es gibt da eine Vortragsreihe auf Englisch, die ich momentan auf youtube kucke (ich hab im Internet bisher nichts ähnliches auf Deutsch gefunden): https://youtu.be/N3MIGrvUNgY ab Minute 25 geht es um das Thema "ist Alkoholismus so etwas wie eine Allergie"?
Da gehts um die Idee, dass Alkoholismus Parallelen hat zu einer Allergie. Nicht, dass es dasselbe ist wie eine Allergie, sondern nur dass es in mancher Hinsicht ähnlich ist. Menschen, die die Krankheit Alkoholismus haben, können Alkohol nicht vertragen, sie haben eine krassere Reaktion als die meisten Menschen. Bei mir trifft das zumindest zu. Ich kann mit dem Alkohol nicht umgehen, wie andere Menschen, die vielleicht nur 1 Glas Wein aus Genuss trinken können. Ich würde die Flasche austrinken.
Wenn einer frühmorgens mit Kopfweh, Übelkeit, Herzstechen usf aufwachen würde und im Krankenhaus man zu ihm sagt, "dein Zustand wird verursacht durch eine Erdnussallergie", würde derjenige wahrscheinlich nicht versuchen weiterhin Erdnüsse zu essen, auch wenn er bisher täglich Erdnüsse gegessen hat, würde er damit aufhören. Der Erdnussallergiker lässt die Erdnüsse sehr wahrscheinlich einfach stehen. Deswegen gibt es keine "Anonymen Erdnussallergiker" (bei der Stelle im Video musste ich herzlich lachen). Ich glaube, das Fiese am Alkoholismus oder an der Sucht generell, dass man meint, man hat es vielleicht doch nicht. Und deswegen kommt diese Idee dazu, dass es lebenslang ist und "nur zum Stillstand gebracht werden kann". Das ist am einfachsten.
Das ist aber nicht die komplette Definition für mich, ich finde nur den Vergleich ganz gut: ich hab ne Art Allergie gegen Alkohol, ich kann den nicht trinken, weil dann schlimme Dinge passieren. Wie ein Erdnussallergiker eben keine Erdnüsse mehr essen kann.
Es ist eine sehr facettenreiche Krankheit und gibt viele Definitionen, das mit der Allergie ist nur ein Aspekt davon.
die Frage nach diesem Krankheitsbegriff treibt mich auch um, also nicht nur eine hübsche Definition zu kennen, sondern es verinnerlicht zu haben. Da schwimme ich derzeit, insb. wie es sich im abstinenten Zustand mit dieser Krankheit verhält. Hinsichtlich Rauchen geht es mir ähnlich wie von Dir, Susanne, beschrieben - vor 13 Jahren aufgehört und schon nach einigen Monaten nach dem Rauchstopp (aus Überzeugung, ich wollte frei sein, nicht mehr rauchen müssen) war Ruhe mit Verlangen, auch keine blöde Ideen, ob denn gelegentlich was geht, oder vielleicht Zigarillo oder ähnlich. Einen ordentlichen Respekt vorm Glimmstengel habe ich bis heute beibehalten, ich würde nie Wasserpfeifen, Verdampfer o.ä. anrühren, egal was da geladen wurde. Aber Alkohol ist natürlich deutlich stärker verankert im Alltag und, dass muss ich mir auch noch klar eingestehen, für mich mit bestimmten Situation assoziiert. Also erst mal umlernen, dass ein rauschendes Fest ohne den selben Zustand im Kopf geht.
Der Vergleich mit der Allergie ist hübsch, sicher auch Außenstehenden griffig als Bild zu vermitteln, aber (ohne das Video gesehen zu haben) geht es doch in einigen Aspekten an der Sucht vorbei... Mag Leute mit Allergie und dringendem Verlangen nach Erdnüssen geben, aber i.d.R. lechzt der Alki eben deutlich stärker nach dem Stoff, der das Elend bringt, genausowenig wird der Allergiker immense Erwartungen an die Wirkung von Erdnüssen haben. Da ist der Verzicht im Alltag vermutlich eher nur lästig, wenn man auf Zutaten achten muss bzw. einige Dinge gestrichen sind. Ich las hier so viele Berichte, in denen geschildert wurde, wieviele Probleme quasi mit zunehmender Abstinenz wieder verschwanden, aber für mich bin ich schon überzeugt, dass es auch eine Ursache gab, warum ich denn angefangen habe. Die inneren Spannungen fühle ich ja immer noch, bügel sie nur eben nicht mehr mit Alkohol weg. Hmm.
