ich möchte mich mal wieder nach längerer Pause persönlich zu Wort melden und nicht nur lesend am Forum teilnehmen.
Gestern bei meinem f2f-Weihnachtsmeeting im Krankenhaus habe ich es wieder einmal richtig intensiv gemerkt, dass ich bei dem oft verwendeten Wortgebilde "unsere/meine Krankheit Alkoholismus" immer noch regelrecht zusammen zucke. Seltsam, aber sogar ich als Betroffener habe noch immer Probleme, den Alkoholismus als eigenständige Krankheit zu betrachten und ihn als solche an- und auszusprechen, hmmm...
Mir stellen sich dabei die Fragen: Wie ist Krankheit allgemeingültig definiert? Inwieweit bin ich selbst schuld an dieser Krankheit, im Gegensatz zu einer anderen Erkrankung, an deren Entstehung ich nicht direkt beteiligt bzw. schuldlos war?
Ich denke, genau darin liegt das Dilemma für die Außenstehenden, man wurde ja nicht gezwungen, zu saufen, man bekam ja nicht die Flasche an den Hals und gleichzeitig die Pistole an die Schläfe gesetzt! Das hat man sehr wohl sich selbst (und vielleicht auch ein klitzekleines bisschen den äußeren Umständen, klaro, aber nicht zu sehr) zuzuschreiben, hat man selbst zu verantworten, mit allen Konsequenzen!
Anders sieht das bei anderen ernsten oder gar tödlichen Krankheiten aus, für die man direkt nichts kann (z.B. Krebs durch Umwelteinflüsse, oder eine WS-Krankheit, die genetisch bedingt ist, etc.)!! Und genau darin liegt meines Erachtens die Ursache für das Unverständnis der Anderen und auch für mein eigenes Akzeptanzproblem, nennen wir es hier - historisch motiviert ;o) - die "Schuldfrage". Somit klingt es (für die Anderen) immer nach Wegschieben der eigenen Mitverantwortung, nach moralischer und ethischer Entlastung und Rechtfertigung auf Kosten der Anderen, der "trockenen Allgemeinheit"!
Denn eines ist ja klar: Krebs z.B. ist in vielen Fällen nicht durch eigene Schuld oder eigenes Fehlverhalten entstanden, der Alkoholismus dagegen nur durch mein eigenes Mit- und Einwirken! Und Krebs (ich nehme diese Krankheit nur als Beispiel, es gäbe noch tausende andere üble Dinge, z.B. ALS, die unheilbare amyotrophe Lateralsklerose) war sofort zu Beginn der Entstehung Krebs, schon bei der Entwicklung der kleinsten Zelle! Aber Alkoholismus wurde erst mit der Zeit ins Gehirn eingegraben, wurde erst im Laufe der Zeit im (Sucht)Gedächtnis abgespeichert, erst im Laufe der Jahre haben sich die neurobiochemischen Vorgänge im Gehirn der permanenten Vergiftung angepasst und dieses negativ süchtig verändert, wurde eine "echte" Krankheit daraus.
Auch wenn viele Abhängige sagen und es auch oft zu lesen ist, dass sie gleich mit dem ersten Schluck Alkoholiker waren (natürlich hat der Alkohol zu Beginn für Jeden durchaus seine "positive" steuernde, beruhigende und stimulierende Wirkung gezeigt), klingt das irgendwie wieder wie... s.o.
Viele Grüße + ein wundervolles, friedliches Weihnachtsfest Tommy
objektiv betrachtet ist Alkoholismus auch nicht als Krankheit definiert.
Im ICD-10 ist es als Psychische Verhaltensstörungen durch Alkohol unter F10 aufgeführt. Das schöne daran, Verhaltenstörungen kann man therapieren.
Das vielzitierte Suchtgedächtnis ist nur ein untauglicher Erklärungsversuch. Den Nachweis für die Existenz hat man bis heute nicht erbringen können.
Im Gegenteil, die neuesten Erkenntnisse aus der Epigenetik können belegen, dass die meisten Störungen reversibel sind. Vorausgesetzt sie werden entsprechend therapiert.
Wenn ein Mensch merkt (manchmal merkt ers auch nicht so schnell), er leidet, wo er zuvor nicht gelitten hat, dann ist er gewissermaßen krank. Oft krankt er an der Seele, er leidet dann so vor sich hin, ist unzufrieden und bemitleidet sich selbst – oder er handelt und heilt sich im Anfangsstadium selbst, indem er konstruktive Schritte unternimmt, das ändert, was er ändern kann.
Ist das Seelenheil über längeren Zeitraum nicht gewahrt worden, entsteht eben eine Krankheit. Und wird in der Epigenetik nicht auch darüber philosophiert, dass Zellen auch durch das Seelen- und Geistesleben beeinflusst werden?
