemen fürs Trockenweden - nein. Sich seiner religiösen Sozialisation stellen und sich mit ihr auseinanderzusetzen im Rahmen des Abstinenzprozesses - ja.
................Ich bitte schon sehr lange nicht mehr an jedem Tag um die Kraft ohne Alkohol den kommenden Tag leben zu können. Alkoholabstinenz fühlt sich für mich wie meine alltägliche Normalität an.
Doch jeden Abend halte ich innere Einkehr und dann spreche in mit dem/der/die/das was ich meine Höhere Macht, meine Höhere Warte, mit der Höheren Ebene.
Im Grund läuft dann so was wie eine kleine Tagesinventur ab: Was war superklasse, wo hatte ich Schwierigkeiten, Ängste, fühle ich mich überlastet oder entspannt, hab eich Sorgen usw usw. Für mich ist das in soweit hilfreich, weil sich kleine Problemchen nicht zu Riesenbergen auftürmen, weil ich mir in aller Ruhe bewusst werde was mit mir ist. Und ich komme auch dazu Danke zu sagen..................und Dankbarkeit geht im alltäglichen Trubel so schnell unter.
... nur ganz kurz: obwohl nicht mit AA trocken geworden, hat stets deren Formulierung der Sucht als "einer Macht, größer als wir selbst" mich tief beeindruckt, es schaudert mich dann direkt und ich spüre und weiß ja auch aus Erfahrung, daß das wahr ist! Dies hat eindeutig eine spirituelle Dimension. Das gilt dann auch für meine Kapitulation. Das brauche ich ein ganz tiefes und sicheres Gefühl, das der Kampf und das Spiel vorbei ist- und ich verloren habe, endgültig. Und das ich nun entscheiden muß, ob ich leben oder sterben will.
Zitat Hilft religiöser Glaube bei der Bewältigung von Sucht?
Hallo Sole
einigen Menschen hilft es bestimmt.Auch in anderen Lebenslagen.
Ich persönlich kann und konnte noch nie mit religiösem Glauben etwas anfangen.
Und doch hat mir Glaube bei meiner Sucht geholfen.
Das soll jetzt nicht anmassend klingen,ich lernte an mich selbst zu glauben und mir selbst zu vertrauen. Das kann mir keine Religion und kein Gott und keine höhere Macht geben.
ich bin durch die AA zum Glauben an eine Macht, größer als ich selbst, gekommen. Diese höhere Macht kann ich nicht benennen oder beschreiben, es ist jedenfalls nicht der christliche Gott aus der Bibel. Der Glaube an die höhere Macht hängt eng mit der Demut zusammen. Demut in dem Sinn, dass ich meine eigene Realität erkenne und annehmen kann, nämlich dass ich nicht die Größte bin, die Dank ihrer Intelligenz, Zielstrebigkeit, ihres Durchsetzungsvermögens und der Willensstärke den Verlauf ihres Lebens lenkt. Es gibt Vorkommnisse, auf die ich keinerlei Einfluss habe.
Ich fühle mich von meiner höheren Macht geliebt. Sie hat mich so ausgestattet, dass ich in der Lage bin, für mich Verantwortung zu übernehmen. Deshalb bitte ich sie, mich ihren Willen erkennen zu lassen, damit ich entsprechend handeln kann. Seit ich zu dem Glauben an eine Höhere Macht gekommen bin, fühle ich mich nicht mehr allein im Sinne von allein gelassen. Ich vertraue darauf, dass ich beschützt werde. Das ist mir im Zusammenhang mit der Sucht hilfreich.
Irgendwie liest sich das doof, aber ich kann es nicht anders beschreiben.
Sole schreibt: "Hilft religiöser Glaube bei der Bewältigung von Sucht?"
Wenn dieser (neue) Glaube mit der gleichen Intensität gelebt wird, wie vormals der/die Süchtige seine Sucht gelebt hat, dann kann es durchaus funktionieren.
In der Anfangszeit der A.A. gab es dafür eine griffige Formulierung: "religiomania replaces dipsomania". Ob dazu ein spirituelles Erweckungserlebnis notwendig ist, sei mal dahingestellt.
Tiefer, ehrlicher Glaube kann wahrscheinlich für die Genesung vom Alkoholismus durchaus sehr hilfreich sein.
Allerdings sieht es wohl so aus, daß nicht jedem diese Option gleichermaßen zur Verfügung steht. Ich selbst bin nichtgläubig.
ob Religion, Philo oder ähnliches - mir scheint, daß es ab einem gewissen Punkt in meiner Entwicklung von entscheidender Bedeutung war etwas zu entdecken, das sich ausserhalb der Grenzen meines Selbstes befindet - abseits der Eingeninteressen.Seitdem tut sich einiges .
ZitatGepostet von Randolf daß es ab einem gewissen Punkt in meiner Entwicklung von entscheidender Bedeutung war etwas zu entdecken, das sich ausserhalb der Grenzen meines Selbstes befindet
Ich verstehe das. Allerdings formuliere ich es für mich anders. Nicht so in Richtung 'außerhalb', sondern in Richtung 'wie im großen, so im kleinen'.
Als ich trocken wurde kam ich zu AA und ich brauchte keine andere SHG ausprobieren, denn ich spürte, hier war ich richtig. Ich war nie religiös (bin es heute auch nicht ), aber dort konnte ich zu meinem Glück annehmen, das es eine Macht gibt, die stärker ist als ich und daraus resultierend endlich aufhören gegen den Alkohol zu kämpfen. Alkohol war eindeutig stärker als ich, denn welche Anstrengungen auch immer ich anstellte, sie endeten damit, das ich geschlagen besoffen in der Ecke lag. Für mich war damals die AA Gruppe die Macht, die stärker war als ich, denn dort waren Menschen,die taten etwas , was ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht konnte - sie kämpften nicht gegen Alkohol, sondern machten sich gegenseitig stark für ein Leben ohne. Ich besuche zurzeit keine Gruppe mehr - das hat verschiedene Gründe aber - Dieser Gott - wie ich ihn verstehe - sind auch heute für mich Menschen mit Erfahrungen. Welch große Erleichterung des Lebens ist es doch für mich auch heute noch etwas das ich nicht kann oder weiß lernen zu dürfen. Menschen, die auf ihrem Weg ihre Erfahrungen mit mir teilen sind heute meine höhere Macht,denn sie erinnern mich daran wo ich war und zeigen mir oft, wo ich hinwill - für den weg dazwischen ist es gut zu wissen nicht alleine zu sein.
mfG Roswitha
P.S Heute bin ich dankbar u.a. dafür das es Euch und dieses Forum gibt.