Teil I Da saß ich dann da, an einem Aprilabend 2017, das erste Mal im Leben in einer Selbsthilfegruppe. 18 Leute, davon 15 Männer und 3 Frauen.
Dass ich ein heftiges Problem habe, davor kann ich seit November 2016 nicht mehr die Augen verschließen. Im Herbst jenes Jahres habe ich etwa neun Wochen am Stück jeden Abend Alkohol getrunken – der längste zusammen hängende Zeitraum jemals und irgendetwas ist da kaputt gegangen. Nie zuvor hatte ich Blackouts, Filmrisse. Nun aber: Oh - morgens sehe ich fein säuberlich Handfeger und Kehrblech neben dem Mülleimer in der Küche. Wieso dies? Oh, ein kaputter Teller im Abfalleimer. Hmh; muss mir wohl am Abend zuvor aus der Hand geglitten sein. Ein anderer Morgen: Oh, soso, ich habe mir, dem Geschirr in der Küche nach zu urteilen, abends noch Spaghetti aglio e olio gemacht. Hmh. Ob sie mir geschmeckt hatten? Wieder ein anderer Morgen: Oh – beim Aufstehen aus dem Bett - mir tut die rechte Hüfte weh. Und der rechte Ellenbogen. Da sind auch blaue Flecken zu sehen. Komisch, wenn man allein lebt und am Abend zuvor alles heil war. Tja, da bin ich wohl hingefallen. Zwei Tage später: Gleiches Spiel.
Und dann der späte Samstagabend, an dem ich mir ein Haushaltspapiertuch wischundweg auf eine Platzwunde an der Stirn drücke, das Blut dennoch auf meinen Pullover mit den niedlichen beiden Eisbären, die Golf auf Eisschollen spielen, tropft, so dass die eine Eisscholle eher nach geschlachteten Robbenbabies auszusehen beginnt. Schon in diesem Moment habe ich keine Erinnerung, keine Ahnung, wo und wie ich mich verletzt habe. Theoretisch könnte ich mir ein Taxi bestellen, das mich zur Notambulanz in ein Krankenhaus fährt. Aber ich weiß, dass die am Wochenende genügend Patienten mit Platzwunden versorgen müssen, ach nein, da fahre ich nicht hin. Notarzt? Nein, ich bin ja kein Notfall. Am nächsten Tag will sich ein Bekannter die Blessur ansehen und schreit, leicht hysterisch, er könne „ den Knochen sehen, den Knochen sehen“. Am darauf folgenden Montagnachmittag war ich dann doch beim Hausarzt. „Weiah, Frau Susanne, das hätte genäht werden müssen.“ Ich so: „Ähm, ja, war ungünstig, Samstagnacht und so…“. Er: „Alkohol?“. Ich: „Jo.“
Bis zu der Platzwunde, die hätte genäht werden müssen, bin ich in den neun Wochen doch tatsächlich noch mindestens zwei, manchmal drei Mal pro Woche schwimmen gegangen. „Schwimmen gehen“ bedeutet: 5:30 Uhr aufstehen, 6:10 in den Bus, 6:55 mit einem Haufen Rentner auf das Öffnen der Schwimmbadtüren wartend, 7:08 im Wasser sein, 1.000 Meter schwimmen ( = 40 Bahnen zu 25 m), mit etwas Glück rein in den „annen“ Whirlpool (der ist abwechselnd 10 Minuten an, dann 10 Minuten aus, ist halt städtisches Bad und keine Wellness-Oase), dann duschen, ab in die Umkleide, abtrocknen, eincremen, anziehen und raus, dann den Bus um 8:21 Uhr erwischen und um 8:30 Uhr am Schreibtisch sitzen. Ich habe eine 39 Stunden Woche, seit 22 Jahren.
Im Februar hatte ich ihn, den Hausarzt, schon mal angesprochen, ich würde vielleicht diesen Lebertest machen wollen, dafür war geworben worden. Aber er meinte, das täte er sehr ungern; es handele sich um eine von der Pharmaindustrie gesponserte Kampagne, von der diese sich erhoffe, dass sich auch die letzten noch unentdeckten Hepatitis-Erkrankten im Netz der Hausärzte verfangen würden, denn pro Hepatitisbehandlung würde die Pharmaindustrie um die 40 Tausend Euro Gewinn machen können. Ich sei gottlob die Einzige, die so gut informiert wäre und deswegen nachgefragt habe. Stattdessen bot er mir ein Großes Blutbild an. Okay, dann das. Ergebnis: Leberwerte i.O., leicht erhöhter Cholesterinspiegel, könne aber auch, da jedes Blutbild eine Momentaufnahme sei, irrelevant sein, am besten neues Blutbild in zwei Monaten. Ansonsten: „Frau Susanne, Sie sind ja in der Lage, sich selbst Hilfe zu organisieren, Sie wissen, wie so etwas geht, also dann mal los.“
Daraufhin habe ich erst einmal 49 Tage keinen Alkohol getrunken. Dass das nicht die Lösung ist, war mir klar. Ich kann (noch) von heute auf morgen erst einmal wieder aufhören. Keine Entzugserscheinungen. Mit etwas Glück kann ich schon in der dritten Nacht wieder beinahe gut schlafen und das Herzklopfen, das sich so anfühlt, als ob mein Herz in der Lage wäre, eine Kuhle in die Matratze zu schlagen, mit der Wucht einer Abrissbirne im Zeitraffer, wird auch wieder erträglicher. Genauso gut, wie ich (bislang) aufhören kann, fange ich aber so sicher wie das Amen in der Kirche wieder an.
An dem eingangs erwähnten Dienstagabend wollte ich nicht trinken, aber es zog und zerrte an mir. Da dachte ich, ich gehe jetzt mal in diese Gruppe, vielleicht hilft es. Da saß ich dann da. Alle erzählten reihum, wie es ihnen ginge. Soweit ich mich erinnere, ging es allen richtig, richtig gut. Als ich dann „dran war“ (prima war, dass ein Teilnehmer zu mir sagte, wenn ich erst einmal nichts würde sagen wollen, wäre das auch total in Ordnung), hatte ich einen kleinen Ausbruch: „Also, mir geht es überhaupt nicht gut, mir geht es richtig schlecht, sonst säße ich nicht hier“. Das war auch wohl in Ordnung und akzeptabel, der Ausbruch. Auch die Gruppe ist okay. Aber nicht für mich. Ich habe mir vorher keine Gedanken gemacht, aber – obwohl eine Kämpferin für Männerrechte und insgesamt auch eine Männerversteherin, konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, Relevantes aus meinem momentanen Frauen-Alkohol-Leben vor 15 Kerlen zu erzählen. Nix gegen die Kerle als Individuen, es war das „Setting“. Zwei von ihnen sind als Polytoxikomane wohl schon länger in einem Haus eines Wohlfahrtsverbandes und hoffen, dass sie demnächst noch nicht in eine eigene Wohnung müssen, sondern erst noch im Betreuten Wohnen unterkommen können. Einer erzählt, dass er jetzt mit 39 Jahren das erste Mal im Leben arbeitet, das wäre ja richtig hart, da hätte man abends ja zu nichts mehr Lust. Alles fremd für mich. Aber egal – getrunken habe ich an diesem Abend nicht.
