Zitat von newlife im Beitrag #105nehmen wir mal an, Ursachen wären völlig unrelevant. Auf was soll sich dann eine Therapie stützen bzw. brauchts die dann überhaupt?
Dann könnte ich auch wieder sagen, lass den Stoff weg und alles ist gut.
Genau genommen ist es imho so "einfach"!
Ich sehe Alkoholismus als Krankheit. Ich kann zwar versuchen z.B. durch einen gesunden Lebenswandel nicht krank zu werden. Der Drops ist nun aber gelutscht, die Krankheit ist ausgebrochen. Ereignisse die den Krankheitsausbruch befördern, z.B. Umweltverschmutzung bei Lungenkrebs kann ich kaum beeinflussen. Bei mir beim Saufen war das vielleicht u.a. der Tod meiner Mutter. Nur irgendwann wird auch mein Vater sterben. Was kann ich also tun um dann nicht wieder in das alte Muster zu verfallen? Ich kann versuchen mich zu konditionieren in dem ich "achtsam" mit mir umgehe, ich kann mich in Gelassenheit üben, ich kann Streß vermeiden lernen, mir realistische Ziele stecken, etc. Das volle Programm halt mit SHG, Hobbys und Freiheit genießen. Und vor allem die Vergangenheit ohne Scham und Bitterkeit ruhen lassen.
Mir wurd das alles in der Therapie "eingetrichtert" bis zum geht-nicht-mehr...fast schon eine Art Gehirnwäsche (hätte nie geglaubt, das sowas wirklich geht). Aber ich muß sagen, bis jetzt funktioniert's ausgezeichnet! Mir geht es so gut wie seit 20 Jahren nicht mehr. Und ich glaube wirklich daran, das es eigentlich so einfach ist nicht mehr zu trinken. NUR, ich mußte mich erstmal drauf einlassen. Das ganze mit dem "kapitulieren vor dem Alkohol" und dem paradoxen Weg paßte ja nicht zum Cowboy, zum angry-young-man der ich immer sein wollte. Und Hilfe annehmen, ich? Ich bin Einzelkind, ich bekomme das schon allein hin!
Soviel wollte ich garnicht dazu schreiben, zumindest sollte eine Therapie das was ich hier von mir gegeben habe in meinen Augen jedem vermitteln, erstmal nicht mehr und nicht weniger. Und wenn die Basis erstmal da ist, die Krankheit gestoppt ist, kann ich mich z. B. um die Narben kümmern.
Ich kann auch ohne Alkohol traurig sein. (Simon Borowiak)
Ja gut. Ich sehe es heute auch so 'einfach'. Hätte man da nicht auch selbst drauf kommen können? So wirklich schwierige Dinge beschreibst du ja nicht. Im Ergebnis möchte ich mal sagen, dass etwas Mut, viel Bereitschaft und natürlich Motivation dazugehört. Mehr ist das nicht, denn im Grunde weißt du ja schon selbst, an was es bei dir habert und mit nem entsprechenden Arsch in der Hose würdest du auch geeignete Unterstützung selber finden können. Als ich es gesteckt hatte mit dem Saufen, hatte ich komischerweise auch nie wirklich Saufdruck. Klar hätte ich mich durchaus mal zuknallen können, das war dann aber nie mehr als ne Momentaufnahme, was auch bei genügend anderen vorkommt, wenns mal nicht rund läuft. Was noch alles kommt weiß ich natürlich nicht. So aber mal bis hier nach rund 5 Jahren.
Trotzdem ist es aber so, dass der überwiegende Teil der Probanden diese Einfachheit nicht zu begreifen scheint und das mache ich gerne am falschen Zeitpunkt fest. Der nämlich lässt sich nicht erzwingen. Da muss eben emotional was passieren und das passiert irgendwann mal - oder auch nicht.
Zitat von newlife im Beitrag #107Ja gut. Ich sehe es heute auch so 'einfach'. Hätte man da nicht auch selbst drauf kommen können? So wirklich schwierige Dinge beschreibst du ja nicht.
Nö, so richtig schwierig ist es auch eigentlich(!!!) nicht. Hab ich mir in der Therapie oft gedacht: "Wie, das soll alles sein was die mir hier vermitteln???"
Zwei Punkte hab ich tatsächlich aber noch vergessen. Wie Du auch schon geschrieben hast den Zeitpunkt. Ich hab dieses "ganz unten sein" leider gebraucht. Das "alles ist weg"; Freundin, Job, Führerschein, Wohnung. Gesundheit kurz vorm Kollaps. Ich hab mich ja wie viele andere auch mit Händen und Füßen gegen Entgiftung, Therapie und SHG gewehrt. Warum auch immer.
Der zweite Punkt waren die Mitpatienten. Allein der Austausch, zu hören wie es anderen geht. Zu sehen es trifft jeden, Ingenieure, Lehrer, Polizisten, Hausfrauen, schwere Jungs... Und leider auch die Endstadien als abschreckende Beispiele. Der Finanzbeamte mit Leberzirohse oder der politoxe Medizinstudent mit Suizidversuch nach 2 Wochen. Scherzhaft haben wir uns in der Aufnahmegruppe immer als "Trümmertruppe" bezeichnet Aber diese vielen zwischenmenschlichen Erfahrungen sammelst du nur in der Therapie und im Real Life...
Ich kann auch ohne Alkohol traurig sein. (Simon Borowiak)
Jo. So auch bei mir. In unserer politoxen Gruppe war ich der einzige mit Job. War aber wurscht, das alles war absolut authentisch und ich erinnere mich an manches gerne und an anderes auch mit Schrecken zurück. Ich war gefühlt auch nur noch so ein winziges, zappelndes Etwas, was durch ein paar glückliche Umstände als einziges Element immer den Arbeitsplatz erhalten konnte, was mich immer so durch die Jahre trug. Somit fand ich dann eben auch wieder ne Wohnung und hatte irgendwann auch wieder einen Lappen durch Lügenstories bis sich die Balken biegen damals in den 90ern.
Da war das noch einfacher mit der MPU und damit ich auch richtig weitersaufen kann und den Lappen nach Möglichkeit behalte, zog ich daraufhin direkt in die Stadtmitte. Ich musste nicht mehr fahren, hatte aber trotzdem oft genug noch Schwein gehabt. Die Wohnung war runtergekommen und in der Gegend wimmelte es von Süchtigen. War alles völlig normal so und dann war der Hauseingang nur durch ein anderes Haus mit einem Wegerecht erreichbar, was aber niemand einsehen konnte, der es nicht wusste. Da kamen nie Beschwerden, egal was wir da so getrieben haben...
Ich dank dir mal für deine Ausführungen. Das klingt alles ganz ähnlich wie es auch bei mir war.
Ziehe mich jetzt wieder zurück, ich denke da hat MandelSternchen genug, um sich mal einzulesen.