Wenn ich also im Falle einer Alkoholabhängigkeit von einer Krankheit spreche, dann deshalb, weil ich in einer Zeit, da die Malaise sich noch im Anfang ihrer Entstehung befand, keinen Zugang zu meinem Seelenleben, zu meinen Bedürfnissen und Gefühlen hatte. Der Alkohol wirkt. Und ein Großteil der Missbräuchler, wenn nicht alle, missbrauchte den Alkohol zur Selbstmedikation. Aber da der Mensch durch den Missbrauch den Zugang zu seinen heilenden Resourcen immer mehr verliert, verliert sich auch immer mehr der ursprüngliche Gedanke der unheilvollen Selbstmedikation: Das Verdrängen der Ursprungsproblematik.
Man hat sich durch sein ‚Medikament‘ in eine Abhängigkeit begeben. Man hat die ursprüngliche ‚Krankheit‘ ersäuft und kann diese erst behandeln, wenn die krankmachende Medizin abgesetzt wird.
So ist Alkoholismus auch ein Symptom (neben vielen anderen) der Ursprungserkrankung des Gefühlshaushalts.
Das ist jetzt meine ganz persönliche kühne These im Moment.
ZitatGepostet von Komplex Mir ist das zu viel "Schuld" drin.
Mir auch.
Alkohol ist imo in erster Linie eine psychische Erkrankung (oder wie erwähnt Verhaltenstörung) - die körperliche Abhängigkeit bekommen einige halt als Zuckerl obendrauf.
Und bei psychischen/seelischen Erkrankungen ist jegliche Schuldzuweisung an die eigene Person nicht nur unangemessen, sondern auch kontraproduktiv.
Zunächst, Herbert , ist Alkoholismus im ICD 10 nicht als psychische sondern unter psychische und Verhaltensstörungen kategorisiert. Siehe [url=http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/htmlgm2012/block-f10-f19.htm}] ->hier [/url]
Ob man/frau an das Suchtgedächtnis glauben mag, sei jedem für sich überlassen, es gibt zuhauf Untersuchungen, die die Stimulanz gewisser Hirnareale in diesem Zusammenhang beweisen, was für den Abhängigen selbst, wenn er sich seiner Sucht bewusst ist, in meinen Augen unerheblich ist.
Zitat gepostet von Maggoo
Anders sieht das bei anderen ernsten oder gar tödlichen Krankheiten aus...
Alkoholabhängigkeit ist - unbehandelt oder nicht zum Stillstand gebracht - eine tödliche Krankheit, kannste jeden Hausarzt nach fragen.
Was diese Verniedlichungen also sollen, fragt sich der
Michael
Alkohol ist ein hervorragendes Lösungsmittel: Es löst Familien, Ehen, Freundschaften, Arbeitsverhältnisse, Bankkonten, Leber- und Gehirnzellen auf. - Es löst nur keine Probleme.
… unsere Narben haben die Angewohnheit uns daran zu erinnern, daß die Vergangenheit einmal Realität war … :sly: H.L. "Roter Drache"
Ich sehe mich als verhaltensgestört und bin psychisch krank. Ich habe wie alle anderen Menschen auch Grundbedürfnisse, die es zu befriedigen gilt. Dazu gehören solche Dinge wie Anerkennung und Selbstwert. Das braucht ein jeder zum existieren. Da wie Menschen aber alle verschieden ticken, kann der eine besser als der andere diese Bedürfnisse aus eigener Kraft und Motivation befriedigen. Die Personen, die es nur unzureichend können benutzen ein Suchtmittel dafür, denn damit geht das auch. Sie werden davon abhängig und sind defintiv krank.
ZitatGepostet von Fingolfin2 Alkoholabhängigkeit ist - unbehandelt oder nicht zum Stillstand gebracht - eine tödliche Krankheit, kannste jeden Hausarzt nach fragen.
Sorry, ich muß mal wieder meinen Spruch bringen:
Das Leben an sich endet, behandelt, wie unbehandelt, unweigerlich mit dem Tod
Ich mag einfach diese Dramatisierungen nicht. Bei mir waren selbige kontraproduktiv.
beim Durchlesen des Threads kam bei mir die Frage auf, was es mir denn bringen würde wenn ich bzgl meiner Sucht-Vergangenheit die richtigsten und detailliertesten Antworten und Erklärungen hätte...
Gar nichts...
Würde es doch nur wieder einen kleinen erklärungsbedürtigen Teil meiner selbst befriedigen, oder vielleicht nicht mal das. Falls die Suche nach Verstehen aus der Angst (vorm Rückfall) gespeist wird, so sieht es wohl auf den ersten Blick so aus, daß es sinnvoll und vernünftig ist das zu tun, aber ist es das...?
Wenn ich Vergangenes analysiere kann ich zwar die Zusammenhänge von früher erkennen, aber es ist was völlig anderes zu sehen, was ich JETZT bin.
Zwar ist es nicht falsch zu sagen, daß ich das direkte Ergebnis meiner Vergangenheit bin, aber wenn ich bloß das zum Selbstverständnis hernehme ziehe ich aber arg enge Grenzen. Wenn ich zum Psychologen gehe und er mir sagt: da hat dich deine Mutter nicht geliebt und dein Vater war nicht anwesend und deswegen ist dieses Defizit entstanden, und...und...deshalb bist du heute so."