"Sucht" ist ein umfassendes Muster und ja nicht nur an eine Substanz gebunden. Heil werden ist ein umfangreicher und meist anstrengender Prozess, der Dir Deine Wahlmöglichkeiten wieder ins Bewusstsein rückt, wenn du die Motivation hast, dran zu bleiben.
Wenn Du heil bist, bist Du nicht mehr krank. Man kann an diesem Wachstumsprozess durchaus Gefallen finden.
Ich finde, man braucht sich gar nicht so viele Gedanken darüber machen, so ein tiefer Wunsch, wie der von Susanne, ist vielversprechend und reicht doch erst mal völlig aus:
"Also, eines ist mal klar: Ich will wieder gesund werden! Mit diesem Ziel kann ich ein neues Selbstbild von mir entwerfen, welches zu realisieren für mich erstrebenswert ist und tragfähig werden kann!"
Gruß Clavis
Viele Wege führen nach Rom - aber nicht "Alle"
Achte auf Deine Worte, sie könnten Wirklichkeit werden
Die Wahrheit macht Dich frei, aber vorher macht sie Dich fertig
Ratschläge sind auch Schläge
Dankbar frei von Alkohol-Nikotin-Medikamenten und anderen Drogen, auch frei von vielem Anderen - Frei eben.
Für mich hat die Frage, ob ich jetzt lebenslang krank bin oder nicht, völlig seine Bedeutung verloren.
In der ersten Zeit meiner Trockenheit habe ich ganz ähnlich wie die Susanne mit dieser Frage gehadert.
Heute sage ich mir, ich weiß, es ist besser für mich, nix zu trinken, und wenn ich wieder hinlange, kommt meine Alkoholintoleranz zum Vorschein, also lass ich's.
Liebe Grüße vom Grufti! Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden (Mark Twain)
ist so ne Sache mit Begriffen, denn diese können bloss Akzidenzien sein,oder wie?
Das Wort Tisch ist offensichtlich nicht dasselbe wie der Tisch. Was hilft es mir zu sagen, der Suff ist eine Krankheit/keine Krankheit?
Gehe ich dann in einem Fall anders damit um oder nehme ich es 'ernster'? An welchen Teil sind Erklärungen und Begriffe adressiert? Ist es identisch mit dem der fähig ist zu 'tun'?
Durchaus, oder? Denken ist Handeln.
Welchen Platz hat Wissen bzw Information?
Ein Gedanke kann eine Initialzündung sein, die ausführenden Instanzen mögen andere sein. Notwendig ist halt dass die 'Verbindungsglieder' intakt sind, sonst kommt es zu keinem 'Tun'.
Noch eine Tasse Café Brasileiro.
Lg
"Wenn du ein Problem hast und es nicht haben willst, hast du bereits zwei. "
vielen Dank für die verschiedenen Ansätze zum krank / gesund - Thema. Ich fühle mich weiterhin auf einem guten Weg, der auf alle Fälle sehr von " wieder gesünder werden" geprägt ist. Jetzt sind es mittlerweile gut/e fünf Monate.
Nachdem ich im Sommer an vielen Veranstaltungen inkl. meines Urlaubs viel Alkohol gesehen und stets stehen gelassen habe, bin ich seit Anfang Oktober etwas häuslicher und introvertierter und mache erst `mal eine Pause, anderen Leuten beim Alkohol trinken zuzuschauen. Ich wünsche mir einen etwas zurückgezogeneren Lebensstil, jetzt im Herbst. Das ist auch entspannend. An Weihnachtsfeiern etc. steht mir nichts bevor; ich brauche an keiner teilnehmen, kann all dem ausweichen und das möchte ich momentan auch. Nicht, weil ich mich gefährdet(er) fühle als bisher Ich will irgendwie mehr "Ruhe".
