ich versuche, den versoffenen teil meines jahres 1999 zu rekonstruieren. das ist gar nicht so einfach. ich habe viel gearbeitet in der zeit, war viel unterwegs. die angst und die einsamkeit habe ich oft in alkohol gelegt, bisweilen täglich. an den anderen tagen habe ich 'zum spaß' getrunken
anfang mai war ich bei der hausärztin gewesen. hatte wenige tage später den von mir selbst besorgten und allein ausgefüllten 'kurantrag' an die BfA geschickt.
deren nachfrage nach dem sozialbericht kam wohl recht schnell, denn bereits ende mai hatte ich deswegen den ersten termin in der suchtberatungsstelle.
ich weiß noch, dass ich in den letzten monaten vor der entgiftung als der antrag an die bfa bereits abgeschickt war (wenn auch sehr unvollständig) die dosis ordentlich erhöht habe.
so als ob ich mir selbst noch einmal beweisen müsste, dass ich eine 'kur' auch tatsächlich 'verdient' hätte. (ich hatte bis ende Juni allerdings schon gelernt, dass das „entwöhnungsbehandlung“ hieß, was ich da so blauäugig als 'kur' beantragt hatte.)
die doofe sozialarbeiterin in der doofen frauensuchtberatungsstelle huhu paula hatte mir nämlich meinen konsum nicht geglaubt.
den hatte ich ganz ehrlich angegeben mit rund einer flasche wein am tag, im schnitt. also einen liter badischen gutedel täglich, umbei
„da müssen wir für die BfA aber schon ein bißchen mehr reinschreiben. sonst glauben die nicht, dass Sie ein alkoholproblem haben und bewilligen die reha nicht.“ ach so? sie schrieb dann das doppelte in ihren bericht. nicht, weil die bfa das 'wollte'. sondern weil sie selbst gelesen hatte, dass alkoholikerInnen IMMER lügen, was ihren konsum betrifft. also unterstellte sie auch mir, zu lügen. die dumme sozialbratze.
ich war sehr gedemütigt. ich war sehr wütend. ich trank weiter.
ich habe in meinem alten notizbuch von damals geforscht. immer wieder steht da auch drin, dass ich an 'arbeitsfreien' tagen (also solche ohne außentermine) schon mittags ein bier, einen wein, eine schorle, einen sekt getrunken habe.
wenn ich mir mein arbeits- und erledigepensum von damals so anschaue, viewiele projekte ich gleichzeitg gedingelt habe was ich nebenbei noch mal eben schnell unterbrachte ....
ich war kaum einen abend allein zu hause und auch tagsüber fast immer immer unterwegs:
sechs sendungen die woche betreut kulturelle veranstaltungen besucht zwischendurch eigene beiträge gemacht abendessen auswärts sieben termine an einem tag mal eben kreuz und quer durch die stadt besprechungen und konferenzen mal kurz zwischengeschoben habe mal eben berühmte menschen interviewt und weniger berühmte interviews transkribiert und eigene texte geschrieben schnell ins studio geflitzt ans mikrofon gesetzt psychotherapie gehabt – regelmäßig (und danach schnell ein bier, damit ich weiter funktionieren konnte) unendlich viele zahnarzttermine hinter mich gebracht (krönchen auf die backenzähne ....) recherchen und redaktion auch am wochenende ein kochbuch geschrieben diverse festivals organisiert und moderiert zwischendurch zwei wohnungen renoviert dielenfußböden abgeschliffen bei diversen umzügen mitgeholfen und auch den eigenen gedingelt kongresse beobachtet und dokumentiert zwei katzen gekrault, gefüttert, zum tierarzt gebracht wenn nötig .... und dann gab es ja auch noch diesen wunderbaren mann, der mir so wichtig war
da werde ich schon selbst ganz atemlos beim aufschreiben. - dagegen bin ich heute nur noch ein schatten meiner selbst
genauso nebenbei und effektiv wie alles andere habe ich damals dann auch meine abstinenz erledigt: quasi nebenbei, ohne groß nachzudenken. das war auch mein glück. denn hätte ich drüber nachgedacht .... (ach das ist ein konjunktiv!? was weiß denn ich?!)