Hilft mir das dann wirklich, mich zu verstehen ? Hilft es mir zu einem glücklichen Leben zu kommen ?
Zwar erkenne ich einige Muster, aber macht mich das dann tatsächlich glücklicher ? Ich meine nicht daß ein paar quälende Fragen beantwortet sind und der Geist ein bißchen Verschnaufpause hat, was ich dann als einen Anflug von Erleichterung empfinde...
Für mich ist das ewige Herumforschen in Vergangenem eine Fixierung auf etwas das dadurch eine enorme Macht erhält und mich tatsächlich daran hindert, Neues entstehen zu lassen. Das ganze Denken ist sowieso derart von der Vergangenheit befrachtet, von altem Leid, irgenwelchen Themen, die noch bearbeitet werden "müssen" - daß es erstickend eng ist im Geist. Da ist wenig Raum. Und der Glaube daß zurückreichende Fragen unbedingt noch der Klärung bedürfen, bevor - ja bevor ich dann endlich anfangen kann mein "erfülltes" Leben zu leben....ich halt's für nen Irrglauben.
Ich kannte jemanden der hochgradig süchtig war und so ziemlich alles darüber wusste, mehr als ich jemals wissen werde - es hat ihm nicht geholfen, kein bißchen.
Der eigentliche Impuls, der lebendige Impuls etwas zu ändern und etwas zu be-wirken kommt woanders her. Nicht aus dem Himmel oder dergleichen, aber auch nicht aus der Maschinerie des ängstlichen Verstandes.
Das Leben ist eben JETZT und die Vergangenheit ist nichts anderes als der Inhalt des ewig alten Denkens.
Ich brauche auch kein Wissen, um mich vor dem Leben zu schützen; wenn's drauf ankommt hilft es mir gar nichts - trotz der ständigen Vorbereitung.
Hm, vielleicht lieg ich ja völlig daneben mit meiner Meinung - wurscht - kam grad so raus.
LG
Randolf
"Wenn du ein Problem hast und es nicht haben willst, hast du bereits zwei. "
Wenn Du mit unterdrückten Traumata rumgewankt bist, hilft es.
Geht ja auch gar nicht darum, was wie war und darin zu verharren, sondern darum, bestimmte "Ungleichgewichte" und Verhaltens- sowie Wahrnehmungsstörungen in den bedingenden Strukturen kennen zu lernen und sie zu heilen.
Ohne dies zu wissen, fährst Du Dein Leben lang immer wieder aufs falsche Gleis.
Das ist mir so, wie Du das schreibst, doch ein wenig zu sehr banalisierend.
Komplex....muß aber sagen,kann zur zeit gut nachfühlen was Randolf schreibt. Bei mir ist es auch seit einiger Zeit so,das weiteres wühlen in alten Geschichten für mich kontraproduktiv daherkommt, zumal ich mir immer öfter die Frage stelle, ob ich mir nicht vieles im vernebelten Hirn noch zusätzlich traumatisierend großgezüchtet habäh sorry,kann es gerade nicht besser ausdrücken- will sagen hab immer öfter den eindruck,vieles von dem,was mich so arg belastet hat.... über Jahrzehnte!manchmal... fällt einfach von mir ab ohne das ich das jetzt speziell bearbeitet hätte
.....und ich frage mich,warum ich das nicht schon viel früher erkannt hab...beziehungsweise so langsam reift die Erkenntnis,das mein Hirn endlich am durchtrocknen ist auch ohne weitere Therapie..... einfach mit der Zeit die ins Land streicht....und die arbeitet ja für mich,täglich auch psychische Deformationen sind korrigierbar...selbst bei mir,behaupte ich malbraucht nur Geduld
mir gehts echt immer dann am besten,wenn ich im Jetzt lebe oder in die nahe Zukunft schaue,und wie ich aktiv werden kann,um eben nicht in alten Bahnen weiter zu dümpeln.
Gruß in die Nacht Vera
Wer seinen Hafen nicht kennt,für den ist jeder Wind der falsche (Seneca)
Und jetzt willst Du mir erzählen, dass das alles sinnlos ist, weil Du jetzt so weit bist, es sein zu lassen?
Kann es vielleicht auch sein, dass Du das jetzt ausreichend gerade gerückt hast, um es friedlich sein zu lassen?
Ich bin an einem ähnlichen Punkt: So langsam kehrt Friede ein über all das, mit dem ich mich verquert habe. Aber erst, seit ich durch die Beschäftigung damit gewisse Zusammenhänge sehen konnte, ohne die ich ganz bestimmte Mängel und Ungereimtheiten in mir nicht erklären konnte.
Ich rede ja nicht Überanalyse das Wort.
Aber es ist wie bei einem Auto, das nicht mehr anspringt. Da schau ich auch nach. Und wenn es nicht fehlender Sprit ist als Ursache, muss ich weiter schauen. Oder ich verschrotte es.
Die Nabelschau sollte keine bleiben, das ist klar.