Mit der von mir beantragten Reha hänge ich momentan in einem Schwebezustand. Beantragt hatte ich gemeinsam mit der Suchtberatungsstelle einen zweimonatigen stationären Aufenthalt mit anschließender sechsmonatiger ambulanter Therapie (die auch nochmal um sechs weitere Monate verlängerbar wäre).
Mitte Oktober erhielt ich den Bewilligungsbescheid, bewilligt wurde auch die von mir präferierte Klinik, habe mich erst einmal sehr gefreut, dann aber genauer hingeschaut: Bewilligt wurden 15 (!) Wochen (plus/minus). Das geht nicht. Selbst das Schreiben kann ich bei meinem Arbeitgeber nicht vorlegen, selbst wenn ich mündlich versichern würde, nach acht Wochen wieder zurück zu sein; den auf das Schreiben folgenden Tumult kann ich mir ohne viel Phantasie lebhaft vorstellen. Ich habe dann die RV schriftlich mit ausführlicher Begründung um entsprechende Modifizierung gebeten. Jetzt warte ich von Neuem. Der Vorteil, der darin läge, dass ein längerer Klinikaufenthalt möglicherweise zu einer stärkeren Abstinenzhaltung führen würde, würde durch die unzweifelhafte Tatsache, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mein jetziger Job anderweitig vergeben wäre und ich auf dem Personalschachbrett irgendwo sonst wo landen würde, konterkariert. Außerdem ist die Rollenverteilung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber doch klar: Vernünftige Leistung gegen vernünftiges Geld. Das habe ich auch in den zwei Jahren meines exzessiven Alkoholkonsums geschafft, die Leistung. Wenn auch mit enormer zusätzlicher Kraftanstrengung. Ich bleibe dabei: Meine Suchterkrankung geht den Arbeitgeber nichts an. Ich will unbedingt weiter unterhalb des Radars bleiben. ich habe an dieser Front, die keine ist, nichts zu gewinnen und viel zu verlieren. Acht Wochen gehen. 15 nicht. Isso.
Eine andere Sorge hat sich mittlerweile positiv geklärt (vielen Dank auch noch mal an Grufti und Horn): Es reicht tatsächlich, den Bewilligungsbescheid der DRV, in dem nichts über die Klinik oder Erkrankung steht, dem Arbeitgeber vorzulegen und den Zeitraum, in dem man weg sein wird, selbst mitzuteilen. Es erfolgt keine weitere Information, weder der Klinik noch der Rentenversicherung, warum man sich wo wie lange aufhält. Wenn ich mal bedenke, dass das bei der Suchtberatungsstelle nicht bekannt war und die zu dieser Frage nur mit den Schultern gezuckt haben („so genau wissen wir das auch nicht“), bin ich nach wie vor irritiert; ich kann ja nicht der erste Mensch sein, der `nen Job hat, sich dort nicht als suchterkrankt outen will und trotzdem einen (zeitlich moderaten) stationären Aufenthalt zur Förderung einer stabilen Abstinenz für sinnvoll hält. Aber gut – zumindest ist das Prozedere geklärt.
Jetzt warte ich erst einmal ab, nicht so meine Lieblingsdisziplin, und reihe immer weiter einen Tag ohne Alkohol an den nächsten, mit einer Art kraftvoller Sturheit ;-)
Viele Grüße, Susanne
----------------------------------------- Optimismus ist, bei Gewitter auf dem höchsten Berg in einer Kupferrüstung zu stehen und »Scheiß Götter!« zu rufen. (Terry Pratchett)
schön wieder von dir zu hören. So langsam scheint sich die Sache mit der Therapie zum Guten zu wenden. Aber es ist natürlich schon extrem nervig, jetzt wieder nur auf eine Antwort warten zu müssen. Mir fällt dazu ein, dass normalerweise die "Entgiftungskliniken" sehr darauf achten, dass es schnell geht und die Patienten möglichst direkt von der Entgiftung in die Therapieeinrichtung wechseln können. Denn erfahrungsgemäß ist die Wartezeit zwischen Entgiftung und Therapie eine der gefährlichsten Abschnitte auf dem Weg zur Trockenheit und Rückfälle sehr häufig.