Eine Woche später habe ich bei einer Frauensuchtberatungsstelle einen Termin für ein Erstgespräch vereinbart. Seitdem gehe ich jede Woche (JEDE Woche) an einem Abend in eine so genannte Motivationsgruppe. Also für Frauen, die „konsumieren“ (Duden: verzehren, verputzen, verschmausen; hei - ich lerne Begriffe neu zu definieren, was für ein verbales El Dorado…). Dabei sind zwei Suchttherapeutinnen, die moderieren. Die meisten Frauen haben ein Alkoholproblem, aber auch andere Süchte sind vertreten. Koks, Kiffen, Sichtiefschneiden. Diejenige, die sich tief schneidet, legt mittlerweile schon zuvor ihre Krankenkassenkarte bereit, weil es mit ein bisschen Ritzen nicht mehr getan ist, sondern jetzt immer im Krankenhaus genäht werden muss. Ich bin manchmal völlig fertig, wenn ich aus der Gruppe und nach Hause gehe. Außerdem habe ich ab und zu Einzelgespräche, in denen unter anderem erörtert wird, wie es denn nun weiter gehen könne.
Im Februar 2015 ist mein Mann gestorben. Für mich plötzlich und: Unerwartet. Unaushaltbar. Ich hatte mich in ihn verliebt, als ich 17 Jahr (kein blondes Haar) alt war. Das ist jetzt 40 Jahre her. Da kann es schon einmal notwendig werden, mit sich selbst zu erörtern, wie es denn nun weiter gehen könne.
Teil II Die ersten drei Wochen nach dem Tod meines Mannes bin ich durch die Wohnung gegangen und habe uns und unser gemeinsames Leben überall gespürt. Ich bin durch die Räume geschritten, habe liebevoll alles gemustert und wusste genau, dass es von Allem Abschied zu nehmen galt. Den Geburtstag unseres gemeinsamen Sohnes – 10 Tage nach dem Tod seines Vaters – haben wir in der Wohnküche gefeiert; ein letztes, diesmal trauriges Fest. Mein Leid wurde vom Mit-Leiden mit meinem Sohn in den Schatten gestellt. Er hielt sich tapfer. Ich habe ihn so lieb.
Mit meinem Mann sind zugleich er und ein großer, langer Lebensabschnitt untergegangen wie Atlantis und ich trauerte um ihn und zugleich um eine ganze Lebensart, die unwiederbringlich vorbei war. Ich war so lange die Hälfte eines Paares, dass ich mir auch heute noch vorkomme, wie halbseitig amputiert. Halbseitig amputiert ist es schwierig, geradeaus zu laufen, schwierig, die Balance zu halten. 2015, als ich im Sommer Urlaub nahm (und nicht verreiste – weinen kann ich auch in meinem Dorf, dafür muss ich nicht weit weg), fragten mich die Leute, wo ich denn hinfahren würde. Mir lag auf der Zunge, zu sagen, dass ich noch ein Reisebüro suchen würde, das Kurztrips in den Hades anbietet: Alleine hin, zu zweit zurück. Wäre er Eurydikus, ich würde mich auf dem Rückweg nicht umdrehen. Garantiert.
Nach den ersten drei Wochen als frische Witwe habe ich die 120 qm Wohnung mit zwei weißen Bädern, Parkett und der häuserfrontbreiten Terrasse mit dreimonatiger Frist gekündigt. Mein eines Gehalt muss von nun an zunächst irgendwie und mehr oder weniger reichen für die Finanzierung zweier Ein-Personen-Haushalte, für einen Studenten und eine Witwe. Ein paar Wochen war ich sozusagen von Obdachlosigkeit bedroht, aber ich hatte echtes Glück und habe eine 40 qm Wohnung gefunden – vor Ablauf der Kündigungsfrist der alten. Elf Wochen nach dem Tod meines Mannes bin ich in diese neue Wohnung eingezogen. Sieben Wochen lang habe ich nach meiner Arbeit abends gegen 19 Uhr angefangen, die alte Wohnung aufzulösen. Es war nicht einfach nur ein Umzug – ich habe mich immerhin vom kompletten Inhalt von 80 qm getrennt. Jedes, wirklich jedes Teil der Wohnung habe ich in Händen gehalten und stoisch zwischen 19 Uhr und etwa 24 Uhr immer dieselben Entscheidungen getroffen: Nehme ich es mit in die neue Wohnung oder werfe ich es in den Papier,- Glas,- Kleidercontainer, die Hausmülltonne oder wird es eingepackt für das Second-Hand-Kaufhaus für Bedürftige. Zu letzterem sind wirklich gute, richtig tolle Sachen gekommen, um die es mir leid tat, die ich aber nicht mitnehmen konnte. In diesen Wochen habe ich nach Mitternacht vielleicht noch 2 x 2 Stunden schlafen können. Dann Aufstehen, ab zur Arbeit. Die drei Wochen direkt nach dem Tod meines Mannes hatte ich mich krankschreiben lassen, der Hausarzt meinte danach: „Frau Susanne, wenn Sie da nicht langsam wieder hingehen, gehen Sie vielleicht niemals mehr dort hin“. Tja, auch das hat im Bereich des Möglichen gelegen. In der Tat.
In diesen 11 Wochen bis zum Umzug habe ich Alkohol massiv und bewusst eingesetzt, um alles, die Trauer, die Verlorenheit, die Ungeborgenheit, die seelische Heimatlosigkeit als Grundrauschen und im Vordergrund die abendlichen Sortierarbeiten und die Ungewissheit, wo ich mein Haupt denn nun würde betten können, auszuhalten. Der Alkohol gab mir Kraft. Er wirkte wie Scheuklappen bei Rennpferden. Ich sah in diesen sechs abendlichen Stunden nicht nach links oder rechts, ich dachte nicht nach, ich wollte keine Gefühle, ich nahm nur alle Gegenstände (20.000?) in die Hand und entschied und entschied (die schlechten ins Kröpfchen, die guten ins Töpfen) und packte und packte und schmiss weg am laufenden Band.
In der Zeit habe ich ein paarmal bei der Telefonseelsorge angerufen. Ein Mal hatte ich großes Glück, als mich die Frage umtrieb, ob ich unser Auto, einen von meinem Mann sehr gern gemochten Saab, verkaufen sollte oder nicht. Glück, weil ich einen Mann am Telefon hatte, der ohne viel Gefühlsgedöns diese Frage auf stabile Füße stellte. Ich habe mich aufgrund dieses Gesprächs zum Verkauf entschlossen. Ich habe einen Führerschein und bin nie unter Alkoholeinfluss gefahren, aber ich brauche das Auto auch nicht zwingend. Mir war es so wichtig, seine Sachen in gute Hände zu geben. Seine Brillen zum Beispiel, was mache ich damit? Ich konnte mich nicht überwinden, sie in den Hausmüll zu schmeißen. Also bin ich mit ihnen dorthin, wo mein Mann immer wegen seiner Brillen Kunde war… Brillen- Dingsmann und die Dame war sehr nett und hat sie angenommen (keine Ahnung, was die damit machen, aber irgendwo musste ich ja auch aufhören, mir Gedanken zu machen..), bat mich um etwas Geduld, ich dachte noch, hmh, was kann denn jetzt noch kommen, und dann kam sie mit 240 €, wenn ich hier bitte unterschreiben würde, die Brillen betrachte sie als zurückgegeben, „…mein aufrichtiges Beileid zum Tode Ihres Mannes, er war immer sehr charmant und freundlich, ein liebenswerter Kunde und alles Gute für Sie.“
Das Schlimmste war das nach Hause kommen, wo niemals mehr jemand auf mich wartete oder am Freitagnachmittag über die Gegensprechanlage begrüßte mit dieser optimistischen, frohen Stimme: „Willkommen, Igelchen, und schönes Wochenende!“ Jaja, ich weiß, wenn Ehepartner erst anfangen, sich Tiernamen im Diminutiv zu geben, ist die Erotik unterminiert, aber man möge die Länge unserer Ehe urteilsmildernd mit in Betracht ziehen. In den elf Wochen habe ich abends nach meiner Rückkehr vom Job reihum Pizzadienste angerufen und opulente Mahlzeiten liefern lassen, Pizza, Pasta, Tiramisu. Oh – Sie haben den Hauswein nicht mehr vorrätig? Nur noch die 2-Liter-Flasche Lambrusco? Kein Problem, dann eben Lambrusco. Dann eben 2 Liter.