der sozialbericht übrigens war erst nach einem monat fertig, ende juli habe ihn persönlich in die beängstigend großen staubig deutschgrauen hallen der BfA gebracht. dabei habe ich mich gräßlich geschämt, wollte am liebsten noch unter diese unappetitlich hässlichen linoleumplatten kriechen so dermaßen überzeugt war ich davon, dass alle mir hinterher zischeln würden: „siehste, das ist die versoffene schlampe – dass die sich noch hierher traut“
so. antragsunterlagen komplett und an der richtigen stelle abgegeben.
zeit für eine pause im hier und jetzt. ich stelle fest, dass mich der rückblick in die eigene vergangenheit doch sehr belastet. erst recht wenn ich sehe, wie wenig mir mein leben von heute gefällt im vergleich zu dem von damals.
mit dem trinken aufhören – das war eine logische konsequenz damals. der alkohol hatte mir vieles auch erst möglich gemacht, hat mich wach und mutig und belastbar und leistungsfähig gemacht. aber ich war an einem punkt angekommen, wo ich ganz genau wusste:
ich trank zu viel. ich stellte fest: wenn ich jetzt weiter trinke, dann kippt es, und mein weg geht nur noch abwärts. ich lief gefahr, mir das, was ich mir so mühsam und hart erarbeitet und aufgebaut hatte, wieder zu zerstören.
der alkohol hatte mir auch viel gegeben – aber er (also ich) war jetzt kurz davor, mir all das - und noch viel mehr - wieder zu nehmen!
bereits zwei wochen später lag die reha-zusage der BfA im briefkasten. ich sollte in eine klinik nach schwerin. an den see. aber da war ich nie. wieso nicht?
"zeit für eine pause im hier und jetzt. ich stelle fest, dass mich der rückblick in die eigene vergangenheit doch sehr belastet. erst recht wenn ich sehe, wie wenig mir mein leben von heute gefällt im vergleich zu dem von damals."
War es wirklich so viel schöner mit Alk?
[ Editiert von grufti am 05.09.08 17:50 ]
Liebe Grüße vom Grufti! Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden (Mark Twain)
ich weiß, dass du das auf keinen fall böse gemeint haben kannst. aber es weckt .... böse alte erinnerungen an meine kinderzeit: da wurde ich als intelligenzbestie beschimpft. dabei kann ich doch nix dafür. intelligenz ist eine eigenschaft wie blaue augen oder eine lange nase die mache ich doch nicht mit absicht. erst recht nicht um andere zu ärgern.
naja. konnteste ja nicht wissen - dass ich meine 141 bunten mensapunkte eher als belastung denn als eigenen reichtum empfinde.
was deine frage angeht: War es wirklich so viel schöner mit Alk?
ich habe nicht gesagt, dass es mit alkohol schöner war.
ich habe gesagt, dass mir mein leben von heute sehr viel weniger gefällt als mein leben von vor neun jahren. das meine ich genau so.
ich war erfolgreich. ich war geliebt. ich war schön. ich war gesund. sogar die leberwerte waren top. mein honorar war ein gutes. meine wohnung ein schmuckkästchen.
dummerweise war ich süchtig. süchtig bin ich heute auch noch.
den alkohol habe ich weggelassen. ich habe weiter therapie gemacht. der mann ging. mein traumjob wurde abgewickelt. umsatteln auf ein anderes ressort ist mir nicht gelungen. eine neue stelle habe ich nicht ergattert. trotz einer mir selbst erstaunlichen bewerbungsflexibilität bis runter zum telefonmäuschen im kabuff. was ein honorar ist, weiß ich schon gar nicht mehr. dass ich in meiner jetzigen wohnung bleiben darf, darum kämpfe ich seit mehr als vier jahren. auch aktuell. der druck ist entsetzlich. heute lebe ich mit tumoren im leib und einem tinnitus im ohr, den ich nicht mal einem dattelkönig an den hals wünsche.
ja. mein leben damals hat sich - bisweilen - sehr viel 'lebendiger' angefühlt. dass es mir seit einigen jahren immer schlechter geht, hat nichts damit zu tun, dass in meinem leben kein alkohol mehr vorkommt. eher mit meiner persönlichen lebensunfähigkeit.
mit alkohol wäre es sicher nicht besser. ich liebe mein leben schon lange nicht mehr. schon seit jahren bin ich mit 'überleben' beschäftigt. nicht mit leben. die tage verbringe ich damit, zu hoffen, dass nicht noch weitere katastrophen passieren.
was meine abstinenz angeht, da bin ich durchaus zufrieden. aber glücklich bin ich allein deswegen noch lange nicht.