Ich habe auch schon öfter gehört, dass es hilfreich ist, wenn man immer wieder bei der RV anruft und fragt, wie lange es noch dauert, ob es nicht schneller ginge etc..., sprich, wenn man denen einfach auf die Nerven geht. Ich weiß nicht, ob du bei der RV einen Sachbearbeiter hast, den du persönlich anrufen kannst, vieleicht würde das helfen. U.U. könnte ja vieleicht auch dein Arzt oder Suchtberater nochmal nachhaken und was schreiben von wegen Rückfallgefahr, wenn nicht schnellstens die Genehmigung kommt. Auf jeden Fall drücke ich dir die Daumen, dass du alles bewillgt bekommst, was du beantragt hast.
Das mit der anschließenden sechsmonatigen ambulanten Therapie finde ich übrigens super. Dadurch verlängert sich der Zeitraum, in dem du "unter Beobachtung" bist, nochmal erheblich. Ich selbst habe es so empfunden, dass ich zum Trockenwerden (im Kopf) einfach eine längere Zeit gebraucht habe und auch im Nachhinein empfinde ich die Dauer meiner Therapie von fast einem Jahr wichtig und hilfreich.
Für die kurzfristige Zukunft wünsche ich dir viel "kraftvolle Sturheit", aber auch, dass der Bedarf mit wachsender Dauer der Trockenheit sinken möge...
Liebe Grüße vom Grufti! Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden (Mark Twain)
Zitat von grufti im Beitrag #128 Mir fällt dazu ein, dass normalerweise die "Entgiftungskliniken" sehr darauf achten, dass es schnell geht und die Patienten möglichst direkt von der Entgiftung in die Therapieeinrichtung wechseln können. Denn erfahrungsgemäß ist die Wartezeit zwischen Entgiftung und Therapie eine der gefährlichsten Abschnitte auf dem Weg zur Trockenheit und Rückfälle sehr häufig.
Ist inzwischen gewollt von den Leistungsträgern und wird unterstützt. 2001 war das als Modell angedacht. UND JETZT schon in trockenen Tüchern.
Zitat von Susanne im Beitrag #127Hisher . Acht Wochen gehen. 15 nicht. Isso.
Eine andere Sorge hat sich mittlerweile positiv geklärt (vielen Dank auch noch mal an Grufti und Horn): Es reicht tatsächlich, den Bewilligungsbescheid der DRV, in dem nichts über die Klinik oder Erkrankung steht, dem Arbeitgeber vorzulegen und den Zeitraum, in dem man weg sein wird, selbst mitzuteilen. Es erfolgt keine weitere Information, weder der Klinik noch der Rentenversicherung, warum man sich wo wie lange aufhält. Wenn ich mal bedenke, dass das bei der Suchtberatungsstelle nicht bekannt war und die zu dieser Frage nur mit den Schultern gezuckt haben („so genau wissen wir das auch nicht“), bin ich nach wie vor irritiert; ich kann ja nicht der erste Mensch sein, der `nen Job hat, sich dort nicht als suchterkrankt outen will und trotzdem einen (zeitlich moderaten) stationären Aufenthalt zur Förderung einer stabilen Abstinenz für sinnvoll hält. Aber gut – zumindest ist das Prozedere geklärt.
Jetzt warte ich erst einmal ab, nicht so meine Lieblingsdisziplin, und reihe immer weiter einen Tag ohne Alkohol an den nächsten, mit einer Art kraftvoller Sturheit ;-)
Viele Grüße, Susanne
Deine Suchtberatungsstelle, die den Sozialbericht verfasst hat, hat dieses nicht berücksichtigt? Angesagt wäre in deinem Fall eine "MoKo" modulare Kombinationstherapie. Die RV setzt(meist) nur das um, was im Sozialbericht steht.