An einem Abend war die Telefonseelsorge ständig besetzt und ich habe die Nummer des „Telefonnotrufs für Suchtgefährdete“ gewählt. Ich habe allen Ernstes noch überlegt, ob das moralisch statthaft sei – ich war ja schließlich nicht suchtgefährdet, ich trank ja nur (und das aus gutem Grund) zu viel. Aber ich brauchte so dringend einen außen stehenden Zuhörer. Ich habe meine Skrupel überwunden und die Nummer gewählt und es meldete sich eine knorrige Altmännerstimme. Als der vermutlich ehrenamtlich Tätige durch engagierte Fragen heraus bekam, dass ich über eine Wohnung verfüge, einen Job habe, einen Sohn, Bekannte, ja, finanzielle Rücklagen sind auch noch da und ich bin schon über fünfzig und habe gerade jetzt erst zwei Glas Wein intus – da hat er mich -knorrig- mehr oder weniger aufgefordert, mal zügig die Leitung frei zu machen, damit die echten Süchtigen, die im richtigen Elend, ihre dringend benötigte und ihnen zustehende Hilfe erfahren können. Mir ginge es doch im Vergleich dazu gut, ich wäre doch gar nicht „ganz unten“ und ich hatte das Gefühl, der gute Mann meinte, ich müsse mich einfach nur mal ein bisschen zusammenreißen, kruzitürken, ich weinerliches Weichei. Kurz war ich in Versuchung, mit meinen zwei Litern Lambrusco anzugeben, um vielleicht doch noch etwas ernst genommen zu werden, aber ich ließ es dann. Parkbank- und Gossen-Prüfung nicht bestanden, Frau Susanne, setzen, 6.
Nach dem Umzug – das war mir klar - sollte ich etwas ändern. Ich schwor mir: Mehr Sport, weniger Alkohol. Das zweite Halbjahr 2015 lief in dieser Hinsicht nicht ganz schlecht. Ich schaffte es oft, von Montag bis Freitagmittag ohne Alkohol. Oft ging ich von der Arbeit direkt ins Fitnessstudio, um das Heimkehren in eine leere Wohnung hinauszuzögern und nach dem Training fühlte ich mich natürlich auch insgesamt besser. Und es ist doch schließlich kontrolliertes Trinken, wenn ich mir ganz bewusst und fest vornehme, freitagsabends so viel zu trinken, dass die harten Konturen der Gegenwart und des Verlustes und der ständigen Unbehaglichkeit weich gezeichnet werden und für diesen Abend ein wenig Frieden in meine geschundene Seele einzieht. Macht das nicht – gefühlt – die Hälfte der bundesdeutschen werktätigen Bevölkerung? Na also.
Teil III Nach dem Tode meines Mannes, irgendwie der zeitliche Startschuss für die mittlerweile nun sehr misslich dramatische Entwicklung und Lage, so wie Danny der Katalysator für die Machtzunahme des Overlook Hotels ist, habe ich – unter uns – nicht das erste Glas meines Lebens getrunken. Ich kann mich erinnern, dass meine Eltern, ich war etwa 10 Jahre und älter, doch recht häufig mit hoch roten Köpfen im Wohnzimmer saßen und die Beschaffenheit, die Farbe, die Qualität und das Aroma des jeweiligen Weins, gekauft direkt vom Fachhändler oder direkt vom Weingut und eingelagert im kühlen Keller, lobten. Besonders natürlich die mit der silbernen oder sogar hört!hört! güldenen Kammerpreismünze. Die Auslesen! Die Spätauslesen!! Der Eiswein!!! Mich focht das nicht an, mich wunderte das. Ihre Sprache wurde etwas nuschelig. Auch um den selbst angesetzten Rumtopf wurde ein großes Gewese gemacht. Der Topf! Wie hübsch! Der Inhalt! Die Wartezeit!
Bei dem Rumtopf obsiegte, ich war vielleicht 14 Jahre alt, eines Tages (Eltern außer Haus) dann doch die Neugier; ich habe ihn mit Fanta gemischt und alles sehr schnell wieder ausgekotzt. Der Rumtopf wurde Monate später feierlich vom Elternschlafzimmerschrank geholt und wie eine Monstranz gemessenen väterlichen Schrittes (merke: Rumtopftragen ist Männerarbeit!) ins Speisezimmer getragen. Deckel auf. Dann: Aaah! Oooh! Der Duft! Ich innerlich: Ähbääh-igitt! Vom Rumgeruch allein wurde mir schon übel. Meine Eltern wunderten sich fürderhin, warum ich nach dem sonntäglichen Male denn als Dessert nur Eis und gar kein Eis mit dem nun fertig gereiften Rumtopf haben wollte.
Von 17 bis 21 war ich erfolgreiche Leistungssportlerin – kein Gedanke und kein Interesse an Alkohol. Bier war für mich bittere, braune Brühe. Sekt sauer. Juveniles Kopfschütteln, wie man so etwas trinken kann.
Mit 24 Jahren, an der Uni, gab es Dreierlei. Ich war plötzlich in einen Kreis hinein geraten, der nach Selbsteinschätzung ein wenig unkonventioneller als die anderen (selbstverständlich auch alle total unkonventionellen) Studentenkreise war. Am Eigelstein gab es eine Spirituosenhandlung, da konnte man sich einen ganz leichten Sherry in die mitgebrachte Flasche abzapfen lassen. Das war schon einmal nett, schmeckte auch nicht ganz schlecht, war aber harmlos, ein Lifestyleprodukt der studentische Mit-80er-Jahre.
Das mit dem Haschisch war schon anders. Da ich nicht nur nicht trank, sondern auch nicht rauchte, ging das mit den herum gereichten Joints schon einmal deshalb gar nicht, weil ich den Rauch partout nicht in die Lungen hinein bekam. Nach etlichen vergeblichen Versuchen und viel Gehuste mit Würgereiz erbarmte sich ein Kommilitone meiner und buk Plätzchen. Plätzchen gegessen, riesigen Hunger bekommen, ab ins Steakhaus, massenweise Essen bestellt. Dann bekam ich einen Lachanfall. Hört sich lustig an, ist es aber nicht. Ich konnte nicht aufhören, zu lachen. Ich ging auf die Toilette. Ich konnte nicht aufhören, zu lachen. Ich beugte mich über eines der Handwaschbecken und stützte mich ab, denn mir taten mittlerweile alle Bauchmuskeln weh. Ich konnte nicht aufhören, zu lachen. Andere Frauen kamen, pinkelten, wuschen sich die Hände und gingen wieder. Ich lachte weiter. Das Schreckliche war, dass ich mich auf zwei Ebenen befand. Neben der Lachebene (ohne Maus und Elefant) die Sachebene, wo sich Panik in mir breit machte, weil ich diesen ungewollten Kontrollverlust als ganz entsetzlich erlebte, zumal ich ja nicht wusste, wann – ob – dies jemals wieder aufhören würde. Niemals mehr habe ich das Zeugs angefasst.