"nur weil ich atme, lebe ich noch nicht!" leben, das ist etwas, das schon seit langer zeit in meinem leben nicht mehr stattfindet. mit ganz ganz kurzfristigen ausnahmen.
es gibt noch sonnige augenblicke manchmal. immerhin.
ps. sagt mal - geht euch das heute auch so (bzw. schon seit gestern abend) das das hochladen der vorschau oder absenden neuer beiträge uuuuun-eeeeeeend-lich lange dauert? oder geht das nur mir in meinem eigenen themenfaden so? schreibe ich zu viel, womöglich?!
Zitatps. sagt mal - geht euch das heute auch so (bzw. schon seit gestern abend) das das hochladen der vorschau oder absenden neuer beiträge uuuuun-eeeeeeend-lich lange dauert? oder geht das nur mir in meinem eigenen themenfaden so? schreibe ich zu viel, womöglich?!
Ja, war gestern auch schon so laaahhhm alles
Und auch von mir für die 9 Jahre
LG UTA
Auch Wolkenkratzer haben mal als Keller angefangen.
jetzt bin ich fast ein bissel traurig, ich hab mich so für dich gefreut wegen dem Vorstellungsgespräch und deiner 9 trockenen Jahre und jetzt schreibst du so traurige Sachen...
Das mit dem Intelligenzbolzen tut mir leid, entschuldige bitte.
... ... ...
So, jetzt hab ich eine halbe Stunde versucht, eine schlaue Antwort auf den Rest deines Posts zu finden, aber was ich auch hinschreibsel, es passt irgendwie nicht.
Also schick ich dir mal den da und lass es für den Moment gut sein.
Ich wünsch dir ganz viele sonnnige Augenblicke!
Liebe Grüße vom Grufti! Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden (Mark Twain)
Bei mir lädt sich das seit gestern auch so langsam hoch.
Mich würde mal eine rein hypotetische Frage interessiren: "Glaubst Du, Dein Leben, also alles was Du beschreibst...der Job, der Mann usw. hätte sich anders entwickelt, wenn Du nicht abhängig getrunken hättest?
Ich frage mich, wenn ich Deinen Bericht lese, ob Du nicht "einfach" mit ganz normalen Veränderungen in deinem Leben konfrontiert warst bzw. bist...unabhängig vom Alkohol...
Nein, ame, Du scheibst nicht zu viel - von mir aus könntest Du noch mehr schreiben. Ich empfinde es als Wohltat, Deine Beiträge zu lesen inmitten all des Hauens und Stechens in anderen Threads
Als ich vorhin las, was Du unter Alk so schwindelerregend gedingelt hast und wie Du Dich jetzt im Vergleich dazu nur noch als Schatten Deiner selbst fühlst, hätt ich laut schreien können: Ja, verdammt! Warum? Warum ist das so? Liegt's am älter werden? An den irreversibel versoffenen Nervenzellen? An der jahrzehntelang gedopten Psyche? Wo ist die Energie hin, die ich noch vor fünf Jahren hatte, rauchend, saufend, gnadenlos unsportlich und ständig auf der Überholspur? Warum bin ich so müde, so wenig belastbar, so mimosenhaft empfindlich, so langweilig? Grmblfrrx!!
Ich bin ebenso froh wie Du, trocken zu sein, und will auch nichts dran ändern. Aber eine Antwort auf all das hätt ich schon gern
sole
----------------------------------------------- when in doubt: go to the water and swim
1.) bei mir schleichen die Beiträge/Seiten hier im Forum auch nur so ru. Ich wollt' heut' morgen noch zum Burzeltag gratulieren - mußte ich auf den Abend verschieben, sonst wär' ich zu spät gekommen .
2.) Seit einer ganzen Weile bekomm' ich auch nichts mehr richtig gebacken
3.) Das wird sich doch wohl irgendwann ändern
4.) ame, altes Schlachtross (ich weiß, das hörst du nicht gern) mach so weiter, wie die letzten 9 Jährchen, was die Abstinenz betrifft. Und freu' dich auf deinen Job, solange du kannst . Auch das wird irgendwann aufhören .