Die Moko passst in deinem Fall wie die Faust aufs ungeschminkte Auge von Judith Butler.(alternativ Margarete Stokowski)
in einer Entgiftung war ich ja nie; ein Übergang stand also insofern gar nicht zur Debatte. Davon abgesehen vermute ich mittlerweile, dass im Sozialbericht nicht deutlich genug auf meine beruflichen Belange eingegangen worden ist. Ich werde das gelegentlich einmal prüfen. Bei meinem ersten Anruf bei der DRV am 20.10.17 äußerte der Mitarbeiter viel Verständnis für meine Darstellung der Situation, meinte aber, außer auf der Stellungnahme des Hausarztes sähe er keine besondere Begründung für nur acht Wochen stationären Aufenthalts. Von den Antragsunterlagen habe ich immer noch keine Kopie, obwohl ich die Beraterin der Suchtberatungsstelle darum mehrfach gebeten habe. Zur Zeitschiene: Am 18.09.17 lag der Antrag auf die Kombitherapie bei der DRV vor. Am 19.10.17 hatte ich die Bewilligung für die 15 Wochen im Briefkasten. Am 24.10.17 habe ich meine Bitte um "Umschreibung" der Rehabilitation abgeschickt - mein erster Entwurf, 1,5 Seiten, war von der Beraterin der Suchtberatungsstelle als "zu lang und zu emotional" beurteilt worden. Ich habe das Schreiben überarbeitet, gekürzt auf 1 Seite und ihr erneut per Email zugesendet, ob es so in Ordnung wäre. Daraufhin habe ich kein Feedback erhalten und das Schreiben dann so an die DRV abgesendet. Laut heutigem Telefonat ist das Schreiben am 01.11.17 bei der DRV angekommen (hausintern würde die Verteilung der vielen Post durchaus eine Woche dauern können, sagte mir der Mitarbeiter des "Reha- Informationscenters"). Heute haben wir den 7.11.17 - ich gebe denen noch ein bisschen Zeit, meiner Bitte nachzukommen...
@ Grufti: "Für die kurzfristige Zukunft wünsche ich dir viel "kraftvolle Sturheit", aber auch, dass der Bedarf mit wachsender Dauer der Trockenheit sinken möge..." Ja - das wünsche ich mir auch sehr - und sehe ja an Vorbildern wie Dir, dass das möglich ist! :-) @ Uwe: "Die Moko passst in deinem Fall wie die Faust aufs ungeschminkte Auge von Judith Butler.(alternativ Margarete Stokowski)" --> Bei Faust aufs ungeschminkte Auge hätte ich eher an Susianna Kentikian gedacht (alternativ Natascha Ragosina) ;-)
Viele Grüße, Susanne
----------------------------------------- Optimismus ist, bei Gewitter auf dem höchsten Berg in einer Kupferrüstung zu stehen und »Scheiß Götter!« zu rufen. (Terry Pratchett)
der Literat in mir war schon von Deinem ersten Essay hier drinnen fasziniert. Allein die vielen Referenzierungen ins Schriftstellerische, in die Welt des Films und Theaters, die sprühende Stil- und Wortgewandtheit, die Lust an der sprachlichen Darstellung: Schön und schaurig-traurig zugleich ist Deine opulent erzählte Geschichte der letzten Jahre. Das musste ja mal erzählt sein, aus Dir raus, und in feinst gewebte Worte gegossen werden. Wo, wenn nicht hier, ist ein Publikum mit Verständnis und Wissen zu erwarten. Wie sagst Du immer? Chapeau!
Das Umkippen vom prallzufriedenen Kleinfamilienleben in die Hölle der strauchelnden zeitweiligen Säuferin auf des schlingernden Fährmanns Nachen – eleganter kann man das fast nicht mehr beschreiben in der hier gebotenen Kürze. Unsere großen Leidensgenossen haben in sternhagelvollen Dezennien ganze „Ziegel vollgeschrieben“ (Harry Rowohlt a.a.O., derzeit womöglich wundersam vereint mit der Liebe Deines Lebens..., Dein Traum scheint mir bemerkenswert wahrhaftig zu sein!) – und ich glaube, auch Du ahnst, dass der faule Zauber nicht erst mit dem fürchterlich traurigen Abschied gekommen ist. Dein Nachdenken über die Reduktion auf „nur noch“ 500 Wassermeter pro Minute gibt Anlass zur Hoffnung auf tiefere Erkenntnis über die wahre Essenz ganzer Seelenräume durchmessender Selbstliebe...