Kokain war in jenem Jahr auch im Angebot. Ich habe drei Mal gekokst und wusste schon nach dem ersten Mal: DAS ist MEINE Droge. Ich bin bis heute dankbar, dass ich diese Erfahrung gemacht habe. Ich war super toll. Die Welt war super toll. Der Sex war super toll. Ich bin bis heute dankbar, dass ich es geschafft habe, es bei diesen drei Mal zu belassen. Ich weiß, was für ein tolles, unglaubliches, unbeschreibliches Lebensgefühl ich würde haben können, wenn meine Hirnchemie es schaffen würde, mir das Gefühl wie auf Koks, nur ohne Koks, zu verschaffen. Manche Menschen können das. Ich nicht.
Zwischenbilanz: Mit Mitte 20 habe ich gelegentlich einen leichten Sherry getrunken, von Hasch als entsetzlicher Substanz größtmöglichen Abstand genommen und mich mit tiefem Seufzen aber die Gefahr deutlich erkennend, vom Kokain zügig verabschiedet. Ab und zu – ein Überbleibsel der vergeblichen Lungen-Rauch-Versuche – paffte ich ein kleines Zigarillo. Das stand mir gut, ich finde mich selbst heute noch auf Fotos très chic damit aussehend.
Teil IV Vom Paffen der Zigarillos hier und da dauerte es 15 Jahre, bis ich bei 1,5 Packungen Marlboro 100 war. Der Anstieg verlief über bestimmt zwei Drittel der Zeit ganz langsam, gemächlich und explodierte in den Jahren 1998 ff. Ich hatte einen Job angenommen, bei dem mir bereits während des Vorstellungsgespräches von meinem Vorgesetzten in spe eine Kippe angeboten wurde. Unglaublich, aber wahr. In den Büros wurde geraucht, was das Zeug hielt, jeder der rein kam, stellte auch erst einmal eine neue Kanne Kaffee an – Kippen und Kaffee am laufenden Band als ob es kein Morgen gäbe. Knapp zwei Jahre habe ich es da ausgehalten und aus mindestens tausend Gründen dann die Reißleine gezogen und gekündigt. Ich gönnte mir die dreimonatige Sperre des Arbeitsamtes und privatisierte und hatte ab dem ersten Tag an nur DAS EINE und ABSOLUTE ZIEL: JETZT weg von den Kippen. Schluss mit dem Rauchen. Ich will nicht mehr rauchen müssen – ich will meine Freiheit zurück, kompromisslos, vorbehaltlos und ich bin bereit, dafür alles in die Waagschale zu schmeißen, was nötig ist.
Ich benötigte mehrere Anläufe, war dadurch völlig verzweifelt, dachte, ich sei verurteilt, bis an mein Lebensende rauchen zu müssen - aber dann klappte es: Am 1. Oktober 2001 habe ich zum x-ten Male und diesmal (rückblickend) erfolgreich mit dem Nichtmehrrauchenmüssen begonnen und die große Freude und diese spezielle Freiheit dauern an bis heute. Geholfen hat mir, dass ich zeitgleich etwas ganz Neues, Interessantes, etwas, das Spaß machte und richtig aufregend war, für mich entdeckte. Und ich habe mich in diese „Abstinenz fördernden Freude“ gestürzt, Kopf über, und war so glücklich und voll Lebensfreude. Ich habe den Zigaretten nie nachgeweint, keine pseudoromantischen Verlustgefühle gehabt sondern mich meiner neu gewonnenen Freiheit und diesem neuen Aufregenden gewidmet. Dennoch hatte ich an vielen Abenden, wenn ich dann endlich im Bett lag, beinahe Tränen in den Augen vor Erleichterung, dass ich wirklich wieder einen Tag ohne Kippen geschafft hatte und morgens früh nach dem Aufwachen war oft mein erster Gedanke ein inbrünstiger Appell an den Kosmos oder irgend eine hohe Macht, mir bitte zu helfen, auch diesen langen vor mir liegenden Tag wieder ohne Zigaretten zu schaffen. Nachts hatte ich übrigens in dieser Zeit die allerirrsten Träume, an die ich mich morgens auch erinnern konnte. Ganz unglaubliche wahnsinnige Träume in phantastischen Welten, auf die mein waches Ich nie auch nur ansatzweise kommen würde. Und nach dem trotz allem Positiven dennoch oft sehr schwierigen ersten Jahr, in dem ich doch auch immer wieder einmal Angst hatte, Mist zu bauen, kam eine große Hoffnung und Zuversicht über mich, dass ich es tatsächlich langfristig würde schaffen können.
Einschub: Beim Lesen des Buches „Nüchtern“ ging es mir wie bei Rumtopf mit Fanta. Dieses Gelabere von Park Slope, von den Vernissagen, den Finissagen und den sonstigen Yuppi-Visagen, den Meetings in New York, Rio, Tokio vor dem Hintergrund einer heutzutage doch ganz normalen schwulen provinziellen meckpommschen Selbstfindung und zum Schluss der finale Champagner (watt mutt, datt mutt) in Hoppegarten im ultramarinblauen (!) italienischen (!) Jackett – boah ey, machte mich das aggro. Das muss viel mit mir und wenig mit dem Autor zu tun haben, nicht wahr? Egal: Soll der doch erst mal eine Dreierwette gewinnen wie ich mit Kronreiter, Rineba und Mondeo. Einschub Ende. –
Nach einigen Jahren konnte ich mir bezüglich der Kippen selbst sogar wieder absolut vertrauen. Ich muss seitdem nicht lebenslänglich vor mir selber misstrauisch auf der Hut sein und auf der Lauer liegen. Dieser Prozess verlief von mir weitgehend unbemerkt im Hintergrund meines Bewusstseins ab. Der Rauchstopp bleibt für mich stets verbunden mit dem Zugewinn von etwas Neuem, das aufregend und spannend war und alles zusammen lies kein Gefühl von Verzicht aufkommen. Durch die heftigen Entzugserscheinungen und den Prozess des Überlernens der tief ins Hirn eingebrannten Engramme musste ich dennoch mühsam durch. Die Bereitschaft und Fähigkeit zu einer gewissen Leidensfähigkeit am Anfang hatte ich mitgebracht. Einen „Schalter“, den es einfach nur „umzulegen“ galt und plötzlich wäre alle Sucht weg – so einen Schalter habe ich nicht. Ich bin da zu Fuß durch. Fest steht: Das Rauchen einer Zigarette gehört schon lange in egal welchen Situationen nicht mehr zu den Alternativen meines Handlungsrepertoires. Alles gut.
Teil V Fachärztin für psychosomatische Medizin, für Psychiatrie und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie: Frau Dr. med. Dipl.Psych mit Namen: „Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren.“
Rekapitulieren wir kurz: Im November 2016 hatte ich urplötzlich eine Platzwunde an der Stirn, die hätte genäht werden müssen. Im April 2017 saß ich ein erstes Mal in einer SHG, der mit den 15 Kerlen. Eine Woche später bei der Frauensuchtberatungsstelle. Gleichzeitig stellte mir mein Hausarzt eine Überweisung für Fr. Dr. Idihelahf (Betonung auf der letzten Silbe bitte) aus. Nicht vergessen: Ich war und bin ja zunächst und weiterhin ohne echten Plan. Nur mit zaghaftem aber aufrichtigem Veränderungswillen. Der letzten Lieferung an Kokosnussöl (Aus Wildsammlung! Aus dem Urwald Papua-Neuguineas! Was sind dagegen schon Champagner und ultramarinene Jacketts!) der Kampagne lag ein Kärtchen bei und so sehr ich Apercus, es sei denn, sie sind von mir, verabscheue, so möchte ich doch in diesem Zusammenhang den Spruch des Kärtleins zitieren: „Wege, die in die Zukunft führen, liegen nie als Weg vor uns. Sie werden zu Wegen erst dadurch, dass man sie geht.“ Ol´ man Kafka.