5.) Dann kommt was neues/anderes ...
6.) Täglich Brot eben ...
7.) Schön, dass es Saufnix gibt - auch mit Hauen und Stechen . Ist entspannend, von außen zu zu sehen wie andere ihre Energien verbraten .
Schönen Abend noch Werner
P.S. Gleich Musik hörend
---------------------------------------------------------------- It's nice to be a Preiss, it's higher to be a Bayer
"'nur weil ich atme, lebe ich noch nicht!' leben, das ist etwas, das schon seit langer zeit in meinem leben nicht mehr stattfindet. mit ganz ganz kurzfristigen ausnahmen."
Verdammt. (Ich _will_ das nicht verstehen!)
Jede Menge Streicheln für dich!
"Wenn das das berühmte 'lange Glück' sein soll, dann lass ich meine Fenster lieber ungeputzt und beschäftige mich mit mir oder meinem Mann." -- 'Saftnase'
ZitatMich würde mal eine rein hypotetische Frage interessiren: "Glaubst Du, Dein Leben .... hätte sich anders entwickelt, wenn Du nicht abhängig getrunken hättest?
da dich die frage interessiert und du die frage schon gestellt hast - ist doch alles gut, oder? ich dagegen könnte dich jetzt fragen (tu ich aber nicht, lassen wir das mal ruhig hypothetisch), warum dich eine rein hypothetische frage mehr interessiert als eine konkrete antwort?
ZitatIch frage mich, wenn ich Deinen Bericht lese, ob Du nicht "einfach" mit ganz normalen Veränderungen in deinem Leben konfrontiert warst bzw. bist...unabhängig vom Alkohol...
hast du dir diese frage inzwischen beantworten können? warum fragst du das dich? warum fragst du nicht mich - es geht doch um mein leben?
@ sole & GB & whoever may be interested: schon allein das wissen darum, mit dieser erfahrung nicht allein zu sein, nimmt mir ein wenig von der inneren dramatik. würde dir eine antwort auf "all das" mehr helfen?
ich für mich kann mir diese frage - zum teil - beantworten: ich habe lange jahre über meine grenzen gelebt, habe raubbau betrieben an meinen ressourcen bin auf dem seil getanzt immer am absturz entlang habe jahrzehntelang eine selbstzerstörerische gratwanderung betrieben .... weil ich gesehen sein wollte wahrgenommen und respektiert werden wollte so wie ich bin (dass das in der großen verkleidung gar nicht möglich war habe ich ebenso lange jahre gut ignoriert)
also all dieses alltägliche zeug das mein alltag niemals war: weder bin ich gesehen worden als kind noch wurde mir zugehört und respektiert wurde ich gleich gar nicht.
jetzt, im nüchternen sein, bin ich der großen "guckdochmalwasichalleskann"-show müde und überdrüssig. ich habe schon lange keine kraft mehr für tägliches großes feuerwerk. ich brauche pausen. ich will sein dürfen wie ich bin und genau so auch gesehen und respektiert werden.
(dennoch kann es mir nach wie vor großes vergnügen bereiten, hin und wieder ein bombastisches feuerwerk abzufackeln. just for MY fun und um ein bißchen anzugeben. haaa!
jetzt, wo ich aber nicht mehr immer selbst bestimmen kann, ob feuerwerk oder nicht weil meine kräfte andere sind als früher - da geht es für mich um mehr als 'nur' um das aushalten der realität. die realität aushalten, das schaff ich mit kognitiver disziplin (blöööööödes sozialarbeiterinnenspeak :motz. notfalls auch mit impulskontrolle (NOCH blöööööderes püschaterwort :motz.
was jetzt für mich ansteht, ist eher ein abfinden. ein abfinden damit, dass ich nicht die sein kann, die ich gern wäre: abschied von der selbst-illusion, enttäuschung, enttarnung meiner seele. und das tut weh. das tut verdammt weh.
im grunde könnte (dooooofer konjunktiv. pffft!) kann es mir doch egal sein ob ich den dalai lama interview oder holz aufsammle im wald.
ich muss mich nur noch selbst davon überzeugen dass ich mit nem holzklotz genaus so viel spaß haben kann wie mit einem lachenden philosophen. dafür habe ich noch keine methode gefunden. aber auch das kriege ich schon noch hin. rückfallfrei