Vorerst hast Du es aber hinter Dir - und auch ich wünsche mit übervollem Herzen, dass Dein vermeintlich hafenloses Segelboot überall neue Welten und traumhaft befriedete Liegestellen finden möge. Der ehemalige schwere Säufer, der ich bin, hat in den ersten trockenen Jahren lange mit Worten und Ersatzworten für unsere Krankheit herumgespielt und gerungen, nach Erklärungen gesucht für allerlei unwichtiges Zeug: Wenn man nicht wieder anfängt, sich Alkohol zuzuführen, sollte man das Bramarbasieren vielleicht einfach den Salbadern überlassen, die ein ganzes trockenes Restleben von nichts anderem mehr zu faseln wissen, ist es doch oft das Einzige, von dem sie glauben, eine Ahnung zu haben. Aber gut, ein paar Deiner Fragen klärt die Historie: Angesichts weltweit hochschwappender Ausfälle durch Alkoholabusus hat die WHO 1952 den Alkoholismus als Krankheit definiert und "schon" 1968 hat unser Bundessozialgericht nachgezogen. Seither erst können und müssen Kranken- und Rentenversicherer für die Kosten von Therapien aufkommen, was, so scheints, unserem gesunden Volkskörper immer und immer wieder als "Charakterschwäche und Haltlosigkeit" vorkommen mag, WHO und ICD zum Trotz.
Ethanol ist halt eine insbesondere für die Gehirnchemie höchst toxische Substanz – die dortigen Auswirkungen sind bis heute nicht einmal ansatzweise, geschweige denn zur Gänze erforscht (die Neurologie jongliert immer noch mit Händen voller ungelegter, teils fauler Eier, gibt es aber nur dann zu, wenn`s unübersehbar wird) - und schon deshalb unterscheiden sich die Auswirkungen der Hochdosierung gewaltig von der handelsüblichen Blinddarmentzündung und der von Dir, liebe Susanne (nom de guerre – Kriech? Och!) ins Feld geführten Magenbeschwernis. Klar macht die Sauferei allerlei Körperkram kaputt - aber Ethanol blitzt und fetzt quer durch das Hirn bis an den Rand der Seele. That`s it.
Und eben genau deshalb kannst Du auch nie mehr vergessen, bis an den Rand welcher Klippen Dich dieser Sturm zauste – und musst nicht alle Deine Tage in zehrendem Angedenken an die Stürze auf den Küchenfliesen versauern...
Breite Deine Schwingen aus und fliege. Es ist Deine Welt.
Herzlixt der Faselnicks(?)
-------------------------------------- Meine Religion ist die Freundlichkeit. Und trocken bin ich seit Anfang 2006.
Ja da schau an, der Nick läßt wieder mal was von sich hören!!!
Du hast ja lange nichts mehr geschrieben und manchmal habe ich an deine literarischen Beiträge gedacht, und natürlich auch, wie es dir wohl gehen wird.
Vieleicht hast du ja Lust, wieder mal ein bissel zu schreiben, wie es dir die letzten Jahre ergangen ist, ich würde mich freuen.