Der Termin bei Fr. Dr. Idihelahf nun also ist an einem schönen Junitag, einem Freitag um 8:00 Uhr morgens. Ich bin wie immer äußerst pünktlich, will schon auf die entsprechende Klingel an der Haustür des Ärztehauses drücken, da öffnet ein freundlicher Herr die Tür von innen, hält sie mir galant auf, ich schlüpfe durch, ab in den Fahrstuhl, dritte Etage, raus, einmal nach links und stehe vor einem hohen schweren Gitter, das vom Boden der dritten Etage bis zur Decke der vierten Etage den Zugang zur nach oben führenden Treppe und der Praxis in der vierten Etage versperrt. Öffnen kann ich es nicht, daran rütteln wie weiland Gas-Gerd am Zaun des Bundeskanzleramtes mag ich nicht, eine Praxisklingel ist nicht vorhanden. Ich also rein in die HNO-Praxis neben dem Gitter: „Ja, da müssen Sie erst wieder ganz runter, raus, dann an der Haustürklingel schellen, dann macht Fr. Dr. auf und erwartet Sie am Gitter.“. Ich also wieder runter, raus, draußen geklingelt (Himmel, jetzt bin ich zu spät – wie peinlich…), beim Summen des Summers Haustür auf, rein, mit Aufzug hoch und da steht sie dann auf der anderen Seite des zwei Etagen hohen Schutzgitters, ene Besuch im Zoo, und öffnet es. Ich weiß, dass diese Schilderung langweilig ist und anscheinend nicht sachdienlich. Aber es handelt sich hierbei um das Präludium dieses Termins. In der kommenden Stunde passiert das Folgende:
Fr. Dr. wiederholt des Öfteren, dass ich, sollte ich wirklich weg vom Alkohol wollen, von nun an jeden Tag meines Lebens würde kämpfen müssen. Jeden. Tag. Kämpfen. Lebenslang. Fr. Dr. unterstreicht, dass selbst bei den mehrmonatigen Langzeittherapien die Rückfallquote bei 80 Prozent liegt. Achtzig. Prozent. Mit schwingt dabei, dass sich so viel Aufwand für so wenig Ergebnis doch wohl nicht wirklich lohnen kann. Mit schwingt, dass sie keinerlei Hinweise erkennen kann, wieso ausgerechnet ich zu den schütteren 20 Prozent zählen sollte. Fr. Dr. erwähnt mehrmals ihre jahre- bis jahrzehntelange Erfahrung in Suchtkliniken und dass sie jemanden kennt, der nach 25 trockenen Jahren nach dem Tod seiner Mutter wieder rückfällig und komplett abgestürzt sei. Ich höre heraus, dass damit die 25 Jahre völlig für die Katz und umsonst waren. Und das nach 25 Jahren Kampf, täglichem Kampf. War wahrscheinlich ein Hochstapler, höre ich heraus; gibt 25 Jahre lang den trockenen Alkoholiker und dann aber, bei der kleinsten Belastung, zeigt er sein wahres nasses Gesicht.
Fr. Dr. fragt noch einmal nach, wie lange mein Mann jetzt schon tot ist; zwei Jahre, soso, ja, das ist ja schon ziemlich lange und überhaupt hätte ich, statt zur Alkoholikerin zu werden und Zuflucht zum „Freund in der Flasche“ (O-Ton Fr. Dr.) zu nehmen, vernünftigerweise einfach nur zu meinem Hausarzt gehen und mir ein nicht abhängig machendes Antidepressivum verschreiben lassen sollen. Dann hätte ich mein jetziges Problem nicht. Ich höre: Ich bin selber schuld. Ich war nicht vernünftig. Ich bin dumm. Ich wage einzuwenden, dass ich mich nicht depressiv gefühlt habe. Ich war in Trauer. Der Verlust tat so weh. Meine Einwände werden weggewischt. Ich bin nicht nur dumm; ich bin auch uneinsichtig.
Fr. Dr. kommt auf die 80 Prozent Rückfallquote nach bzw, trotz langem stationärem Aufenthalt zurück und unterstreicht und betont, dass als einzige Institution allein und ausschließlich die Anonymen Alkoholiker seit 100 Jahren eine bessere Erfolgsquote im Kampf gegen den Alkoholismus zu verzeichnen hätten und sie empfiehlt daher die regelmäßige Teilnahme an Treffen der AA. Lebenslang. Denn: Das wird ein Kampf. Jeden. Tag. Lebenslang. Und nur die AA, die als Selbsthilfegruppe wissen, wovon sie sprechen, können wirklich helfen bei diesem: Kampf. Täglich. So langsam kommt Trotz in mir hoch. Ich wage zu fragen, wo in diesem Konzept denn ein klein wenig Lebensfreude vorgesehen wäre. Reaktion: Indigniert wirkendes Hochziehen einer Augenbraue (haha, kann ich auch gut), blasiert wirkendes Schulterzucken und ich interpretiere: Meine Nachfrage nach Marginalien wie Lebensfreude zeigt doch nur, dass es solche oberflächlichen, an kurzfristigem Lustgewinn orientierte Tussen wie ich nicht wirklich ernst meinen mit dem Verzicht. Setzen, Frau Susanne, 5.
Die Stunde ist um, Fr. Dr. Idihelahf (die ich nach dieser Stunde als eine Mischung aus Idi Amin und Kölle Alaaf betrachte) kündigt an, ein Gutachten zu schreiben, welches sie an meinen Hausarzt senden und in dem sie eine Entwöhnungsbehandlung empfehlen wird. Ich könne, wenn ich wolle aber auch noch eine zweite Stunde bei ihr in Anspruch nehmen. Meine Reste an Contenance zusammen raffend lächele ich vage und verabschiede mich von Idi Alaaf. Dann stehe ich draußen auf der Straße in der Morgensonne und denke, wie gut, dass es erst neun Uhr morgens ist und ich jetzt zügig ins Büro muss. So früh am Tag habe ich noch nie getrunken und werde es auch jetzt nicht tun.
Teil VI Wie weiter? Heute ist erst einmal Tag 23 ohne Alkohol. Vorgeschlagen wurde mir eine Langzeittherapie von drei Monaten. Himmel hilf, das geht überhaupt nicht! Damit schieße ich mich beruflich ins Aus. Mit der Gefährdung meiner existentiellen ökonomischen Grundlage ist mir nicht geholfen. In der Gruppe leben bis auf die Kokserin alle von ALG II. Da geht das. Bei mir auf keinen Fall. Trotzdem habe ich hier die Kataloge vor mir liegen, ein ich-bin-dann-mal-weg-de der Suchtmittelabstinenz… AHG Klinik Tönisstein, Paracelsus Kliniken Bad Essen, Fachkliniken St. Marien, AHG Klinik Dormagen, Haus Immanuel in Thurnau-Hutschdorf, Fachklinik Höchsten in Bad Saulgau, Gut Zissendorf in Hennef. Ich habe komplett keinen Durchblick. Manche bieten „Kurzzeit-Therapie“ an, wobei mit „kurz“ dann acht Wochen gemeint sind. Das könnte ich mir höchstens und auch nur sehr bedingt für Januar und Februar 2018 vorstellen. Und in der Zwischenzeit? Einen Tag ohne Alk an den anderen reihen. Schaffe ich das? Kann das ein Plan sein? Ich stehe nun hier rum und seh‘ betroffen Den Vorhang zu und alle Fragen offen.
Susanne
----------------------------------------- Optimismus ist, bei Gewitter auf dem höchsten Berg in einer Kupferrüstung zu stehen und »Scheiß Götter!« zu rufen. (Terry Pratchett)
habe Deinen langen Beitrag erst mal überflogen - so neben der Arbeit her.
Daher auch erst mal nur kurz: Neben stationären Therapien gibt es doch auch ambulante Angebote. Dauern halt länger, aber Du bist zuhause, hast einmal die Woche abends einen Termin und ab und zu ein Einzelgespräch und ein Wochenendseminar. Dann gibt noch sog. Kombiangebote: einige Woche stationär, dann ambulant; es gibt Tageskliniken, wo Du untertags bist und abends zuhause. Es gibt heutzutags alle möglichen Angebote - nur halt womöglich nicht überall.
Ich war vor ziemlich genau 20 Jahren in Tönisstein; die acht Wochen haben mir gut getan, bin bis heute abstinent. Diese Abstinenz hätte bestimmt nicht angehalten, wenn ich 20 Jahre hätte kämpfen müssen. Kampftrocken ist Bullshit.
Ich lese mir Deinen Beitrag heute Abend noch genauer durch, vielleicht melde ich mich noch mal. Erstmal alles Gute Viktor
Fr. Dr. wiederholt des Öfteren, dass ich, sollte ich wirklich weg vom Alkohol wollen, von nun an jeden Tag meines Lebens würde kämpfen müssen. Jeden. Tag. Kämpfen. Lebenslang. Fr. Dr. unterstreicht, dass selbst bei den mehrmonatigen Langzeittherapien die Rückfallquote bei 80 Prozent liegt. Achtzig. Prozent. Mit schwingt dabei, dass sich so viel Aufwand für so wenig Ergebnis doch wohl nicht wirklich lohnen kann. Mit schwingt, dass sie keinerlei Hinweise erkennen kann, wieso ausgerechnet ich zu den schütteren 20 Prozent zählen sollte. Fr. Dr. erwähnt mehrmals ihre jahre- bis jahrzehntelange Erfahrung in Suchtkliniken und dass sie jemanden kennt, der nach 25 trockenen Jahren nach dem Tod seiner Mutter wieder rückfällig und komplett abgestürzt sei. Ich höre heraus, dass damit die 25 Jahre völlig für die Katz und umsonst waren. Und das nach 25 Jahren Kampf, täglichem Kampf. War wahrscheinlich ein Hochstapler, höre ich heraus; gibt 25 Jahre lang den trockenen Alkoholiker und dann aber, bei der kleinsten Belastung, zeigt er sein wahres nasses Gesicht.
Hi Susanne... wie schon erwähnt Bullshit, Jeder Tag wird -irgendwann, sofort, ziemlich schnell, nach 3 Monaten, über Nacht - geil, erfüllend, abenteurig, positiv anstrengend, easy going, endorphing, dopanmin, anders. Gute und schlechte Gefühle werden real wahrgenommen und spürbar, auch ohne den Katalysator Kokain sind solche wie von dir beschriebene Gefühle möglich dabei intensiver und nachhaltiger. Das Suchtmittel schaltet nur das frei was drin ist. Die verflixten 80 % sind nur eine Momentaufnahme, bei denen die im Suchthilfesystem angekommen sind, relativiert sich die Zahl im Laufe des Genesungsprozess`, mit Rückfällen - oder Vorfällen- bei denen man lernt, stabiler und selbstbewusster wird. dabei begleitet dich eine gute SHG, die gibts! Dr .Idielahf ist nur ein Anagramm für Hilfeade
Zitat von Susanne im Beitrag #1 Fr. Dr. kommt auf die 80 Prozent Rückfallquote nach bzw, trotz langem stationärem Aufenthalt zurück und unterstreicht und betont, dass als einzige Institution allein und ausschließlich die Anonymen Alkoholiker seit 100 Jahren eine bessere Erfolgsquote im Kampf gegen den Alkoholismus zu verzeichnen hätten und sie empfiehlt daher die regelmäßige Teilnahme an Treffen der AA. Lebenslang. Denn: Das wird ein Kampf. Jeden. Tag. Lebenslang. Und nur die AA, die als Selbsthilfegruppe wissen, wovon sie sprechen, können wirklich helfen bei diesem: Kampf. Täglich. So langsam kommt Trotz in mir hoch. Ich wage zu fragen, wo in diesem Konzept denn ein klein wenig Lebensfreude vorgesehen wäre. Reaktion: Indigniert wirkendes Hochziehen einer Augenbraue (haha, kann ich auch gut), blasiert wirkendes Schulterzucken und ich interpretiere: Meine Nachfrage nach Marginalien wie Lebensfreude zeigt doch nur, dass es solche oberflächlichen, an kurzfristigem Lustgewinn orientierte Tussen wie ich nicht wirklich ernst meinen mit dem Verzicht. Setzen, Frau Susanne, 5.
Sektirerisches aufoktroyiertes Gequatsche einer hirngewaschten Fanatikerin. Warum sollten man sich sowas antun, da macht weiterkonsumieren viel mehr Sinn...
Du wirst nüchtern alles das was Spaßmacht viel intensiver, nachhaltiger und echter empfinden als im Nebel des Rausches. Und das was keinen Spaß macht oder traumatischen Erfahrungen, sowohl mit einer höheren Resilienz, als auch mit einem anderem Empfinden abhandeln und wahrnehmen. JO
Und irgendwann kann man auf den kampftrockenen(die gibts und sie wissen garnicht, was sie versäumen) mit viel Mitleid auf die zusammengebissenen Zähen gucken.
LG uwe
_____________________________________________________________________________________ Auf MEINEM eigenen Weg kann mich keiner überholen.
hast Recht, ist ein langer Beitrag geworden. Habe ich ja auch nicht in einem Rutsch geschrieben ;-)
Vielen Dank für Deine Rückmeldung: Ja, es ist so einiges möglich und ich weiß einfach noch nicht so genau, was gut für mich ist.
Es ist schön, dass Du mit über 20 Jahren Abstinenz hier schreibst - das macht Mut!
Danke und Grüße, Susanne
----------------------------------------- Optimismus ist, bei Gewitter auf dem höchsten Berg in einer Kupferrüstung zu stehen und »Scheiß Götter!« zu rufen. (Terry Pratchett)
dein Beitrag hat mich ganz schön mitgenommen. Du beschreibst das Ganze sehr intensiv. Vielleicht ein bisschen zu viel Input für das erste Mal ;-)
Das mit der Wunde, die hätte genäht werden sollen, kenne ich auch, ich habe mir die Verletzung allerdings selber beigebracht. Und auch die Erfahrung, mit meinem Problem nicht ernst genommen zu werden, habe ich gemacht. Ich war in einer Suchtklinik zum Vorgespräch, und meine ehrlichen Schilderungen reichten auch nur zum Augenbrauenheben und der Empfehlung, eine Therapie gegen Depressionen zu machen. Herrlich, dann konnte ich danach ja noch weitertrinken.