Liebe Grüße vom Grufti! Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden (Mark Twain)
in einem Text aus dem Jahr 2010 schreibst Du über Dich: „Als extrem gerne staunender … Mensch…“
Da habe ich etwas für Dich, was Dir vielleicht gefallen wird. Prolog: Es betrübte mich schon längere Jahre, dass ich nicht richtig singen kann. Ich bin musikalisch, kann aber leider die Töne nicht richtig treffen. Deswegen und weil ich seit Juni wieder versuche, etwas Lebensfreude in mein Leben hineinzubekommen, habe ich mir ein Schnippselchen mit Mobilnummer von einem Aushang an einem Laternenmast abgerissen und nun habe ich seit kurzem eine Gesangslehrerin ;-)
Diese ist schon sehr speziell, 67 Jahre, klein und dick und wenn ich am Abend zu ihr gehe, darf ich am Morgen auf keinen Fall Parfum benutzen, am besten auch kein Deo oder sonst etwas in der Art, da ist sie allergisch. Letztens hat sie sogar meinen Schal und meine Jacke luftdicht in eine Plastiktüte eingeschlossen, weil an den Kleidungsstücken wohl noch Reste meines Aromatic Elixier von Clinique vom Vortage anhafteten… (Wie sagte mein Hausarzt vor einigen Monaten: „Sie sind ja eine sehr gepflegte Alkoholikerin“. Nun; dieses dubiose Kompliment hatte ich mir ja wohl rechtschaffen verdient.)
Die Gesangslehrerin nun lädt mich in jeder Unterrichtsstunde zu folgendem Credo ein:
„Also, Frau Susanne, da oben sind viele Universen und in sämtlichen Universen sind alle von Ihnen benötigten Töne in voller Perfektion vorhanden. Es schweben auch genügend perfekte Töne für alle Menschen in jedweden Zeiten dort herum. Ist das nicht toll? Sehen die Töne nicht schön aus? Stellen Sie sich die vielen, schönen, perfekten Töne vor, da oben! Da müssen Sie jetzt doch ganz dolle staunen, Frau Susanne! Ganz dolle staunen. Sie kommen aus dem Staunen nicht heraus und machen deshalb auch so einen staunenden O-Mund. Ja, sehr schön. Und weiter staunen! Und jetzt müssen Sie die Töne nur herunterholen, in sich hinein fließen lassen und dafür sorgen, dass sich die Töne in Ihnen wohl fühlen und sich in Ihnen ausbreiten können. Sie müssen sich nicht anstrengen. Lassen Sie einfach los. Und immer schön weiter staunen.“
Ja, und dann staune ich ganz doll, so sehr ich kann, mache einen O-Mund, stelle mir das Segeln (den Mond, den schweigenden Wald, die liebe Hand) vor, schalte den Kopf aus (ganz schwierig!) und lasse die Töne von „Sailing“ von Rod Stewart oder „Der Mond ist aufgegangen“ oder „Alle Jahre wieder“ aus dem Multiversum herunter kommen zu mir und manchmal sind es auch schon die richtigen Töne und das ist dann mal ganz kurz ein wundervolles Gefühl.
Ansonsten gibt es natürlich auch Stimmübungen; zur Zeit soll ich kringelige Töne üben, mit einem kleinen Looping pro Ton; ehrlich, ich höre mich an wie ein kleines Rudel noch recht junger Wölfe – aber ich will ja auch nicht bei „The Voice of Bielefeld“ mitmachen… -
Das Bacchantische ist mir leider fern. Ich hätte so gern etwas davon. Hatte ich aber nie. Das lebenslange Heilfasten jedoch wird auch niemals mein Ding.
Für heute: Staunende Grüße hin zur hoffentlich richtigen Schwingungsebene, Susanne
----------------------------------------- Optimismus ist, bei Gewitter auf dem höchsten Berg in einer Kupferrüstung zu stehen und »Scheiß Götter!« zu rufen. (Terry Pratchett)
Oh, Sabine, da gibt es nur eine Antwort: Ein breites Lächeln. You`ve got it.
Der Kopf, den Du glaubst, schwer abschalten zu können, ist nur Dein Verstand - ad absurdum geführt schon allein durch die Existenz der anderen Wahrheiten, die durch eine (Gesangs-)Lehrerin Deine persönliche Form des Bacchantismus zum ersten Klingen bringen...
Du weißt es und ich weiß es auch: der Finger, der nach dem Mond deutet, ist nicht der Mond.
Alkohol hat seinen Platz im Multiversum, genau wie alles andere. Du wirst ihn ohne Verlustgefühl dem wirbelnden Sternenstaub anheim geben können.
Alles schwingt. NicksHix.
-------------------------------------- Meine Religion ist die Freundlichkeit. Und trocken bin ich seit Anfang 2006.