Aber zum versprochenen Kampf um das abstinente Leben, tagein, tagaus, ist es nicht gekommen. Im Gegenteil, erst jetzt erkenne ich, was für ein unglaublich harter Kampf es war, meinen Konsum auszuleben. Ich war den ganzen Tag unter Strom, habe geplant und recherchiert, wann und wo ich den nächsten Alkohol kaufen kann, habe gehofft und gebangt, dass niemand meinen letzten Absturz mitbekommen und/oder in meiner Abwesenheit niemand mein Alkoholversteck zu Hause (mal im Gewürzschrank, mal hinter den Sofakissen) findet, habe mich abgeschottet, damit man den (Rest-)Alkohol nicht riecht, habe mich vor allem jeden Tag und immer immer wieder gefragt: Warum bin ich eigentlich so doof und kriege das nicht wie alle anderen auf die Reihe? Wer könnte so was beschissenes wie mich schon mögen, wenn nicht mal ich selber?
Damals war mir das nicht klar, aber heute, mit bescheidenen 7 Monaten Trockenheitserfahrung, sehe ich den gewaltigen Unterschied zu damals. Früher dachte ich: wenn ich nur endlich mit der Flasche Schnaps auf dem Sofa sitze, dann ist alles gut. Heute spüre ich kein Verlangen danach. Im Gegenteil, wie wunderbar ist es, die Pausen auf dem Sofa wirklich zu genießen, ohne dieses ekelhafte Gebräu in mich reinschütten zu MÜSSEN, weil sonst nichts hilft.
Ich wünsche dir alles Gute, wie auch immer deine Zukunft aussieht.
vielen Dank für Deinen fulminanten Beitrag! Ich denke jetzt, es gibt nix Schöneres als alkoholabhängig zu sein und nun sozusagen an seiner eigenen schaumumflossenen Wiedergeburt - nur auf wesentlich höherem Niveau - basteln zu dürfen ;-)
Es erleichtert mich, wie Du Fr. Dr. Hilfeade einschätzt - ich wurde schon etwas irre an deren Haltung.
Abenteuriger, intensiver, nachhaltiger und echter: Da brauche ich aber ordentlich Mut!
Nachdenkliche Grüße, Susanne
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vielleicht müssen diese professionellen medizinischen Suchtberater in ihrer Ausbildung ja auch einen Kursus in Augenbrauenhochziehen absolvieren ;-)
Du hast natürlich Recht, das Leben mit Alkohol ist ein anstrengendes. Allein schon Beschaffung, Deponierung und Entsorgung benötigen Einiges an Energie; man ist sein eigenes kleines Logistikunternehmen und ächzt unter dieser Last wie die mittelständischen Automobilzulieferer, die just in time Stress haben.
7 Monate Trockenheitserfahrung - CHAPEAU! Da will ich auch so gerne hin. Ich bleib dran.
Viele Grüße, Susanne
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vielen Dank für Deinen fulminanten Beitrag! Ich denke jetzt, es gibt nix Schöneres als alkoholabhängig zu sein und nun sozusagen an seiner eigenen schaumumflossenen Wiedergeburt - nur auf wesentlich höherem Niveau - basteln zu dürfen ;-)
Naja..bißchen kleiner geht´s auch. Das Niveau steigt (mindestens) in dem Maße, auf welches man es vorher abgesenkt hat.
Und dann kann man immer noch ein paar Schippen drauflegen.
Der Mut kommt von ganz alleine.
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ich weiß ja nicht, wo Du wohnst. Daher weiß ich auch nicht, ob es in Deiner Nähe eine "Feld-Wald-Wiesen"-Suchtberatung mit BeraterInnen gibt, die ihren Job gelernt haben. Im Normalfall beraten die nämlich erst mal ergebnisoffen mit motivierender Gesprächsführung. Zumindest die, die ich hier im Süden kenne - egal ob Caritas oder Diakonie.
Mit dieser Frau Dr. Bissgurrn hast du ja tief in den Baatz gegriffen, ebenso mit dem Gespräch am Suchthilfetelefon. Je länger ich darüber nachdenke, desto zorniger werde ich. Das ist eigentlich strafbar, solche Leute auf Hilfesuchende loszulassen. Wenn ich jetzt bös wäre, würde ich sagen, je tiefer der Klient im Sumpf sitzt, desto dankbarer ist er nachher für meine Hilfe; umso eher kann ich ihm mein Konzept der lebenslangen Abhängigkeit verkaufen
An Deiner Stelle würde ich nach Leuten schauen, die nicht im B&B-Zeitalter (*) festhängen. Wie gesagt, die normalen Suchtberatungsstellen machen einen guten, unaufgeregten Job. Dort findest Du keine Fr.Dr.Hochgestochen, sondern SuchtberaterInnen mit Sozialarbeiter-, bzw. Sozialpädagogik-Ausbildung.
Gruß Viktor
(*) B&B = Bob&Bill = Gründer der AA -> Zeitschiene 30er-jahre des vorigen Jahrhunderts.
erstmal willkommen hier on board und einen guten Start gewünscht, schön, dass Du frei von der Leber weg (!!!) schreiben kannst.
Grandios gut ist, dass es wirklich ausgezeichnete Suchthilfe in der BRD gibt und ich bin mir relativ sicher, dass auch für Dich das Richtige dabei ist. Das ist ja die Kunst, dranzubleiben, zu lernen nachzusehen was einem taugt und was nicht. Die Frau Doc war's nicht, so what, weiter geht's, Uwe hat das ja in seiner unnachahmlichen Art verdeutlicht was dann alles kommen wird. Hab's selbst auch so erlebt, Weg mit der Fessel - rein ins echte Leben.
Die Wege rein und wieder raus aus der Sucht sind verschieden, aufhören (temporär) können viele Alkoholiker - wirklicht trocknen, da gehts dann ans Eingemachte. Mit einigen AA-Gruppen fahre ich bspw. gut, mit anderen weniger, just life.
In erster Linie geht's jetzt ja um Dich, und deshalb möchte ich auch weniger über AA, Frau Doktor usw. schreiben, sondern einfach mal da lassen, dass für jeden das Passende dabei ist, hier on board, in der Suchthilfe, bei freien Trägern, staatlichen, gemeinnützigen und so vielen anderen Optionen. Nur den Weg gehen, das muss jeder selbst.
Und das es möglich ist, relativ entspannt ohne Sprit zu leben, das kannste hier nachlesen oder auch selbst mal auf Saufnix - Treffen mit eigenen Augen sehen.
Ich wünsche Dir Alles Gute.
Grüße, Bodhi
Einfach SEIN- genügt völlig und mehr geht auch nicht. Das ist das volle Glück.
herzlich willkommen hier auch von mir und danke für deinen ausführlichen Eingangsbeitrag.
Nur mal kurz zu Mutmachen:
Ich bin seit nunmehr gut 10 Jahren weg vom Alkohol und kämpfe definitiv nicht jeden Tag drum, weiterhin trocken zu bleiben. Im Gegenteil, es ist sowas von selbstverständlich, das hätte ich vor 10 Jahren echt nicht geglaubt.
Ermöglicht hat mir dies eine ambulante Therapie, die zwar anstrengend war und fast ein Jahr gedauert hat, aber erfolgreich war.
Die hohen Rückfallquoten (die wahrscheinlich sogar stimmen) haben mir zwar damals auch zu denken gegeben, aber ich habe mir von Anfang an gesagt, es ist mir wurscht, ob von mir aus 99% rückfällig werden, Hauptsache ICH bleibe trocken. Und siehe da, es hat geklappt. Wie schön, dass deine eigene Trockenheit nicht vom Trockenbleiben aller anderen Alkis abhängt, sondern ausschließlich von dir selbst.
Übrigens bin ich im Jahr 2005 hier aufgeschlagen, noch nass damals, du kannst meinen (nicht ganz gradlinigen) Weg in die Trockenheit hier nachlesen:
Hi, erstmal willkommen hier.Ich bin auch erst seit gut 7 Monaten durchgängig clean,aber es lohnt dranzubleiben.Eine Langzeit ist für den kommenden Winter geplant bei mir.Über die Rückfallquote andere mach ich mir wenig Gedanken.Entscheident ist was ich mache.Allgemeine Feste meide ich noch oder gehe da nur ganz kurz vorbei.Eine Risikominimierung halte ichfür wichtig.Auf alle Fälle halte deine Wohnung Alkfrei.Ich wünsch Dir viel Erfolg. Atze
herzlich willkommen hier. Ich gehe mal davon aus, dass Du hier besser aufgehoben bist als bei Frau Dr. Wieauchimmer Superwichtig. Das wundert mich schon sehr, dass Frau Dr. einerseits nur die AA zählen lässt und andererseits von täglichem Kampf bis ans Lebensende spricht. Das Eine schließt das andere an sich aus, geht es doch bei den AA um Kapitulation. Kapitulation gegenüber dem Alkohol, Einsicht, dass sich damit gar nichts zum Guten ändert, Aufhören, ein anderes Ergebnis als z.B. die von Dir erwähnten Platzwunden zu erwarten, aufhören zu glauben, "man" hätte den Konsum unter Kontrolle.
Bei mir hat das auch eine Weile gedauert, aber danach musste ich nicht mehr trinken, egal was war. Gekämpft habe ich nicht mehr gegen den Alkohol sondern manchmal gegen mich selbst, gegen meine Gefühle, aber auch diese Kämpfe werden weniger und nach 18 Jahren ohne Stoff finde ich mich meist ganz in Ordnung. Mein Leben macht meist Spaß, ich mache Dinge, die ich nie für möglich gehalten habe, ich bin ich und das fühlt sich sehr gut an. Gefühle pur - das war es, was mir große Angst bereitet hat und auch jetzt ist es manchmal schwierig, oft aber auch nur genau richtig.
Danke für Deine ausführliche Schilderung - mich hat Dein Schmerz sehr berührt, ich stelle mir das furchtbar vor, wenn der Herzensmensch plötzlich nicht mehr da ist, ich kann mir gut vorstellen, dass jede Faser schmerzt und das Gehirn nach Betäubung schreit. Ich glaube, die Pillen von Frau Dr. hätten Dir langfristig genauso wenig geholfen wie die Pulle.
Gut, dass Du Dich Dir selbst stellen willst, raten würde ich Dir, finde eine vernünftige Beratung, schau Dir verschiedene Gruppen an, schau, was Dir gut tut, wäge Therapieangebote gegeneinander ab und höre auf Dich, wenn Du Dich für eine Therapie entscheidest. Vielleicht passt das ja für Dich, die Form und Dauer der Therapie vom Job abhängig zu machen, nur bedenke auch, dass Du den Job, solltest Du weiter trinken, auch nicht mehr ewig haben wirst. Ich habe aber das Gefühl, Du weißt schon ziemlich gut, wie es für Dich gehen kann. Schritt für Schritt wird sich auch der Weg erschließen.
Liebe Grüße Uta
"Großer Gott, laß meine Seele zur Reife kommen, ehe sie geerntet wird!"Selma Lagerlöf
die Angst vor so einem Besuch bei einer hard-core-Ärztin in Sachen Alkohol hat mich damals einen großen Bogen darum machen lassen, vielleicht wollte ich keinen schreckliche Wahrheiten a'la "Kampf bis ans Lebensende!" oder dergleichen hören, vielleicht hab ich ausgeblendet und verdrängt oder bloss meinen tiefsitzenden Trotz gefrönt....
however - werde ich und brauch ich auch gar nicht mehr zu wissen...
denn in der eigenen 'soft-version' hat es auch gefunzt - damit meine ich natürlich nicht die rosarote Brille, nein den Schrecken der Situation hab ich sehr wohl erfahren - nur die darauffolgende Gesundung war nicht nur über alle Maßen erhebend und befreiend, es war unglaublich viel Schönheit drin...
'türlich ging's irgendwann drum alte Themen zu bearbeiten, Selbst-Erforschung zu betreiben und dgl. Kann mich an Zeiten erinnern wo mir jeden Tag ein Batzen 'Unerledigtes' vorgesetzt wurde, aktuell ist es auch grade so...
Ich finde dass - sobald ich einen Weg der Befreiung zu einschlage - gleichzeitig ein Lernprozess in Gang kommt, ob ich mir dessen bewusst bin oder nicht. Es liegt auf der Hand dass es besser ist die Aufmerksamkeit darauf zu richten und sich in vielen Dingen neu kennen zu lernen.
Bei mir war und ist - jetzt bald 14 Jahre ohne Alk - immer ein positiver Grundton und eine Leichtigkeit präsent, Niedergeschlageheit und ähnliche Verstimmungen dauern höchstens ein, zwei Tage
Mir scheint aber als hätte ich meinen persönlichen Universalschlüssel... (Änderungen und Irrtümer sind vorbehalten.)
Gutes Gelingen dir gewünscht
Randolf
"Wenn du ein Problem hast und es nicht haben willst, hast du bereits zwei. "
"...vielleicht hab ich ausgeblendet und verdrängt oder bloss meinen tiefsitzenden Trotz gefrönt...."
Auch das ist ein ernstzunehmender Aspekt, wenn "Aufhörwillige" von Ihren ersten Gesprächen mit Ärzten/Therapeuten/SHG's etc... berichten.
Ich jedenfalls war im Jahr 2000 das erste Mal bei der Suchtberatung (Caritas) und hatte dort meine ersten Einzelgespräche als Vorbereitung auf eine Therapie.
Wie soll es anders sein...
Die Therapeutin war mir unsympathisch, hat Vorschläge gemacht, die mir so gar nicht in den Kram passten etc...pp...
Das Ende vom Lied war, dass ich die bereits beantragte und genehmigte Therapie nicht antrat, ein Jahr kampftrocken war und dann wieder mit dem Trinken angefangen habe.
Übrigens werde ich das letzte Beratungsgespräch im Jahr 2000 nie vergessen:
Als ich der Therapeutin eröffnete, dass ich die Therapie nicht antreten werde, redete sie auf mich ein wie an ein krankes Pferd, holte dann sogar noch eine Kollegin dazu und dann bearbeiteten sie mich zu zweit, damit ich meinen Entschluß nochmal überdenken möge.
Als sie dann begriffen, dass ich durch nichts und niemanden davon abzubringen war, war der allerletzte Satz der Therapeutin:
"Na ja, man muss das Obst eben pflücken, wenn es reif ist."
2006 war ich dann reif.
Heute weiß ich, dass weder die Therapeutin blöd war noch sonstwas, sondern der einzig Blöde war ich. Ich wollte mir beweisen, dass ich kein Alkoholiker war, das war der einzige Grund.
Liebe Grüße vom Grufti! Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden (Mark Twain)